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Schatzkammergut. In der Aachener Karlsbüste von 1350, einem Meisterwerk gotischer Goldschmiedekunst, wird die Schädeldecke Karls des Großen als Reliquie verwahrt.
© epd

Aachen feiert Karl den Großen: Ein schöner Mann, ein Barbar

Karl der Große war Krieger, Europäer, Baumeister und Reformer: Aachen feiert "Charlemagne" zu seinem 1200. Todestag mit drei großen Ausstellungen.

Das Kinn entschlossen nach vorn gereckt, die Lippen zusammengepresst, die Augen träumerisch in die Ferne gerichtet, so blickt Karl der Große dem Betrachter entgegen. Ein idealerer Kaiser als der in Gestalt der berühmten, 1349 entstandenen Karlsbüste lässt sich kaum denken. Ein schöner Mann: Das Gesicht unter der mit Edelsteinen besetzten Krone wird von sanft verwirbelten Haaren gerahmt, der Bart ist beeindruckend. Wie weit seine Macht reichte, zeigen die Attribute: Adler auf dem Gewand stehen für das Heilige Römische Reich deutscher Nation, die Lilien auf dem Sockel für Frankreich.

Die überlebensgroße Büste, eine atemberaubende Arbeit aus vergoldetem Silber, diente als Reliquiar. In ihr verwahrte man die Schädelkalotte des Kaisers, der wie ein Heiliger verehrt wurde. So signalisiert das Werk den Aufstieg des weltlichen Herrschers zu göttlicher Macht. Karl ist in den drei Ausstellungen, die ihm seine einstige Residenzstadt Aachen nun zum 1200. Todestag widmet, noch in anderer Form zu sehen: als barocker Kirchenheiliger, Marionettenfigur, Bekrönung eines Tafelaufsatzes und sogar als Vorlage für Printen, eine lokale Backspezialität. Karl ist auch deshalb so groß, weil er nie in Vergessenheit geriet, anders als andere Kaiser des Mittelalters.

Karl, der blutige pater Europae

Als Karl am 28. Januar 814 in Aachen starb, hatte er ein Reich aufgebaut, das vom Kanal bis nach Süditalien, von der Elbe bis über die Pyrenäen reichte. Er unterwarf Langobarden, Sachsen und Awaren und begründete das mittelalterliche Kaisertum, das als Heiliges Römisches Reich bis 1806 bestand. Schon kurz vor dem Jahr 800 wurde er im „Paderborner Epos“ als pater Europae gerühmt. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat man ihn, der in Frankreich Charlemagne und in Italien Carolomagno genannt wird, politisch vereinnahmt und als Vorkämpfer des „Christlichen Abendlandes“ gefeiert. Seit 1950 wird der Aachener Karlspreis an Persönlichkeiten verliehen, die sich um die europäische Einigung verdient machen. Bis heute eignet sich der Kaiser für europäische Hoffnungen und Visionen – weshalb die Aachener Ausstellungs-Trias unter der Schirmherrschaft des deutschen Präsidenten Gauck und seiner französischen und italienischen Kollegen Hollande und Napolitano steht. Zur Eröffnung am Donnerstag würdigte Joachim Gauck den Kaiser als einen Mann, der sein Leben „nicht nur der Politik, sondern auch der Kultur, der Bildung, kurz der Zivilisation“ gewidmet habe.

Aber Karl war keineswegs friedliebend, er führte unentwegt Krieg. Das von seinem Vater Pippin ererbte Frankenreich hat er flächenmäßig in etwa verdoppelt. Der Heidelberger Historiker Stefan Weinfurter bezeichnet ihn im Untertitel seiner kürzlich erschienenen Biografie (Piper Verlag) als „heiligen Barbar“.

Karl regierte hat von 768 bis 814, fast ein halbes Jahrhundert. Im Jahr 800 ließ er sich in Rom zum Kaiser krönen, von Papst Leo III., den er zuvor aus der Gefangenschaft befreit hatte. Gnadenlos ging Karl gegen die heidnischen Sachsen vor, gegen die er seit 772 eine Art dreißigjährigen Krieg führte. Er habe mit solcher Grausamkeit gewütet, heißt es in einer zeitgenössischen Quelle aus England, dass man „an seinem Geisteszustand zweifeln müsse“. Ein Blutbad in Verden an der Aller trug dem Frankenfürsten den Ruf des „Sachsenschlächters“ ein. Doch Karl verhielt sich auch als gewiefter Taktiker und Realpolitiker. Als sich sein Kontrahent Widukind ergibt, lässt er ihn ins Frankenreich bringen und wird bei dessen Taufe zu seinem Paten.

Ausstellung im Aachener Rathaus: "Orte der Macht"

„Orte der Macht“ heißt die Ausstellung im Aachener Rathaus, die unter dem gotischen Kreuzrippengewölbe des Krönungssaal auf 800 Quadratmetern Karls Weg vom Reiseherrscher in die Sesshaftigkeit schildert. Die mittelalterlichen Könige und Kaiser waren viel unterwegs. Sie mussten ihren Herrschaftsanspruch gegenüber lokalen Machthabern durchsetzen, Verbündete akquirieren, Recht sprechen, Feldzüge anführen. Der Dagobert-Thron, ein merowingischer Klappsitz aus dem 7. Jahrhundert, erinnert denn auch an einen modernen Campingstuhl – in der Ausstellung ist er in Kopie zu sehen. Außerdem: Ein karolinginscher Panzerreiter mit Ausrüstung, zu der Kettenhemd, Helm, Schild, Lanze und Schwert gehörten – sie kostete mehr als ein Bauernhof. In Vitrinen liegen Lanzenspitzen und ein Schädel aus dem späten 8. Jahrhundert, der deutliche Hiebspuren trägt. Zwischen den leeren Augenhöhlen klafft ein Spalt.

Mit Karls Herrschaft hat die südliche Lebensart Einzug gehalten im Frankenland.

Die Reichskrone im Krönungssaal des Rathauses.
Die Reichskrone im Krönungssaal des Rathauses.
© dpa

Bei seinen Reisen fand Karl auch Vorbilder für die Prachtentfaltung seines Hofes. So zeigt die Ausstellung ein Bodenmosaik aus dem Palast des Theoderich und ein Korbkapitell aus Ravenna. Karl hat Ravenna 787 und 801 besucht. Zu bauen wie die Römer, das war sein Anspruch. Schließlich sah er sich in der imperialen Tradition der Cäsaren, der Glanz seiner Herrschaft sollte mithalten können mit dem der oströmischen Kaiser von Byzanz. Die Architekturbücher des antiken Autors Vitruv wurden zum Leitbild seiner Bautätigkeit. Mit der Errichtung seiner Pfalzen hatte Karl bereits begonnen, bevor er Kaiser wurde.

Die Schau versammelt Exponate aus den Kaiserpfalzen von Nimwegen, Ingelheim und Paderborn, die heute fast vollständig verschwunden sind. Mit Karls Herrschaft muss eine verfeinerte südliche Lebensart Einzug gehalten haben im Land der Franken, das belegen Austernschalen, die man bei Ausgrabungen entdeckte. Dass der Kaiser sich Aachen für die letzten 30 Jahre seiner Regierungszeit als Lieblingsresidenz aussuchte, hatte mit den heißen Quellen dort zu tun. Karl soll mit bis zu hundert seiner Getreuen gemeinsam gebadet haben.

"Karls Kunst": Spitzenobjekte des karolingischen Kunstschaffens

Das Centre Charlemagne, das neugeschaffene Aachener Stadtmuseum, eröffnet seine Räume mit „Karls Kunst“. In heruntergedimmtem Licht werden 31 Spitzenobjekte des karolingischen Kunstschaffens präsentiert, die unter anderem aus London, Paris, Wien, Leyden und dem Vatikan angereist sind. Dazu gehören der Leipziger Engel, ein herrliches Elfenbeinrelief des Erzengels Michael, und der kostbare Tassilokelch aus dem Benediktinerstift Kremsmünster. Eine Sensation bildet die Auswahl der Handschriften im Obergeschoss. Von den sieben erhaltenen Büchern, die an Karls Aachener Hofschule entstanden, sind vier zu sehen. Im Harley-Evangeliar, das überreich mit Gold auf Pergament ausgestattet ist, sitzt der Evangelist Johannes wie eine Herrscherfigur auf einer Art Thron – ein Stellvertreter Gottes. Und das Godescalc-Evangelistar zeigt einen fantastischen, fast surrealen Lebensbrunnen mit exotischen Tieren.

Die von Vergleichsstücken gerahmten Handschriften verdeutlichen die rapide Weiterentwicklung der Hofschule: weg von merowingischen Schleifenornamenten, hin zu Detailtreue, architektonischen Spielereien und strenger Aufteilung des Schriftbildes. Karl war auch ein großer Bildungsreformer, er holte herausragende Gelehrte an seinen Hof. Dabei ist unklar, ob er selber überhaupt lesen konnte. Die Werke des Kirchenvaters Augustinus ließ er sich bei Tisch vorlesen, Karls Regierung brachte eine ganze Flut von Texten hervor, sein Biograf Stefan Weinfurter spricht gar von einem „Schreibrausch“. Noch unsere heutige Schrift geht auf die „Karolingische Minuskel“ zurück.

Verlustgeschichten um die "Verlorenen Schätze"

Die Ausstellung „Verlorene Schätze“ in der Domschatzkammer wiederum erzählt Verlustgeschichten. Hunderte von Objekten sind aus Aachen verschwunden, einige sind jetzt leihweise zurückgekehrt. Aus Geldnot verkauften Kirchenleute Handschriften, Napoleon nahm Kunstwerke mit nach Frankreich, die Kaiserkrone gelangte nach Wien. Und der Kunsthistoriker und Kanoniker Franz Bock, auch „Scheren-Bock“ genannt, zerschnitt im 19. Jahrhundert wertvolle Stoffe, sogar Kaisermäntel. Ein solcher Ausschnitt aus dem byzantinischen Quadriga-Stoff, geziert von einem Wagenlenker und Pferden, ist über dem römisch-antiken Proserpina-Sarkophag zu sehen, in dem Karl beigesetzt wurde. Es war sein Leichentuch.

Und noch eine Verlustgeschichte: Die um 1420 entstandene „Aufzeichnung der Aachener Heiligtümer“ war im Kölner Stadtarchiv aufbewahrt worden. Nun ist sie nach Aachen zurückgekehrt. Die Schrift ist verlaufen, die Schäden stammen vom Grundwasser nach dem dramatischen Einsturz des Archivs.

„Karl der Große. Macht Kunst Schätze“, Aachen. Bis 21.9. im Krönungssaal im Rathaus, Centre Charlemagne und Domschatzkammer. So–Mi 10–18 Uhr, Do–Sa 10–21 Uhr. Infos: www.karldergrosse2014.de

Christian Schröder

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