zum Hauptinhalt
Zu seinen Theaterarbeiten zählen „Der Kick“ und „Das Himbeerreich“.
© Uli Deck/p-a/dpa

Berlinale Wettbewerb: Reise in den Nebel

Hilfloses, meist bockiges Schweigen zwischen Vater und Sohn. Mit Thomas Arslans Wettbewerbsbeitrag „Helle Nächte“ geht es durch die menschenleeren, norwegischen Berglandschaften.

Das Bild des rasenden Stillstands gehört zu den Allgemeinplätzen im Roadmovie. Die Gegensätze von emotionaler Verschlossenheit und räumlicher Weite, äußerlicher Mobilität und innerer Stagnation sind gewissermaßen die Triebkräfte des Genres. In Thomas Arslans „Helle Nächte“ wird man wieder an diese Disposition des Roadmovies erinnert, denn eine äußere Dramaturgie ist in der Vater-Sohn-Geschichte nachrangig. Ein hilfloses, mal wütendes, meist bockiges Schweigen begleitet die langen Autofahrten von Michael (Georg Friedrich) und seinem entfremdeten Sohn Luis (Tristan Göbel aus „Tschick“) durch die nahezu menschenleeren Berglandschaften Norwegens.

Michael hat den Kontakt zu Luis vor Jahren abgebrochen. Er war weder ein guter Ehemann noch ein sonderlich fürsorglicher Vater. Die Fehler seines eigenen Vaters hat er wiederholt, das emotionale Unvermögen wird von Generation zu Generation vererbt. Als der Vater, der seine letzten Lebensjahre in Norwegen verbracht hat, nach Jahren der Funkstille überraschend stirbt, nimmt Michael dessen Tod zum Anlass, den Teufelskreis zu durchbrechen. Er lädt Luis ein, ihn auf die Beerdigung zu begleiten. Ein bisschen Trauerarbeit, ein bisschen Vater-Sohn-Bonding beim Camping – die späte erzieherische Maßnahme erweist sich als vergeblich. Michael fehlen die Worte, um sein Scheitern zu artikulieren, Luis lässt den Vater mit seinen ungelenken Annäherungsversuchen auflaufen.

"Helle Nächte" mangelt es an Zeitgefühl

Schon in seinem letzten Film „Gold“ hat Arslan seine Figuren in eine mythische Landschaft geschickt, den amerikanischen Westen. In „Helle Nächte“ ist die Beziehung Mensch-Natur abstrakter. Die Natur stellt keine Bedrohung dar, lediglich eine Erweiterung brachliegender Gefühlswelten. Es gibt Schauspieler, die verfügen über die besondere Gabe, auf äußerst elaborierte Weise zu schweigen. Doch Arslan scheint seinen eigenen Darstellern nicht genug zu vertrauen, um seinen formalen Minimalismus konsequent zur Entfaltung zu bringen.

Stattdessen tauschen Vater und Sohn merkwürdig banale Sätze aus, die ihre Kommunikationsstörung illustrieren, aber nicht die Hilflosigkeit des Drehbuchs kaschieren können. Die Leere, die seine Figuren umtreibt und sich in der Landschaft doppelt, findet keinen adäquaten Ausdruck – nicht in den langen, vom „Slow Cinema“ inspirierten Einstellungen, dem Zusammenspiel von zeitlicher und räumlicher Erfahrung, noch in der Chemie zwischen Friedrich und Göbel. Da fällt dem Film am Ende nicht mehr ein, als Vater und Sohn schweigend beim Steinehüpfen zu beobachten. Und eine hochsymbolische Kamerafahrt in den dichten Nebel hinein ist entweder zu kurz – oder viel zu lang. Trotz seiner nur 86 Minuten mangelt es „Helle Nächte“ an Zeitgefühl.

Dem Privaten kommt ein höherer Stellenwert zu als dem Politischen

Der erste deutsche Beitrag ist ein guter Zeitpunkt für die Zwischenbilanz eines an Höhepunkten bisher armen Wettbewerbs, der allerdings auch keine Ausreißer nach unten verzeichnet. Auffällig ist, dass sich unter den bisherigen Filmen gleich mehrere Paare finden: zwei historische Dramen („Django“, „Viceroy’s House“) sowie zwei im Ton sehr unterschiedliche Kammerspiele („The Dinner“, „The Party“). „Helle Nächte“ verschlägt es wie Agnieszka Hollands „Pokot“ von der Stadt in die Natur, wobei Hollands Provinzkrimi deutlich allegorischer als Gesellschaftssatire angelegt ist.

Dass dem Privaten dieses Jahr ein höherer Stellenwert als der Politik zukommt, hatte sich bereits im Vorfeld angekündigt. „On Body and Soul“ über eine fragile Liebesgeschichte im Schlachthaus ist der bisherige Überraschungsfilm. Die ungarische Regisseurin Ildikó Enyedi erzählt von zwei Menschen, die sich in der physischen Welt so unbehaust fühlen, dass sie über ihre Träume in Kontakt treten. Der Schlachthof wird zum exemplarischen Ort der Entfremdung, der auch etwas über das Verhältnis des Menschen zum Tier verrät – ein weiteres Thema der Berlinale. Tiere erfüllen im  Wettbewerb eine zivilgesellschaftliche Funktion, sie waren schon Auslöser eines politischen Erwachens („Django“) und revolutionärer Umstürze („Pokot“). Vielleicht erweist sich die Beziehung von Mensch und Tier in diesem Jahr noch als das eigentliche Politikum.

14.2., 9.30 Uhr und 17.30 Uhr; 19.2., 21.45 Uhr (alle Friedrichstadt-Palast)

Zur Startseite