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Wird Botticelli das Publikum begeistern? Michael Eissenhauer, hier in der Gemäldegalerie, ist seit 2008 Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin
© Felix Zahn/dpa

Staatliche Museen zu Berlin: Rückgang und Renaissance

Berlin wächst, die Touristen kommen, doch die Staatlichen Museen melden Besucherschwund. Verfehlte Politik, zu wenig Attraktionen? Ein Gespräch mit Generaldirektor Michael Eissenhauer.

Herr Eissenhauer, Sie zählen 400 000 Museumsbesucher weniger in den Häusern der Staatlichen Museen, von 4,3 Millionen in 2013 auf 3,9 Millionen in 2014. Sie bezeichnen den Rückgang als „erfreulich gering“? Was ist daran erfreulich?

Ich habe im letzten Jahr angekündigt, dass wir aufgrund sanierungsbedingter Museumsschließungen einen Besucherrückgang erwarten. Dieser ist niedriger ausgefallen als befürchtet, aber trotzdem bereitet mir das Sorgen. Wir nehmen einen Besucherrückgang nicht hin wie Sonne oder Regen, da es sich massiv auf unseren Gestaltungsspielraum auswirkt.

Wie wirkt es sich aus?

Es gibt eine enge Verzahnung zwischen unseren Besuchszahlen und den finanziellen Mitteln, die wir zur Verfügung haben. Rückläufige Eintrittseinnahmen bedeuten weniger Geld – für Publikationen, Sonderausstellungen, Neuerwerbungen und Restaurierungen. Diese Positionen werden zu einem erheblichen Teil aus unseren Einnahmen an der Kasse bezahlt.

2014 gingen ins Neue Museum 300 000 Besucher weniger als 2013. Das klingt dramatisch. Wie erklären Sie sich das?

Man muss die langfristige Entwicklung sehen. Wenn ich die Jahre 2010 bis 2014 betrachte, haben wir uns klar stabilisiert. Wir hatten 1,1 Millionen Besucher im Jahr 2010, im ersten Jahr nach der Wiedereröffnung des Neuen Museums. In den Folgejahren haben wir jeweils etwa 200 000 Besucher verloren. Das ist bei Museen mit sogenannter „signature architecture“ ein bekannter Effekt. 2013 hatten wir durch die Ausstellung „Im Licht von Amarna. 100 Jahre Nofretete“ dann wieder einen Besucherzuwachs zu verzeichnen. Der Rückgang um 70 000 gegenüber 2012, den wir jetzt sehen, ist auch wieder einholbar.

Einholbar, durch eine neue, erfolgreiche Sonderausstellung – aber die gibt es 2015 nicht im Neuen Museum.

Weil wir dort keine Sonderausstellungsflächen mehr haben! Wir konnten für die Ausstellung „Im Licht von Amarna“ den Umbau eines Raumes im Neuen Museum nutzen. Der steht als Sonderausstellungsfläche nicht mehr zur Verfügung. Im Pergamonmuseum haben wir im Nordflügel Sonderausstellungen veranstaltet, dieser Flügel wird saniert. Die James-Simon-Galerie wird Flächen bieten, ist aber noch nicht eröffnet. „Die Wikinger“ haben wir deshalb in den Martin-Gropius-Bau verlagert. Weil uns der Besucherrückgang Sorgen macht, bemühen wir uns, ein attraktives Ausstellungsprogramm zu installieren. Wir eröffnen in 2015 rund 60 Sonderausstellungen. Im Bode-Museum zeigen wir im April „Ein Gott – Abrahams Erben am Nil“, um nur ein Beispiel zu nennen.

Eine Ausstellung die sich mit den drei Weltreligionen beschäftigt. Sonderausstellungen bringen Publikum, besonders wenn sie tagesaktuell sind wie „Ein Gott“. Gibt es noch andere Instrumente in der Museumsarbeit? Müssten Sie deutlicher kommunizieren, welche Schätze die Staatlichen Museen in ihren Dauerausstellungen beherbergen? Die Profile der Museen schärfen?

Einspruch! 630 000 Besucher, die in einem Jahr die Nofretete besuchen, das ist eine Sensation! Auch das Pergamonmuseum wird weiterhin hervorragend besucht, nur haben wir haben wegen der Schließung des Altarsaals und des Nordflügels weniger Flächen, deshalb durften wir aus baupolizeilichen Gründen weniger Besucher hereinlassen.

Berlin ist immer noch eine Stadt im Wandel. Die aktuellen Entwicklungen der Museumslandschaft sind nicht leicht nachzuvollziehen. Müsste man den Menschen mehr auf die Sprünge helfen? Nehmen wir das Beispiel Neue Nationalgalerie, die saniert wird und bis 2020 geschlossen ist. Sie stehen vor einem verriegelten Haus. Warum gibt es kein Schild, das auf die nahe liegende Gemäldegalerie hinweist?

Wir versuchen den Leuten schon beim Kauf des Tickets deutlich zu machen, dass wir mehr als eine Sammlung haben. Wir bieten Tageskarten für alle unsere Standorte an. Und das funktioniert auch. Aber wer zum Mies-van-der-Rohe-Bau kommt und Kunst des 20. Jahrhunderts sehen will, hat nur eine geringe Neigung, stattdessen in die Gemäldegalerie zu gehen.

Woher wissen Sie das?

Wir führen Umfragen und Analysen durch, um Einblick in die Besucherseele zu bekommen. Es gibt Publikum, das sich für Gegenwart, moderne Kunst und vielleicht noch für das 19. Jahrhundert interessiert. Und anders herum, wer Alte Kunst bevorzugt, der geht nur selten in den Hamburger Bahnhof.

Viele Berliner empfinden die Eintrittspreise in den Staatlichen Museen als zu hoch und die Öffnungszeiten als benutzerunfreundlich. Der Hamburger Bahnhof und die Museen am Kulturforum haben im Gegensatz zu anderen Häusern am Wochenende nur von 11 bis 18 Uhr auf.

Die Reduzierung der Öffnungszeit von 10 auf 11 Uhr ist doch gerade eine Folge unserer Publikumsbeobachtung. Die Kosten für eine Stunde Museumsöffnung sind enorm, und wir müssen immer eine Balance suchen zwischen Publikumsfreundlichkeit und dem, was wir finanzieren können.

Was ist mit den Eintrittspreisen?

Ich behaupte, dass es weltweit kein Museum dieser Größe gibt, das so moderate Eintrittspreise hat. Freier Eintritt unter 18 Jahren. Eine Jahreskarte für alle ständigen Ausstellungen kostet 50 Euro, wer bedürftig ist, bekommt sie für 25 Euro. Der Vorwurf, wir seien teuer, ist nur dann berechtigt, wenn man ausschließlich auf die Einzeleintrittspreise schaut.

Der Komplex Staatliche Museen scheint für Besucher in vielerlei Hinsicht wenig transparent zu sein, teils auch abgekoppelt vom Leben in der Stadt. 2014 veranstaltete die Berlin Biennale ihre Ausstellungen in den Museen in Dahlem. Das machte ein ganz neues Publikum aufmerksam, den Impuls haben Sie in der Folge gar nicht genutzt.

Sie sagen, die Berlin Biennale hat Aufmerksamkeit auf Dahlem gelenkt. Das bezog sich aber kaum auf die dortigen Sammlungen. Die öffentliche Wahrnehmung ist doch, Dahlem sei langweilig, Dahlem sei out, Dahlem mache zu. Alle warten auf den Umzug ins Schloss, obwohl das Museum Europäischer Kulturen ja dableibt. Da nutzte nicht mal eine Berlin Biennale.

Wie entsteht so ein Missverständnis?

Das ist das gleiche Missverständnis wie zu sagen, wir seien teuer. Wenn sich das erst einmal in den Köpfen festgesetzt hat, bekommen wir es schwer wieder raus.

Berlin boomt, die Einwohnerzahl steigt, die Zahl der Touristen steigt – aber die Zahl der Besucher in den Staatlichen Museen geht um zehn Prozent zurück. Wie passt das zusammen?

Der Rückgang der Besucherzahlen trifft uns hart. Daher werden wir 300 000 Euro mehr für übergreifende Werbung einsetzen. Aber das ist kein Budget, mit dem Sie eine riesige Werbekampagne machen können. Bei der Ausstellung „Gesichter der Renaissance“ im Bode-Museum hatten wir einen Werbeetat von 600 000 Euro, so hoch wie nie zuvor für eine einzelne Ausstellung. Die Folge war eine maximale Besucherzahl, mehr hätten die Räume nicht aufnehmen können. In diesem Jahr versuchen wir mit der Ausstellung „The Botticelli Renaissance“ in der Gemäldegalerie, dieses Erfolgsmodell zu wiederholen. Dass das aufgeht, dafür arbeiten wir.

Haben Sie vor, künftig verstärkt mit den eigenen Sammlungsbeständen zu arbeiten?

Wir haben immer große Ausstellungen aus unseren Sammlungen heraus entwickelt, und das werden wir auch weiterhin machen, bei „Botticelli“ oder bei „Impressionismus/Expressionismus“ in der Alten Nationalgalerie. Wir werden auch spektakuläre Gastspiele haben, zum Beispiel „Kampf um Troja. Die Münchener Ägineten in den Ergänzungen Thorvaldsens“. Der Titel klingt vielleicht spröde, aber das ist eine hoch spannende Ausstellung im Alten Museum, von der ich glaube, dass sie wirklich Publikum ziehen kann.

Das kann auch leicht kippen. Viele Besucher sind gut, zu viele sind nicht gut. Besucherschlangen und Gedränge vor den Exponaten können das Erlebnis trüben.

Das ist richtig. Ein Auto ist nicht dadurch gut, dass es immer schneller fährt. Ein Auto ist gut, wenn es eine konstant hohe Qualität bewahrt. Wir wussten, dass wir wegen der Schließungen einiger Häuser Einbrüche haben würden, und ich finde, wir steuern sehr erfolgreich dagegen an.

Das ist eher ein großer Tanker, den sie da steuern, kein wendiges Auto, mit dem man schnell um die Ecke fährt.

Mir gefällt der Vergleich. Ein Tanker zieht seine Bahnen, auf diese Konstanz kann man sich verlassen. Aber wir müssen nicht nur darauf achten, dass der Tanker fährt, wir müssen auch sehen, was auf uns zukommt. Dass wir auch in den nächsten Jahren einzelne geschlossene Häuser haben werden, ist aber leider nicht zu ändern.

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