Musikfest Berlin: Rennen ist besser als fliegen
Das Musikfest Berlin ist gestartet, im Kammermusiksaal der Philharmonie gab es am Mittwoch mit dem Frankfurt Ensemble Modern bereits einen Vorgeschmack - und der macht Lust auf mehr.
Schrill geht es los, mit einem Aufschrei aller Instrumente – die sich dann sofort in einen rhythmischen Wirbel stürzen und mit motorischem Drive verlässlich abschnurren wie eine Spieluhr. „Chamber Symphony“ hat John Adams sein Stück von 1992 genannt, vom Titel her eine Hommage an Arnold Schönberg, in der Realität eher eine produktive Absetzung davon.
Schönberg steht im Mittelpunkt des diesjährigen Musikfests Berlin. Das wird zwar erst am Donnerstag so richtig eröffnet, einen Auftakt gab es aber schon am Mittwoch im Kammermusiksaal. Langgezogene, elegische Bögen prägen den zweiten Satz dieser „Kammersymphonie“, hektische kleinteilige Figuren, gespielt vor allem von den Holzbläsern und hohen Streichern, den dritten.
Die Musiker leisten Übermenschliches
„Roadrunner“ heißt dieser Satz, nach einer US-Zeichentrickfigur aus den fünfziger Jahren: ein Vogel, der nicht fliegen, aber sehr schnell rennen kann. Und so klingt es auch, nie bleibt die Musik einen Moment stehen, entfaltet aber in dieser Hektik einen ganz eigenen, spröden Reiz, einen Sog, dem man sich schwer entziehen kann. Das Frankfurt Ensemble Modern legt, unter der emphatischen Leitung von Brad Lubman, ein starkes Plädoyer für Adams Kompositionen ein, kehrt ganz deren Ausdrucksseite, Emotionalität nach außen. Vor allem dann im zweiten, viel früher entstanden Stück des Abends: „Shaker Loops“ (1978, überarbeitet 1983). Zittrige Tremoli, aufgebaut aus Quarten, flirren durch den Saal, subtil hebt und senkt sich die Dynamik, die Musiker – allen voran der Erste Geiger Jagdish Mistry – leisten auch physisch schier Übermenschliches, zeigen sich tief vertraut mit dieser Musik.
Leider fällt der Spannungsbogen nach der Pause ab: Steve Reichs „Tehillim“ (1981), ein der Fantasie des Komponisten entsprungener jüdischer Liturgiegesang auf Texte des Psalters, erschöpft sich in der monotonen, rasselunterlegten Wiederholung des Immergleichen, gerettet einzig von den drei silbrigen, elektronisch verstärkten, dabei nicht modifizierten Sopranen (und einem Alt) des Quartetts Synergy Vocals. Trotz des eher schwachen Schlusses: Der Abend ist bereits komplett durchdrungen vom Geist des Musikfests, das gern abseitige, starke Programme präsentiert. Und macht Hunger und Lust auf mehr.