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Künftig nie mehr anstehen? Wartende vor der Alten Nationalgalerie in Mitte.
© Florian Schuh/dpa

Besucherschwund in den Museen: Schlange nicht gesehen

Warum den Ausstellungshäusern das Publikum abhanden kommt. Bei den Staatlichen Museen zu Berlin sind es zehn Prozent.

Das Museum für moderne Kunst im spanischen Valencia erlebte einen Sturz ins Bodenlose: Statt 1,2 Millionen, wie ursprünglich in der Statistik ausgewiesen, besuchten 2013 nur 85 000 Besucher das Haus. Der Direktor hatte jahrelang die Zahlen manipuliert und konnte sich so nach dem Prado und dem Reina-Sofia-Museum als das drittbestbesuchte Museum des Landes präsentieren. Sein Nachfolger deckte die Mogelei auf, bei der auch das Publikum von Gratisveranstaltungen wie Freiluftkonzerten mitgezählt wurde; im Dezember gab es bei einer Anhörung im Regionalparlament dann das böse Erwachen: Nicht einmal ein Zehntel der Besucher kam wirklich, 90 Prozent erwiesen sich als reine Luftnummer.

In Berlin bei den Staatlichen Museen, wo man preußisch-gewissenhaft zählt, verhält es sich genau umgekehrt. Auch da taucht in der Statistik für das Jahr 2014 die Zehnprozentmarke auf, allerdings „nur“ unter der Rubrik Besucherschwund. Prompt fand Generaldirektor Michael Eissenhauer auf der Jahrespressekonferenz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz den Rückgang von 4,3 auf 3,9 Millionen Besucher „erfreulich gering“. Auch so kann man sich die Zahlen schönreden, denn ein Zehntel Minus ist sehr viel.

Den Museen fehlt das Geld für anziehende Sonderausstellungen

Die Erklärungen liegen auf der Hand, wenn die Häuser nicht mehr zugänglich sind. Das Pergamonmuseum, dessen Hauptattraktion, der Pergamonsaal, im September schloss, brach mit 265 000 Besuchern weniger ein (nur noch 995 000); ebenso das Museum Berggruen, das kurz nach Eröffnung seinen Erweiterungsbau wieder schließen musste (statt 135 000 nur noch 78 000). Wie aber sind die Einbrüche beim Hamburger Bahnhof von 300 000 auf 200 000 und noch dramatischer beim Neuen Museum zu erklären, das nach seiner furiosen Sanierung durch David Chipperfield vor wenigen Jahren erst wiedereröffnet wurde (statt 940 000 nur noch 633 000)?

Was zieht, sind Neueröffnungen, insbesondere wenn signature architecture als Publikumsköder ausgelegt ist. Die wenig später folgende Delle gehört zum gleichen Phänomen, wenn das Museum nicht mit Sonderausstellungen punkten kann. Und darin liegt auch das Problem für die Berliner Museen – und nicht nur für sie. Bei den in den letzten Wochen vorgelegten Zahlenwerken wurde landauf, landab ein Rückgang festgestellt. So viele Gäste wie im Spitzenjahr 2012, als noch die Documenta in Kassel hinzukam, konnten die Ausstellungshäuser seither nicht mehr mobilisieren. Es müssen Blockbuster her, der Ausstellungsbesuch als Event zelebriert werden, damit das Publikum kommt und vor allem die Gelder der Sponsoren fließen.

Die Museen selbst haben nicht die Mittel, um Transport, Versicherung, Ausstellungsaufbau zu finanzieren. Sie begeben sich damit ein Stück in die Hand ihrer Gönner, die auf Selbstdarstellung neben dem Guten, Wahren, Schönen bestehen dürfen. Ein Blick ins Ausstellungsprogramm des vergangenen Jahres verrät: Dort fehlten Knaller wie 2004 die Mega-Ausstellung „Das MoMA in Berlin“, seit der man die Warteschlange zelebriert. 2014 stellte die Wikinger-Ausstellung des Museums für Vor- und Frühgeschichte im Martin-Gropius-Bau mit 180 000 Besuchern eine solche Attraktion dar, gefolgt von der Schau des Videokünstlers Harun Farocki im Hamburger Bahnhof (165 000). 2015 dürfte die Botticelli-Ausstellung diesmal der Gemäldegalerie einen solchen Erfolg bescheren, die sich zusammen mit Kunstbibliothek, Kupferstichkabinett und Sonderausstellungshallen 2014 recht wacker hielt (295 000 Besucher, 10 000 mehr als 2013).

Ein Abwärtstrend der Besuche ist für 2015 allerdings vorauszusehen, wenn auch noch die Neue Nationalgalerie wegen Schließung die nächsten fünf Jahre aus der Statistik fällt. Zum Finale konnte der Mies-Bau noch einmal 257 000 Besucher locken, fast 100 000 mehr als im Vorjahr. Nun allerdings steht man vor dem schönen, leeren Bau – kein Schild, kein Hinweis darauf, dass es 50 Meter weiter dafür umso mehr Augenfutter gibt: Lieber Besucher, bitte gehen Sie nicht frustriert gleich wieder weg! Auch auf der Museumsinsel muss mehr an Öffentlichkeitsarbeit im Stadtraum geschehen, um den Ausfall im Pergamon-Museum zu kompensieren. Dass die Häuser schließen würden, ist seit Jahren bekannt. Die Ohrfeige „Zehn Prozent weniger Besucher“ schallt umso lauter.

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