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Himmel, hilf! Ulrich Matthes (links), Wolfram Koch
© Arno Declair

Prominente Premiere in Berlin: Sancho dribbelt sich durch

Ritter im Nebel: Wolfram Koch und Ulrich Matthes spielen am Deutschen Theater einen „Don Quijote“.

Es hat wohl seinen Grund, dass es Bücher gibt. Dass ein von Geschichten und Vorstellungen gejagter Mensch einen dicken Roman schreibt und kein Theaterstück. Rein historisch betrachtet mag das Theater älter sein als die schriftlich fixierte Literatur, aber deswegen muss es sich nicht unbedingt jedes Buch greifen und auf die Bühne zerren, wie es seit Langem schon zur Routine gehört – während es der zeitgenössischen Dramatik, so es sie noch gibt, immer schlechter geht.

Allein das Deutsche Theater Berlin hat in der laufenden Spielzeit sechs (!) Inszenierungen auf dem Plan, die sich auf dem Buchmarkt bedienen, das meiste davon zeitgenössisch, aber dabei ist auch in einer Koproduktion mit den Bregenzer Festspielen ein „Don Quijote“.

Das Hochamt der Imagination: Cervantes’ Werk erschien zwischen 1605 und 1615, von Susanne Lange liegt eine hochgelobte Übersetzung vor (1500 Seiten). Der junge Berliner Schriftsteller Jakob Nolte hat daraus eine dünne „Fassung“ gemacht. Sie nimmt in Jan Bosses Regie zweieinhalb Stunden Theaterzeit in Anspruch. Nicht viel angesichts des Riesenstoffs – aber doch gefühlt sehr lang und auch noch mit einer Pause, die den behaupteten Wahnsinn des eingebildeten Ritters unterbricht, als könnte man Fantasie und Fantasmagorie einfach so an- und ausschalten.

Viel Nebel wabert, starke Scheinwerfer sind sichtbar im Bühnenbild von Stéphane Laimé, das aus einem Holzcontainer besteht; er lässt sich nach allen Seiten hin aufklappen. Hier hausen, hierhin flüchten sich, von hier aus treten Ulrich Matthes (als Don Quijote) und Wolfram Koch (als Sancho Panza) ihre abenteuerlichen Reisen an. Alles passiert im Kopf, also notwendig im Zusammenspiel der beiden Clowns und Witzfiguren. Nur: Lustig ist es nicht. Und komödiantisch nur bei Sancho, dem Diener eines Herren, der Mitleid erweckt. Während Koch wie ein Truffaldino herumrast, um die Geister einzufangen, die Don Quijote ruft, steht da ein Ritter von der allertraurigsten Gestalt. Ein irrer Träumer, ein tragischer Visionär.

Da steht ein dickes Fragezeichen

Ein Zweipersonenstück. Mit bewussten Anklängen an Samuel Beckett. „Warten auf Godot“ schwingt mit – die Dialoge der beiden Landstreicher und Vaudeville-Helden, die immerhin Besuch von Herrn Pozzo mit seinem Diener Lucky bekommen. Von dieser Beckett-Perspektive aus betrachtet – Lucky ist ein armer, getretener Hund – läuft es hier anders. Denn Sancho Panza ist der Chef im Ring, Spielmeister, Dauerredner, die gute Laune. Er kämpft wie ein Löwe für die Show, bereitet seinem Partner großzügig das Feld – der starrt in die Weite, ins Leere, verfangen und verdreht in fernen Träumen. Beim Tanz würde man sagen, Sancho Panza führt.

Ist es nun ein Zeichen der Stärke, wenn das Theater den monumentalen Roman von La Mancha in kleinen Stückchen verabreicht – oder ist es eine Schwäche, vielleicht eine Verlegenheit? So sieht es dann aus: Die Inszenierung hat nichts überraschend Verrücktes, sie bleibt brav wie der Text. Sie schafft es nicht ins Freie. Scheitern wäre ja nicht schlimm, aber es müsste – frei nach Beckett – dann besser und größer scheitern. Langweilig darf es jedenfalls nicht sein.

Ulrich Matthes hat etwas von einer Christusfigur, Wolfram Koch mit seinem falschen Wanst und wildem Haar mit Schnauzbart (Ausstattung: Kathrin Plath) erinnert an Peter Sloterdijk, den Philosophen. Und so tritt er auf: selbstbewusst, schlagfertig. Mal holt er den verlorenen Herrn auf den Boden der Tatsachen zurück, mal gibt er Quijotes Wahnideen Futter. Aber richtig zusammen als Schauspielerduo kommen sie nicht. Es ist eher ein Abtasten, ein leichtes Fremdeln.

Beim angeblichen Kampf mit den Windmühlen fuchtelt Matthes mit einer langen Stange über den Zuschauerköpfen im Parkett herum. Dieser Versuch einer komödiantischen Kontaktaufnahme erschöpft sich schnell, ein Gag. Container und Nebel bergen keine weiteren Geheimnisse. Am Ende steht Sancho Panza da wie ein dickes Fragezeichen.

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