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Ringparabel im Hier und Heute: Kay Wuscheks "Nathan der Weise".
© Christian Brachwitz

„Nathan der Weise“ im Theater an der Parkaue: Ringparabel für die Gegenwart

Ob Christ, Moslem, Jude - "Nathan der Weise" erzählt von Ebenbürtigkeit der Religionen. Kay Wuschek inszeniert das Drama trotzdem als brüchigen Waffenstillstand.

Vor der Islamisierung des Abendlandes muss sich niemand fürchten. Vor der Christianisierung übrigens auch nicht. Nathans Spontanerhebung im Publikum der Parkaue („Wie hältst du's mit der Religion?“) zeigt eine klare Tendenz zum Unglauben. „Wer ist Christ?“, „Wer ist Moslem?“, „Wer ist Buddhist?“ – da regt sich keine Hand. Ein paar Agnostiker geben sich zu erkennen. Die Mehrheit stellen die Atheisten. Das ist nicht einfach eine muntere Mitmach-Szene, die Regisseur Kay Wuschek hier seinen großartigen Nathan-Darsteller Jakob Kraze performen lässt. Sondern eine kluge Verortung von Lessings Religionen- und Ideen-Drama in der Berliner Gegenwart. Und zugleich im Resonanzraum der Nachrichtenschrecken zwischen Pariser Attentat und „Pegida“-Bewegung, die man schwerlich ausblenden kann, wenn man hier und heute eine Ringparabel erzählen will.

Wuschek, Intendant von Berlins jungem Staatstheater, inszeniert „Nathan der Weise“ für Menschen ab 16. Die Geschichte lässt er dabei ebenso wie Lessings Sprache des 18. Jahrhunderts unangetastet. Der Jude Nathan kehrt von einer Geschäftsreise nach Jerusalem heim und erfährt, dass seine Pflegetochter Recha (Franziska Krol) unterdessen von einem jungen christlichen Tempelherrn (Jonas Lauenstein) aus seinem niedergebrannten Haus gerettet wurde. Was ihn aber nicht an Schutzengel glauben lässt. Nathan ist Vernunftmensch. Und als solcher auch angemessen vorsichtig, als Sultan Saladin (Denis Pöpping) ihm die Frage nach dem wahren Glauben stellt. Nathan antwortet ihm mit dem Gleichnis von der Ebenbürtigkeit und Verwandtschaft der drei großen Religionen.

Kay Wuschek glaubt nicht an blumige Toleranzreden

Dass sich Frieden und Verständnis mit blumigen Toleranzreden stiften lassen, glaubt Wuschek natürlich nicht. Sein drei Stunden langer, aber fesselnder Lessing spielt deshalb in einer hochnervösen Atmosphäre des brüchigen Waffenstillstands, wo alle mit der Knarre schnell bei der Hand sind und sich der Nathan vor der Ringparabel erst mal in Form koksen muss. Der Schauplatz – das macht die Inszenierung spannend – ist dabei global. Wandhohe Fotografien von Metropolen wie New York, Prag oder Athen säumen die Bühne (Ausstattung: Magdalena Musial), wie auch das Mobiliar aus Vergangenheit und Gegenwart zusammengeklittert ist. Dieser „Nathan“ ist eine zeitlose Welterzählung.

Weitere Vorstellungen vom 20. bis 24.1., dann wieder im März

Patrick Wildermann

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