Staatsoper: "Mord an Mozart": Sag niemals Genie
Gerührt, nicht geschüttelt: Elisabeth Stöppler und Max Renne begehen an der Berliner Staatsoper „Mord an Mozart“.
Auf YouTube verrät Jan Josef Liefers, wie es wirklich war. Als tatorterprobter Rechtsmediziner muss er es ja wissen: „Mozart starb an einer Streptokokken-Infektion“, raunt er in die Kamera. „Die hatte bei ihm rheumatisches Fieber zur Folge. Innerhalb von 15 Tagen war er tot.“ Alle Verschwörungstheorien sind also Quatsch. Vor allem die seit 1824 propagierte These, Antonio Salieri habe seinen Komponistenkollegen vergiftet, die 1984 durch Milos Formans „Amadeus“- Film endgültig zum vermeintlichen Weltwissen wurde.
Der 57-Sekunden-Spot wirbt für die Staatsopern-Produktion „Mord an Mozart“, die jetzt das „Kammeropern-Festival“ eröffnete, mit dem Intendant Jürgen Flimm die Bühne des Schillertheaters während der vierwöchigen Asientournee der Staatskapelle füllen will. Dazu gibt es Wiederaufnahmen von Claus Guths grandioser Inszenierung der Britten-Oper „The Turn of the Screw“ sowie der Tristan-Paraphrase „Vin herbé“ von Franck Martin.
In einem langwierigen Stückentwicklungsprozess hat die Regisseurin Elisabeth Stöppler zusammen mit ihrer Bühnenbildnerin Annika Haller, dem Dramaturgen Jens Schroth und dem Dirigenten Max Renne eine „relative Vernichtungstheorie“ aufgestellt, die sich in knapp zwei Stunden auf der Vorderbühne entfaltet. Mozart ist dabei nicht mit Salieri alleine, Albert Einstein und Siegmund Freud treten auf, und auch Schostakowitsch, Dostojewski und Beuys spielen eine Rolle. Eigentlich sollten zudem Jesus und Stalin vorkommen – doch sie wurden während der Proben wieder rausgeworfen.
Los geht’s mit feinen Reibungen: Auf einem Kinderklavier stimmt Stephan Rügamer Mozarts Variationen über Salieris Arie „Mio caro Adone“ an, peu à peu gesellen sich ein Saloon-Piano, ein sauber gestimmter Flügel und ein Vibraphon dazu sowie vier leicht versetzt tickende Metronome. Damit ist die rechte surreale Stimmung gesetzt für das Öperchen über die beiden Tonsetzer aus dem Wien des späten 18. Jahrhunderts, das Nikolai Rimsky-Korsakow auf einen Text Alexander Puschkins geschrieben hat.
Müssen die Mittelmäßigen außergewöhnlichen Begabungen Einhalt gebieten?
In leichtgängigem Konversationston wird da die Frage verhandelt, ob es die Pflicht der Mittelmäßigen ist, außergewöhnlichen Begabungen Einhalt zu gebieten, notfalls auch brachial. Der Kunst, so Salieris These, nützt Mozart nicht, weil er in seiner Art einmalig ist und darum ohne Erben bleiben muss. „Er ist ein Cherubim“, singt der Italiener, „und brachte Lieder aus dem Paradies, die flügellose Wünsche ins uns weckten – ihm nachzuflattern, wir, die Staubgeburten!“
Auch Mozart übrigens versteht, dass nicht jeder so in der Kunst aufgehen kann wie er: „Kein Mensch mehr würde sich um die kleinen Alltagssorgen kümmern!“ Konventionell im besten Sinne ist Elisabeth Stöpplers Personenführung hier, flüssig und geschmeidig. Die Regisseurin hat aber auch zwei Stützen des Staatsopernensembles als Partner: Bei Stephan Rügamers Mozart kringelt sich nicht nur eine kecke Locke über die Wange, die Figur geht ihm wirklich durch und durch. So wie die Fantasie in seinem Kopf ununterbrochen in Bewegung ist, kann er auch körperlich keine Sekunde stillhalten. Wie ernst und gravitätisch wirkt dagegen Roman Trekels Salieri. Tief hat ihn die Gewissenhaftigkeit gebeugt, mit der er stets darum bemüht war, der holden Kunst der Musik angemessen zu dienen.
Als Mozart ein Abendmahl parodiert und dabei das Gift trinkt, fällt Salieri die Perücke ab, sein gesellschaftlicher Schutzhelm. Und damit sind die Stückmacher auch schon fast bei Dostojewski, bei der Episode aus dem Roman „Die Brüder Karamasow“, in der der Großinquisitor den zur Erde zurückgekehrten Jesus auf den Scheiterhaufen schickt – als Strafe dafür, dass er die Menschen mit der Freiheit überfordert habe.
Vorher aber wird noch der Briefwechsel von Albert Einstein und Sigmund Freud über den Krieg interpoliert, wobei die Violinistin Sophie Heinrich, die zuvor schon als „blinder Geiger“ mit der charakteristisch-explodierten Haarpracht bei Rimsky-Korsakow aufgetreten war, Mozarts B-Dur Sonate spielt, während Angela Winkler mit der ihr eigenen zarten Kraft die Gedanken des Psychoanalytikers wie des klassikaffinen Relativitätstheoretikers rezitiert.
Dicht wollen Stöppler und ihr Team das Assoziationsnetz knüpfen, viel wird da um die Ecke gedacht, wenn zu Dostojewski Schostakowitschs 8. Streichquartett erklingt, das der Komponist ja den Opfern von Faschismus und Gewalt gewidmet hat, und das darum als Totenmesse zu Mozarts Requiem passt, das auch in „Mozart und Salieri“ angespielt wird und dem der Komponist David Robert Coleman jetzt für den Epilog eine dissonanzenreiche Übermalung verpasst hat, die von Atompilz- und Kriegshubschrauber-Projektionen begleitet wird. Es wird also eigentlich alles verhandelt – und nichts richtig tiefgründig, collagenhaft eben, als bildungsbürgerlicher Hopplahopp-Galopp durch die Geschichte. Weil aber die Herangehensweise bei jedem der disparaten Aspekte ganz behutsam ist, mezzoforte sozusagen, moderat im Tonfall, verlässt der Zuschauer diesen Sag-niemals-Genie-Abend letztlich dann doch gerührt und nicht geschüttelt.
Wieder am 2., 4., 7. und 13. Februar.