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Thomas Arslan, 50, studiert gern Gangarten in seinen Filmen.
© Doris Spiekermann-Klaas

Thomas Arslan im Interview: „Die Pferde sind weich gefallen“

Thomas Arslan spricht im Interview über seinen Western „Gold“ der als einziger deutscher Beitrag im Wettbewerb der Berlinale läuft. Außerdem über Stunt-Pferde, warum aus ihm kein Reiter mehr wird und deutsche Migranten im Film.

Herr Arslan, Ausgangspunkt für „Gold“ war ein Buch über den Klondike-Goldrausch Ende des 19. Jahrhunderts, das Sie in einem Antiquariat fanden. Was hat Sie so gepackt, dass ein Film daraus wurde?

Damals verbreiteten sich gerade die Kodak-Amateurkameras in Windeseile, es gibt viele Fotos von den Goldsuchern und den Landschaften, in denen sie sich bewegten. Und es gibt Tagebuchaufzeichnungen, anfangs ausführliche Notizen, mit zunehmenden Strapazen werden sie spärlicher. Ich stieß dann darauf, dass die Deutschen damals die größte Einwanderungsgruppe in Amerika waren. Viele gingen aus Armut, andere, weil sie Deutschland als beengend empfanden, ungefähr sechs Millionen von 1830 bis 1900. In den USA herrschte jedoch große Not, also brachen etliche noch einmal auf. Das hat mich interessiert: wie Menschen zweimal hintereinander ihre Existenz aufs Spiel setzen.

Emily Meyer, gespielt von Nina Hoss, bewegt sich allein unter Männern und wird respektvoll behandelt. War so ein Treck nicht gefährlich für eine Frau?
Ich bin in den Briefen und Tagebüchern auch auf Frauen gestoßen, die alleine loszogen. Emily schließt sich nicht so schnell jemandem an, legt Wert auf ihre Autonomie, auch ich wollte ihr erst mal Raum geben. Die Gruppen, die monatelang unterwegs waren, bildeten Zweckgemeinschaften. In der kanadischen Wildnis war man angewiesen aufeinander.

Nina Hoss reitet für Berlin. In "Gold" spielt sie die deutsche Auswanderin Emily Meyer, die sich in Kanada einem Treck von Goldsuchern anschließt.
Nina Hoss reitet für Berlin. In "Gold" spielt sie die deutsche Auswanderin Emily Meyer, die sich in Kanada einem Treck von Goldsuchern anschließt.
© piffl medien

In all Ihren Filmen geht es um Gangarten, um die täglichen Wege der Kreuzberger Kids, um die Bewegungen eines Gangsters im Berlin-Krimi „Im Schatten“ und jetzt um sieben Abenteurer, die wochenlang zu Pferde unterwegs sind. Warum zeigen Sie das Unterwegssein so gern?

Es stimmt, ich zeige gern Menschen auf der Suche und den physischen Prozess, der daraus resultiert, nicht genau zu wissen, wo es hingeht. Ich fände es schön, wenn der Zuschauer ein Gefühl für den Raum bekommt, den die Reisenden in „Gold“ überwinden, bis ihnen die Kräfte ausgehen. Am Anfang ist da ein großes Versprechen und irgendwann nur noch eine große Verlorenheit in der Weite der Landschaft, die sie zermürbt oder in den Wahnsinn treibt. Menschen in Bewegung, das Haptische, Physische beim Versuch, eine Strecke zu bewältigen, das ist für mich Kino: dafür einen Rhythmus und eine Form zu finden.

Womit wir beim Western wären. Es gibt Spaghetti-Western, Spätwestern, ScienceFiction-Western und mit Ihrem Film jetzt auch einen Western der Berliner Schule. Warum ist das Genre nicht totzukriegen?
Im klassischen Western geht es ja darum, den Raum zu besiedeln, Gesellschaft neu zu organisieren, sich über Regeln zu verständigen. Die große Freiheit, dieser Kern des amerikanischen Mythos, schnurrt im Western auf das Allzumenschliche zusammen, darauf, wie das scheinbar Selbstverständliche neu verhandelt wird. Wie entsteht Recht, wie entsteht eine Stadt, was ist zuerst da? Der Saloon, das Bordell, das Gefängnis … In „Gold“ ist all das schon geschehen, aber es gibt einen Nachhall davon. Etwa in der Szene, als die Gruppe darüber streitet, wie man einen Betrüger bestraft. Städter aus halbwegs modernem Kontext befinden sich plötzlich im rechtsfreien Raum – eine große Versuchung.

Emily sieht man ihre Herkunft anfangs deutlich an: gebügelte Bluse, sauberes Tuch, das verliert sich im Lauf der Zeit.
Die Protagonisten geraten in unvertrautes Terrain, das manifestiert sich in solchen Details. Das Sakko gerissen, der Hut fleckig, das Haar zerzaust, es sind Menschen in Auflösung, denen es nur noch darum geht, den nächsten Schritt zu machen. Diesen Leuten wurden einfache Routen versprochen, sie zogen nichts ahnend los. Eine ganze Industrie hat an ihnen verdient, ganze Ortschaften sind so entstanden.

"Die Erschöpfung mussten wir nicht herbei inszenieren."

Thomas Arslan, 50, studiert gern Gangarten in seinen Filmen.
Thomas Arslan, 50, studiert gern Gangarten in seinen Filmen.
© Doris Spiekermann-Klaas

Sie haben bisher nur in Berlin und in Brandenburg gedreht. War Kanada auch für das Team eine Strapaze?
Es gab beschwerliche Wege, entlegene Schauplätze, keinen Handyempfang, wir lebten wie in einer Zeitkapsel. Aber wir hatten eine Basis, eine Ranch etwa sechs Stunden nördlich von Vancouver, von der aus wir die vielfältige Landschaft im Radius von 50 Kilometern nutzten. Wir haben chronologisch gedreht, irgendwann war es nicht mehr nötig, die Figuren psychologisch zu beleuchten. Die Anstrengung und Erschöpfung mussten wir nicht herbeiinszenieren, sie hat sich in den Wäldern und Bergen irgendwann fast von selbst eingestellt.

Und die Natur schiebt sich in den Vordergrund. War das auch beim Dreh so?
Als Städter war ich beeindruckt von den fast unberührten Arealen in Kanada. Man bekommt eine Ahnung davon, was es bedeutet haben muss, sich über tausende Kilometer von Süden nach Norden zu quälen, mit schlechten Landkarten, ohne GPS. Wir wollten beides zeigen, die unendliche Weite und die Klaustrophobie, wenn man aus den Wäldern nicht mehr herauskommt. Die Bäume, die immer näher rücken, nach solchen Bildern haben wir gezielt gesucht.

Es ist auch Ihr erster Kostümfilm, was ist anders als bei Gegenwartsstoffen?
Dass man eine Balance hinkriegen muss. Ich wollte in den Details historisch korrekt bleiben, aber den Schauwert der Ausstattung nicht um ihrer selbst ausstellen. Da wir zu 90 Prozent in freier Natur gedreht haben, für ein Budget von nur zwei Millionen Euro, ergab sich das fast von selbst. Die Dampflock, aus der Nina Hoss anfangs aussteigt, fuhr nur zwei Stunden von der Ranch entfernt tatsächlich, ein Museumsbetrieb. Eine inszenatorisch, logistische und für die Schauspiler auch physische Herausforderung waren allerdings die Pferde. Sieben Protagonisten ziehen mit elf Pferden los, es gibt Dialoge während des Reitens, die Schauspieler mussten immer wieder punktgenau irgendwo anhalten, das war neu für alle. Pferde haben ihr Eigenleben, die machen nicht, was man möchte. Ein unkontrollierbares, aber reizvolles Element, das seine Schönheit hat und einen dokumentarischen Aspekt ins Spiel bringt.

Als der Western „True Grit“ 2011 die Berlinale eröffnete, erzählten die Coen-Brüder von Pferdetrainern am Set und strengem Tierschutz. Gab’s das bei Ihnen auch?
Wir hatten Stunt-Pferde, veranstalteten aber keine wilden Kapriolen. Sie sind weich gefallen, das wird kontrolliert. Bis auf Lars Rudolph waren alle Nichtreiter, auch Nina Hoss. Sie nahmen schon hier in Berlin Unterricht, vor Ort hatten wir Wrangler der alten Schule, die es tatsächlich schafften, die Schauspieler schon nach wenigen Tagen beim Reiten nicht mehr unbeholfen aussehen zu lassen. Ich selber bin zwar nicht zum Reiter geworden, wollte aber gerne ein Gefühl dafür bekommen, was die Schauspieler auf sich nehmen.

Sie haben zum ersten Mal mit Nina Hoss gearbeitet, was zeichnet die Schauspielerin in Ihren Augen aus?
Dass sie hochprofessionell ist, auf den Punkt konzentriert, und trotzdem eine große Offenheit für den Moment mitbringt. Ihre Geistesgegenwart und die gleichzeitig hohe Präzision, das hat mich beeindruckt.

Als türkischstämmige Filmemacher kennt man in Deutschland eigentlich nur Fatih Akin und Sie. Wieso gibt es nicht längst mehr? Oder bemisst sich Integration eher daran, ob es einen „Tatort“-Kommissar mit „Migrationshintergrund“ gibt?
Es scheint ein sehr langwieriger Prozess zu sein. Mich hat auch die Perspektivverschiebung interessiert. Deutschland ist nicht nur ein von Einwanderung betroffenes Land, sondern hat in seiner Geschichte selbst einmal ein große Gruppe von Einwanderern gestellt. Es war ein großer Aufbruch, eine große Bewegung, ein bis heute wenig bekannter Aspekt der deutschen Geschichte.

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