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Kultur und Politik. Vor dem Haus der Berliner Festspiele versichert Klaus Wowereit demonstrierenden Studenten der Schauspielschule „Ernst Busch“ seine Solidarität. Der Neubau ihrer Schule wurde zuvor im Hauptausschuss gestoppt.
© krohnfoto.de

Theatertreffen 2012: Ringelpiez mit Abschneiden

Schmerz und Geld: Das Theatertreffen ist eröffnet - und wird zur Bühne für kulturpolitische Kämpfe.

Wie die Termine so zusammenfallen. Im Lauf des Freitags lässt sich der Hauptausschuss im Abgeordnetenhaus dazu herab, dem finanziell bedrohten Grips-Theater etwas Luft zu verschaffen. 100.000 Euro gibt es jetzt jährlich obendrauf, Berlins berühmteste Kinder- und Jugendtheaterbühne braucht aber noch läppische 50.000 Euro mehr. Wie gern und blumig sprechen Politiker von „kultureller Bildung“ - nur allzu konkret darf die Sache wohl nicht werden. Das Grips muss weiter kämpfen.

Was die Besucher bei der Eröffnung des Theatertreffens aber noch viel heftiger umtreibt, ist die Entscheidung der SPD, den Neubau der Schauspielschule „Ernst Busch“ vorerst zu stoppen. Seit Jahren laufen die Planungen, Millionen waren längst bewilligt (und viel Geld auch schon ausgegeben), und plötzlich wird der Ausbildungsstätte des deutschen Theaters und Films bedeutet, dass der Betrieb nun doch in dem ranzigen Plattenbau in Niederschöneweide und an den anderen, über die Stadt verstreuten Orten bleiben soll; womöglich wird renoviert, und das kann am Ende teurer werden als ein neues Haus.

Occupy macht Schule

Unter den majestätischen Kastanienbäumen am Haus der Berliner Festspiele stehen die Studenten und skandieren ihren Protest. Schöner kann die Luft an einem ersten Festivalabend nicht sein. Die Gäste hochgestimmt, aber auch hellwach. Der Auftritt der Schauspielstudenten ist gut geprobt, seit einer Woche haben sie auf dem versprochenen Bauplatz an der Chausseestraße campiert, der Protest findet in der Öffentlichkeit breite Unterstützung. Occupy macht Schule.

Das Grips-Theater vor der Pleite, die hochgerühmte Schauspielschule ins Abseits gestellt, wie kann das sein? So fragen sich viele: Wie kann man an Bildung des jungen und jüngsten Publikums und an der Ausbildung kommender Schauspielergenerationen sparen? Weiß der Berliner Senat nicht, welche Schätze ihm da anvertraut sind? Verliert der Regierende Kulturmeister Wowereit, der so gern den einfachen Jungen aus Berlin spielt, den Kontakt zur Basis?

Mit einer kleinen, aber wirkungsvollen und dann doch großen Geste holt Thomas Oberender, der neue Intendant der Berliner Festspiele, einen Ernst- Busch-Studenten auf die Bühne. Ein unbekannter junger Mensch spricht und bittet um Hilfe, und nach ihm erst kommt der Festspielchef und schließlich der Kulturstaatsminister. Es ist ein guter Beginn für Thomas Oberender. Knapp umreißt er den Strukturwandel und „Haltungswechsel“ im deutschsprachigen Theaterraum: „Internationalität und Verflüssigung der Grenzen sind keine Privilegien der Wirtschaft.“ Bernd Neumann zeigt sich stolz auf diese Bühnenlandschaft. 145 öffentlich getragene Theater gibt es in der Bundesrepublik, „und wir brauchen sie alle“, sagt der Mann aus dem Kanzleramt: „Wir brauchen auch das Theatertreffen.“

In streitbaren Zeiten war dieses Festival immer gut

Diese 49. Ausgabe haben die Münchner Kammerspiele eröffnet, mit einer Trilogie der britischen Dramatikerin Sarah Kane, die sich 1999 das Leben nahm. Ursprünglich einzelne Stücke, wurden sie vom Münchner Intendanten Johan Simons zu einer langen Reise in den Schmerz montiert. Das setzt ein mit „Gesäubert“. Sieben Schauspieler spielen Doktor und Grausamkeiten, Sex und Totschlagen, Folter und Ringelpiez mit Abschneiden. Schwer erträglich, diese Verharmlosung von Gewaltfantasien, die damals auch unter dem Eindruck des Jugoslawienkriegs entstanden. Der Abend schreitet fort in seiner Reduktion, wird stärker. Jetzt nur noch vier Akteure zappen sich in

„Gier“ durch Phrasen, Horrorgeschichten und Einsamkeitsprogramme, und schließlich: „4.48 Psychose“. Sarah Kanes letzter Text, der an Antonin Artauds Schreie aus der Psychiatrie erinnert. Nur noch zwei: Thomas Schmauser und Sandra Hüller bewegen sich hinein in den Tunnel der emotionalen Totalverfinsterung, begleitet von einem Kammerorchester, das auf der Bühne sitzt und diese letzte Stunde melodramatisch durchspielt. Ein grandioses Schauspielerpaar, ein in seiner Hermetik, seiner Qual kaum aushaltbarer Text, eine Inszenierung, die spät zu sich findet und laut bejubelt wird.

Das Theatertreffen 2012 ist eröffnet, und der kulturpolitische Kampf geht weiter. In seinen streitbaren Zeiten war dieses Festival immer gut. Kein schlechtes Omen für die neue Festspielleitung.

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