Ein Klassiker für Komiker: Godot und die Galgenvögel
Samuel Finzi und Wolfram Koch spielen Samuel Becketts „Warten auf Godot“ am Deutschen Theater Berlin – in memoriam Dimiter Gotscheff.
Ein Klassiker, gar keine Frage. Zwei Männer schlagen die Zeit tot, und die schlägt unbarmherzig zurück, zwingt sie zu lächerlichen Verrenkungen und Verrichtungen, bis hin zu der Idee, sich aufzuhängen. Oder sich zu trennen, aber auch das gelingt nicht. Die beiden, die sich Wladimir und Estragon, Didi und Gogo nennen, harren der Dinge, die nicht kommen. Sie tun das seit 1953, als „En attendant Godot“ in Paris uraufgeführt wurde. Sie tun es seit Jahrhunderten oder noch viel länger, weil Samuel Beckett einen Archetyp nicht nur des modernen Theaters geprägt hat. Warten. Auf das Leben, auf den Tod.
Das Stück ist unendlich interpretierbar, will heißen: am besten gar nicht. Nimmt man es für das, was es ist, dann zappeln da zwei Schauspieler am Abgrund, der doch nur die Rampe ist – ohne Story, gefangen in einer Textschleife, allein mit sich und ihren Eitelkeiten, Einsamkeiten und spontanen Einfällen, die aus der alten Slapstick-Kiste stammen. Beckett setzt theologische Sticheleien. Aber Wladimir und Estragon sind weder Heilige noch Schächer, sie sind Schauspieler. Nicht ans Kreuz, sondern auf die Bretter genagelt.
Mark Lammert, der Bühnenbildner dieser Koproduktion des Deutschen Theaters Berlin mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen, findet für Becketts Unort eine klare, poetische Lösung. Das Spiel läuft auf einer extremen Holzschräge, mit einem Krater in der Mitte. Es geht abwärts immer nur. Oder gleich ins Höllenloch. Und hinten links – Becketts berühmter Baum! – steht eine Metallstange mit einem Scheinwerfer. Bühnentechnik statt Restnatur.
Man könnte sich also denken, dass Godot die ganze Zeit schon da ist. Dass diese Lichtquelle, die über die Bühne wandert, Godot/Gottes Auge sei. Dass Didi und Gogo, blind vor Eifer, das nicht erkennen und auf etwas warten, das gar nicht erscheinen kann, weil es von Anfang den Herren Finzi und Koch Licht spendet.
Warten auf Gotscheff. Aber der kommt nie mehr. Das ist der Punkt. Sie sind geworfen in eine Theaterwelt, der ihr Zentrum fehlt. Im Oktober letzten Jahres starb Dimiter Gotscheff in Berlin. Er wollte mit Samuel Finzi und Wolfram Koch, seinen Stamm- und Starspielern, „Warten auf Godot“ inszenieren. Es war ihm und uns nicht mehr vergönnt. So haben die Akteure mit Mark Lammert und Ivan Panteleev, der eigentlich Dramaturg ist und hier als Regisseur firmiert, das Ding ohne Mitko gemacht. Es gab wohl ein paar Skizzen und Ideen von ihm, aber wie weit trägt das, wenn der Probenprozess beginnt! Natürlich ist die Aufführung Dimiter Gotscheff gewidmet, einem Künstler, der Dunkelheit und Fatalismus verbreitete, so wie er ordinäre Witze liebte. Warum also hebt das so mühevoll an? Die Clowns sind schwer melancholisch, nehmen Stück und Text recht ernst. Liegt es daran, dass diese Bühne ein zu starkes Eigenleben besitzt und sich nicht leicht bespielen lässt, bei dem Gefälle.
Die Entertainer werden immer trauriger
Nachher aber, im zweiten Teil, stürzen sich der etwas ruppigere Estragon (Koch) und der weichere Wladimir (Finzi) in ein brillantes Pingpong-Spiel, flitzen, fliegen, schnalzen mit der Zunge, dass es eine Freude ist und eine Erleichterung. Es gibt noch Hoffnung. Endlich Entertainer! Es gibt bei Beckett kein Gestern und Morgen, nur das Jetzt und Hier. Daraus kann man sich für Momente befreien oder auch einmal einen Abend lang. Solche Momente ungebremsten Spieltriebs sind rar in diesem „Godot“.
Galgenvögel sind das, keine Spaßvögel. Grübler, die sich vorantasten. Koch und Finzi spielen nah am Text und an den Beckett-Bildern, die man im Kopf hat. Finzi und Koch sind sich so ähnlich geworden in der Körpersprache. Kaum mal ein gewagter Alleingang, aber die Abwehr steht. Sie klammern sich aneinander wie Kinder, verlaufen im Wald. Die beiden Komiker kämpfen mit unbekannten Bedrohungen, bearbeiten die dunkle Seite des Spiegels. Automatisch sprechen sie die salvatorischen Formeln Becketts aus, stehen unter sinistrem Bann.
Hat der Scheinwerfer gelächelt? Allmählich wird man in diese Albtraumlogik des Auf-der-Stelle-Tretens und Nicht-fliehen-Könnens hineingezogen. Bis Pozzo mit seinem Knecht Lucky auftaucht, der cholerische Christian Grashof und der somnambul blickende Andreas Döhler. Grashof brüllt unerträglich, zerstört die feinen Nervengeflechte, die gesponnen wurden. Eigentlich haben die Pozzo-Auftritte schon immer gestört, sie sind die Schwachstelle bei „Godot“. Könnte man streichen. Komplett.
Wieder am 2. und am 26. Oktober.
Rüdiger Schaper
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