Zubin Mehta dirigiert die Philharmoniker: Reichtum der Farben
Zubin Mehta spielt mit den Philharmonikern und Anoushka Shankar Ragas des indischen Komponisten Ravi Shankar. Ein Konzert voller Energie und Spielwitz.
Kaum etwas im klassischen Konzertbetrieb ist so starr im 19. Jahrhundert verhaftet wie das Instrumentarium des Orchesters. 1889 war die Celesta das letzte neue Tonwerkzeug in der Standardbesetzung – ein Bollwerk der okzidentalen Arroganz gegenüber anderen Kulturen. Doch Ravi Shankar, hierzulande der bekannteste indische Komponist, schrieb 1981für die New Yorker Philharmoniker und Zubin Mehta sein zweites Solokonzert für Sitar und Orchester. Seine Tochter Anoushka Shankar bringt das Stück nach Berlin, wo es Mehta auf die Pulte der skeptisch bis neugierig wirkenden Philharmoniker bugsiert.
In vier Sätzen vollführt Ravi Shankar, der 2012 starb, das Kunststück, mehrere indische Ragas in ein okzidentales, groß besetztes Orchester zu betten. Dabei kommt nicht nur dem Lautenisten die Aufgabe zu, die traditionellen Skalen auf einem bordunartigen Untergrund aufzubauen, sondern in der Themenarbeit wechselt sich das verstärkte 20-Saiten-Instrument mit Unisono-Geigen, Solo-Bläsern und viel melodischem Schlagwerk ab. Diese ganz eigenartig bezaubernde Klangmixtur funktioniert trotz Shankars manchmal ungeschickter Orchestrierung erstaunlich gut, obwohl kaum einmal mehr als zwei unterschiedliche Linien übereinanderliegen.
Das Werk klingt wie aus einem Guss
Dabei handelt es sich nicht um eine ethnologische Lehrstunde: Anoushka Shankar, neben Landsmann Mehtas Pult auf einem Teppich sitzend, zupft auf ihrer Sitar ganz exquisite Musik von unmissverständlich absolutem Wert. Verteufelt schwer sind nicht nur einzelne Solopassagen, die von den Philharmonikern, abgesehen von einigen Verständigungsschwierigkeiten im Streicherblock, erwartungsgemäß bravourös gemeistert werden. Schwierig dürfte es für jeden Dirigenten mit westlichen Scheuklappen sein, aus den einzelnen Abschnitten ein Werk aus einem Guss zu formen. Mehta kann das, weil er – wie Komponist Ravi Shankar selbst – beide Welten kennt und deren Grenzen mühelos überschreitet.
Das umjubelte „Konzert für Orchester“ von Béla Bartók ist da fast nur noch Formsache: Die genialische Synthese aus folkloristischer Idiomatik, sarkastischer Resignation und wehmütiger Bilanz des eigenen Musikerlebens ist ein Bravourstück für jedes solostarke Orchester. Wie verwöhnt Berlin doch ist von so viel Energie, Farbenreichtum und Spielwitz! Und der Saal rast – auch das schon fast gewöhnlich.
Christian Schmidt