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Gefühlvoll. Rapper Rin wohnt in Bietigheim-Bissingen.
© Vitali Gelwich

Rapper Rin: Schau mir ins Herz, Brudi

Rin ist einer der vielversprechendsten Newcomer des deutschen Hip-Hop. Gerade ist sein Album „Eros“ erschienen. Eine Begegnung.

Wie lädt ein deutscher Rapper, der gerade seinen Durchbruch feiert, möglichst stilecht zum Gespräch? Ziemlich genau so: Er bittet seinen Gast in die Suite eines teuren Hotels in Berlin-Mitte, wo er mit zwei Freunden in dichtem Zigarettennebel auf einem Sofa fläzt und mit schwarzem Edding ein nagelneues Paar weiße Sneaker bemalt. Krakelige Buchstaben ergeben das Wort „Prada“, alle kichern wie Kinder.

Ist das nun genial oder einfach nur daneben? Meint der das ernst oder doch eher ironisch? Und überhaupt: Wer ist eigentlich dieser schlaksige Kerl mit dem Dutt aus geflochtenen Zöpfen, der sich hier gerade seine eigenen Designerschuhe bastelt?

Er stellt sich dem Gast breit grinsend als Julian vor, dabei heißt er eigentlich Renato. Aber weil an diesem überdrehten Nachmittag die Inszenierung von der Wahrhaftigkeit ohnehin kaum zu unterscheiden ist, fällt das dann auch nicht mehr ins Gewicht.

Autotune als wohlbedachtes Stilmittel

Auf der Bühne nennt sich der Schlaks jedenfalls Rin, und vielen gilt er derzeit als neuer Heilsbringer des deutschsprachigen Hip-Hop. Die szenerelevanten Medien sind voller Lob, aber mit denen mag der Künstler nicht sprechen. Warum? Weil sie seine Musik in eine Schublade stecken und als Cloud Rap bezeichnen: jene synthieseelige Spielart des Genres, die sich durch assoziative Texte und den massiven Gebrauch von Autotune auszeichnet. Letzteres nutzt Rin auf seinem gerade erschienenen Debütalbum „Eros“ zwar bisweilen, aber nicht zum Selbstzweck, sondern als wohlbedachtes Stilmittel.

Dieses Stilmittel kommt zum Beispiel in „Ich will dass du mich brauchst“ zum Einsatz. Das Stück handelt von der Sehnsucht nach Zuwendung und Aufmerksamkeit, von Einsamkeit und Verzweiflung, von fehlendem Selbstbewusstsein und unbeantworteten Anrufen. Mittels der Autotune-Software wird die Stimme des Rappers so lange durch die Mangel gedreht, bis sie zu einem schwer verständlichen Lallen gerät: „Ich bin allein, ich bin besoffen, bin allein …“ Das klingt am Ende einfach nur verstörend ehrlich und hat nichts zu tun mit der aufgesetzten Gefühlsduseligkeit von Cloud Rap.

Liebe in allen ihren Facetten ist das Thema von „Eros“: die Liebe zu Frauen, zu Freunden, zum Feiern. Rin rappt mit großer Leidenschaft über ausufernde Abende mit seinen Jungs, („Bros“), aber auch über seine Lieblingsmodelabels („Blackout“). Er erzählt Geschichten von Frauen, die „zu Skepta ins Berghain“ wollen und aus Einsamkeit Drogen nehmen („Monica Bellucci“).

Zusammen mit Yung Hurn gelang ihm letztes Jahr ein Hit

In seinen Songs reihen sich Gedanken wie Statusmeldungen aneinander und vermitteln so Einblicke in das Seelenleben einer Generation, die sich außerhalb des Internets offenbar ziemlich verloren fühlt. Was dagegen hilft? Anscheinend nur der nächste Trip, wenn man „Bianco“ glaubt, Rins Hit aus dem vergangenen Jahr. Das Stück nahm der Rapper mit seinem Freund und Kollegen Yung Hurn auf, der an diesem Nachmittag neben ihm auf dem Sofa sitzt. Das Fachblatt „Juice“ kürte „Bianco“ zur „Deutschrap-Single des Jahres 2016“. Darin heißt es: „Ihr Gesicht ist so taub, sie will zieh’n / Kein Kuss, Brudi, Lidocain / Milchpulver, Bauschutt und Kreatin / Bianco, bijello, Paradies …“ Der dazugehörige Clip brachte es im Netz auf knapp acht Millionen Klicks.

Kurz zuvor hatte Rin auf dem Berliner Independent-Label Life from Earth eine erste EP mit dem Titel „Genesis“ veröffentlicht und gratis ins Netz gestellt. Die Single-Auskopplung „Dontlike“ brachte sein künstlerisches Anliegen auf den Punkt: „Jeder liest auf WhatsApp, niemand schreibt / Das sind die Probleme dieser Zeit / Der eine hat ’ne Frau, der andere Puff / Ich erzähl dir nur Geschichten von mein’ Jungs.“ Darum geht es ihm bis heute.

Rins Texte sind sprachlich einfach und unvermittelt. So als hätte der Rapper an einem ganz normalen Tag einfach mal das Diktiergerät mitlaufen lassen und die Aufnahmen dann unbearbeitet zu Papier gebracht. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Mitunter feilt Rin so lange an einer Hook, bis seine Produzenten wahnsinnig werden. Ist das Feeling eingefangen? Das sei die Frage, um die es ihm gehe. „Für mich muss das Gefühl stimmen, der Rest ist irrelevant“, sagt der Rapper. „Ich überlege mir nicht, was ich sagen will, sondern habe ein Gerüst in meinem Herzen und schaue, was mir der Beat dabei zu fühlen gibt.“

Rin kommt aus Bietigheim-Bissingen

Für das Ausloten der eigenen Gefühle hat man in Bietigheim-Bissingen in der Nähe von Stuttgart offenbar viel Zeit. Dort ist Rin geboren und aufgewachsen, dort lebt er noch heute. Es sei, sagt er, die schönste Stadt der Welt. „Es gibt bei uns keine Szene, sondern nur ehrliche Freundschaft.“ Deshalb ziehe es ihn nirgendwo anders hin. Und weil der Ort mit seinen knapp 40 000 Einwohnern vergleichsweise überschaubar ist, Rins Bekanntheit aber stetig steigt, will der Künstler vorerst lediglich seinen Vornamen Renato preisgeben. Auch sein Alter lässt er mit „Anfang 20“ bewusst vage.

Offen hingegen spricht er über seine bosnischen und kroatischen Wurzeln. Und über seine Kindheit als Sohn von Gastronomen-Eltern, „ganz Jugo-Klischee“. Die sei ein Albtraum gewesen, weil Mutter und Vater nie Zeit für ihn hatten. „Die Gastronomie hat mir meine Kindheit und Jugend genommen“, sagt Rin nüchtern. Trost fand er irgendwann in der Musik.

Bushido war sein Kindheitsheld

Ein Freund hatte von einer Reise nach Berlin Bushido-Kassetten mitgebracht. Die harten Songs aus der Hauptstadt verfehlten ihre Wirkung in der schwäbischen Provinz nicht. Bushido wurde für Rin zum „größten Kindheitsheld“, er habe eine Aura und Echtheit verkörpert, die es davor nicht gab. Noch immer gerät er ins Schwärmen, wenn er über die musikalischen Feinheiten einzelner Songs redet. „Das Soundgewand war einfach genial und prägend.“ Heute ist Rin mit Shindy befreundet, einem Zögling von Bushido, ebenfalls aus Bietigheim-Bissingen.

Mit 18 Jahren fing Rin schließlich an, im Heimstudio eines Freundes selbst Musik zu machen. Einige Songs stellte er ins Internet. Vieles aber blieb unter Verschluss, weil er mit den Ergebnissen unzufrieden war. Statt halbgare Songs zu veröffentlichen, stürzte er sich weiter in die Arbeit. „Ich wollte einfach was Geiles, Freshes machen.“ Dieser Ehrgeiz treibt ihn bis heute.

Zurück ins Jetzt, zurück ins Hotelzimmer. Die Tür öffnet sich und eine Gruppe junger Frauen und Männer betritt den Raum. Rins Miene hellt sich auf, und er sagt: „Guck mal, wie sie alle eintrudeln.“ Es ist die Entourage, die ihn später zu einem Showcase begleiten wird. Viele Gesichter meint man aus den Videos des Rappers zu kennen. Das Gespräch ist nun beendet. Rin will sich vor dem Auftritt noch kurz seinen Freunden widmen, mit ihnen „abhängen“, auch wenn das hier nicht Bietigheim-Bissingen ist, sondern nur ein Hotelzimmer in Berlin-Mitte.

„Eros“ ist auf Division Recordings erschienen. Konzerte: 28./29.9., Festsaal Kreuzberg (ausverkauft). Am 22. April 2018 tritt Rin im Berliner Huxley’s auf.

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