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Ulrich Hoppe, Renato Schuch, Veronika Bachfischer, Iris Becher (v.l.)
© Gianmarco Bresadola

"Toter Hund ... " an der Schaubühne: Rousseau in der Reinigung

Immer dieser Zwang zur Unterhaltung: Angélica Liddell eröffnet mit „Toter Hund...“ das Neue-Dramatik-Festival FIND an der Berliner Schaubühne.

„Ich bin ein verbitterter Scheißtyp und voll daneben“, lässt uns Damir Avdic zu Beginn des neuen Abends der spanischen Regisseurin Angélica Liddell wissen. Ein „verfickter scheiß Schauspieler“, der „an der scheiß Schaubühne“ arbeite und dort – wegen der „scheiß Dreckschlampe von Regisseurin“ – einen Hund spielen müsse. Warum? Klaro: „Weil ein Hund mehr verdient als ein scheiß Schauspieler.“ Erste Lacher im Publikum: Das „scheiß verfickte“ Provobestreben wirkt – zumal 2017 – vor allem unfreiwillig komisch.

Dass der Hund im weiteren Verlauf der reichlich zweieinhalbstündigen pausenlosen Inszenierung „Toter Hund in der Chemischen Reinigung: die Starken“ getötet wird, liegt zwar ebenfalls nahe. Dass ihn das allerdings nicht davon abhält, weitere Betrachtungen über Individuum, Künstler und Gesellschaft anzustellen, natürlich auch. Leider, wie man sich zu denken nicht ganz erwehren kann. Denn dass es sich bei Liddell um eine verdiente Regisseurin und Performancekünstlerin handelt, steht zwar außer Frage. Dass ihre aktuelle Produktion aber über weite Strecken wahnsinnig mühsam ist, ebenfalls. Das größte Übel des „scheiß Schauspielers“ bestehe schließlich darin, „Ethik und Ästhetik mit verfickter Unterhaltung“ zu vermischen, flüstert uns einmal der Hund. Und dieses Anti-Entertainment-Gebot nimmt die Regisseurin wirklich verdammt ernst.

Das denkwürdige Grüppchen wäscht schmutzige Wäsche

Der Hund ist natürlich nicht allein. Als geistige Sprungbretter dienen ihm Rousseaus staatsphilosophisches Standardwerk über den Gesellschaftsvertrag und Denis Diderots philosophischer Dialog „Rameaus Neffe“. Unmittelbar bühnenpraktisch unterstützt wird er von der Prostituierten Getsemani (Iris Becher), dem Ex-Museumswächter Lazar (Lukas Turtur), dem Spielmeister Combeferre im Sportdress (Renato Schuch), der Pädagogin Hadewijch (Veronika Bachfischer), von der wir erfahren, dass sie Sex mit einem 12-jährigen Schüler hatte, sowie dem Reinigungsangestellten Octavio (Ulrich Hoppe). An dessen Arbeitsplatz, der titelgebenden chemischen Reinigung, findet sich das denkwürdige Grüppchen zusammen. Und wäscht – was sonst – schmutzige Wäsche. Vor allem von notorisch verdreckten und blutigen Brautkleidern ist auf dem säuberlich-viereckigen Kunstrasenstück, das Liddell als Autorin, Regisseurin, Bühnen- und Kostümbildnerin in Personalunion in der Mitte des Szenarios platziert hat, wiederholt die Rede. Es geht hier gewissermaßen darum, sich in unsere kollektiven wie individuellen Verdrängungen vorzuarbeiten.

Und wie das eben so ist im Un(ter)bewussten, gehen Totalitarismus und Demokratie, Sex und Gewalt, Kunst und Kitsch wild durcheinander. Liddell hat dafür eine in naher Zukunft angesiedelte (europäische) Dystopie entworfen – ein angesagtes Genre derzeit auf dem Theater –, in der die absolute Sicherheit regiert, Migranten eliminiert sind und die verbliebene „gesicherte“ Restgesellschaft auf sich und ihre inhärenten Widersprüche zurückgeworfen ist. Man tritt also, mehr oder weniger zusammenhanglos, immer mal wieder zum Wettrennen an, parliert über Bayern versus Dortmund, schleppt nackte Leichen davon, vollzieht sakrale Rituale, zuckt, zittert und stirbt zu Gewehrsalven aus der Konserve und driftet von philosophischem Gedankengut geradewegs in Moral-Appelle: „Ihr habt dem Vertrag zugestimmt, auf Punkt und Komma, ihr habt mitgemacht.“

Immerhin gab es in Berliner Theatern schon länger keine derart direkte Kommunikation mehr zwischen Publikum und Bühne. Viele Zuschauer verlassen die Aufführung vorfristig – und parieren entsprechende verbale Seitenhiebe des „scheiß Schauspielers“ mit einem lässigen: „Is’ leider ’ne scheiß Regie“. Irgendwann verlassen die Akteure auch mal für ein paar Minuten komplett die Bühne. Großes Hallo im Parkett: „Wir wären dann soweit“, ruft es aus den hinteren Reihen.

Demokratie und Tragödie

Keine Frage: Angélica Liddell hat schon weitaus interessanter provoziert; vor allem, wenn sie selbst auf der Bühne stand. Die Spanierin unterzieht sich in ihren eigenen Shows ja gern ausgedehnten Masturbationsanstrengungen, steckt sich Blumensträuße in den nackten Hintern, verbrennt sich die Finger vorsätzlich in heißer Milch oder ritzt sich mit Rasierklingen die Haut auf. Das ist zwar nichts, was andere nicht auch schon getan hätten. Aber die Art und Weise, in der Liddell diese Handlungen vollstreckt – mit einer im besten Sinne irritierenden Energie und einer durchaus ambivalenten Notwendigkeitsanmutung –, war bis dato zumindest im Theater ziemlich einmalig.

„Toter Hund in der Chemischen Reinigung: die Starken“ ist nun die erste Inszenierung der 1966 geborenen Spanierin mit einem deutschen Ensemble – und eine der wenigen, in denen sie nicht selbst mitwirkt. Dafür passt der Abend, der das traditionelle „Festival Internationale Neue Dramatik (FIND)“ an der Schaubühne eröffnet und anschließend ins Repertoire übergeht, thematisch immerhin hervorragend ins diesjährige Motto „Demokratie und Tragödie“.

Weiter geht’s in den kommenden Tagen mit Gastspielen von Romeo Castellucci, mit der ersten Theaterarbeit des mehrfach preisgekrönten chilenischen Filmregisseur Pablo Larraín, mit dem New Yorker Richard Nelson und seinen Momentaufnahmen aus der US-amerikanischen Präsidentschaftswahl oder mit Anne-Cécile Vandalems schwarzhumoriger Polit-Hysterisierungsstudie „Tristesses“ aus Belgien. Und natürlich gibt`s auch jede Menge Selbstbeteiligungseinladungen: In Roger Bernats „Pendiente de voto“ aus Barcelona darf das Publikum mittels Abstimmungsgeräten live über Fragen des Gemeinwesens entscheiden. Und in Christophe Meierhans’ „Verein zur Aufhebung des Notwendigen“ aus Brüssel wird basisdemokratisch gekocht. Empfehlung aus der Schaubühne: „Kommen Sie hungrig!“

Wieder an diesem Samstag, 15 Uhr, sowie 11. und 12. April, 19.30 Uhr. FIND-Festival bis 9. April, www.schaubuehne.de

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