Doppelspitze für Staatsballett Berlin: Sasha Waltz und Johannes Öhmann übernehmen Intendanz
Überraschende Drehung beim Berliner Staatsballett: Sasha Waltz und Johannes Öhman übernehmen ab 2019 gemeinsam die Intendanz.
Heiß und stickig ist die Luft am Mittwochmittag im Presseraum des Roten Rathauses, als der Regierende Bürgermeister Michael Müller in seiner Funktion als Kultursenator frischen Wind für das Berliner Staatsballett ankündigt: Die vielgeliebte Choreografin Sasha Waltz soll ab Sommer 2019 die Leitung der größten deutschen Tanzkompanie übernehmen.
Die 53-Jährige ist ein Darling der internationalen Kulturszene, künstlerisch in Berlin groß geworden und nun schon seit vielen Jahren mit ihrem eigenen Ensemble als Botschafterin der Stadt im Ausland unterwegs. Waltz’ Ästhetik ist generationsübergreifend konsensfähig, sie ist bestens vernetzt, auch dank ihres äußerst umtriebigen Ehemannes Jochen Sandig. Und damit das Berliner Staatsballett auch in Sachen Spitzentanz künftig spitze bleibt, hat sie sich einen klassisch ausgebildeten Tänzer als Ko-Intendanten an ihre Seite geholt, den 1967 geborenen Schweden Johannes Öhman nämlich, derzeit Ballettchef am Königlichen Opernhaus von Stockholm.
Ob in Paris, Mailand oder Berlin - Sasha Waltz wird gefeiert
„Ich habe einen Traum begraben müssen“, konstatierte die Choreografin im Dezember 2013 verbittert. Damals war ihr lange betriebener Plan endgültig gescheitert, aus der Off-Szene-Formation „Sasha Waltz & Guests“ doch noch eine staatliche Institution zu machen. Ein weiterer Rückschlag, nachdem 2004 bereits das Experiment gescheitert war, mit ihrer Kompanie dauerhaft an der Schaubühne heimisch zu werden.
Große Erfolge konnte Sasha Waltz seitdem verbuchen, an der Opéra de Paris wie an der Mailänder Scala wurde sie gefeiert, eine enge Künstlerfreundschaft verbindet sie mit Daniel Barenboim, ihre Interpretation von Strawinskys „Sacre du printemps“ erhielt viel Applaus in St. Petersburg wie auch in Berlin.
Die Idee aber, Sasha Waltz in die hauptstädtische Opernstiftung einzubinden, zu der das Staatsballett gehört, wurde 2013 verworfen. Stattdessen beschlossen Wowereit und sein Staatssekretär André Schmitz, den Spanier Nacho Duato zum alleinigen Nachfolger von Vladimir Malakhov zu machen. Eine Entscheidung, die bei der Presse von Anfang an auf Ablehnung stieß. Seit Duatos Amtsantritt im Sommer 2014 hagelte es fast nach jeder Premiere einhellig Kritik. Dennoch will der ungeliebte Choreograf seinen Vertag über die volle Laufzeit bis zum Sommer 2019 erfüllen.
Erst in drei Jahren also wird die neue Doppelspitze mit der Arbeit beginnen können. Deren Ziel umreißt Michael Müller mit den Worten: „die Attraktivität zu erhalten sowie gegebenenfalls neue Akzente zu setzen“. Und, wäre hinzuzufügen, den Ensemblegeist zu stärken, um den es derzeit nicht allzu gut bestellt ist.
Öhman wird Waltz den Rücken freihalten
Sasha Waltz und Johannes Öhman kennen sich seit zehn Jahren. Der Schwede hatte gerade die Tanzsparte des Göteborger Opernhauses übernommen, als er sich an die deutsche Kollegin mit der Bitte wandte, ihr Stück „noBody“ übernehmen zu dürfen. Vier Jahre sollte es dauern, bis Sasha Waltz sich dazu durchringen konnte. In dem Prozess jedoch stellten sich viele Gemeinsamkeiten im kreativen Denken und organisatorischen Lenken heraus. Und darum schlug die Choreografin, nachdem Michael Müller ihr die Intendanz des Staatsballetts angeboten hatte, Öhman als ihren Kompagnon vor. Damit sie sich nicht in der administrativen Arbeit, die so ein Leitungsjob zwangsläufig mit sich bringt, vorzeitig aufreibt.
Öhman wird also den Management- Bereich verantworten, seiner Ko-Chefin den Rücken freihalten für die choreografische Arbeit. Drei Kreationen aus ihrer Hand sind für die fünf Jahre der Vertragslaufzeit vereinbart, zusätzlich wird in jeder Saison eine altbekannte Waltz-Produktion ins Repertoires des Staatsballetts übernommen. Außerdem möchte die Choreografin intensiv mit den Orchestern aller drei Opernhäuser zusammenarbeiten, in denen das Staatsballett seine 90 bis 100 Abende pro Spielzeit absolviert, idealerweise sogar bei Komponisten Uraufführungen in Auftrag geben.
„Das Programm soll nicht von meinen Arbeiten dominiert werden“, betont Sasha Waltz. Und räumt auf Nachfrage ein, dass sie parallel zu ihrem neuen Job die eigene Kompanie als autonome Struktur weiterführen möchte. Mit der sie auch noch Projekte erarbeitet: „Dafür habe ich in meinem Vertrag die Möglichkeit, Gastierurlaub zu nehmen.“
Klassiker bleiben die Basis des Staatsballett-Programms
Sasha Waltz wird künftig also als Multitaskerin unterwegs sein, zeitgenössische Ausdrucksformen mit ihrer vertrauten Tänzerfamilie weiterentwickeln, moderne Stücke beim Staatsballett erarbeiten und außerdem auch noch die Pflege des klassischen Erbes organisieren.
Denn „Schwanensee“, „Dornröschen“ und Co. sollen weiterhin die Basis des Staatsballett-Spielplans bilden. „50 Prozent werden klassische Stücke sein“, betonte Johannes Öhman am Mittwoch. Für die Einstudierung der Klassiker will der Schwede jeweils Spezialisten verpflichten. Namen aber kann er naturgemäß zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht nennen.
Auch wenn es für Michael Müller sicher ein angenehmer Mitnahmeeffekt ist, so kurz vor der Wahl eine Lösung des Staatsballett-Problems präsentieren zu können, so war der Zeitpunkt der Verkündung nicht allein von politischem Kalkül geleitet. Sondern vielmehr der Tatsache geschuldet, dass im Kulturbereich extrem weit im Voraus geplant wird. Für das Publikum bedeutet das eine besonders lange Phase der Vorfreude. Und für Nacho Duato sogar eine zweite Chance. Vielleicht gelingt es ihm mit der Gewissheit des absehbaren Endes doch noch, sich künstlerisch zu entkrampfen. Derzeit probt er mit dem Staatsballett seine Version des „Nussknackers“.
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