Filmfestival in Cannes: Regielegenden zeigen sich in Bestform
Langsam kommt Fahrt in den Wettbewerb: Terrence Malick präsentiert in Cannes ein starkes historisches Drama. Werner Herzog startet außer Konkurrenz.
Nach einem verregneten Wochenende an der Côte d'Azur klärt sich der Himmel zur Halbzeit des Festivals auf. Und auch der Wettbewerb zeigt sich langsam von seiner besten Seite. Das Festival begann etwas behäbig, was gelegentlich auf die Stimmung in der Berichterstattung drückte. Doch zum Ende der ersten Woche bekommt das Programm endlich Profil, was ausgerechnet den Veteranen Ken Loach und Pedro Almodóvar zu verdanken ist, die zwei ihrer schönsten, unaufgeregtesten Filme seit langem mit an die Croisette gebracht haben. Hier reiht sich auch Terrence Malick mit seinem historischen Drama “The Hidden Life” ein, über den im internationalen Festivalzirkus schon länger spekuliert wird. Für Cannes ist die wahre Geschichte des österreichischen Bauern und “Wehrkraftzersetzers” Franz Jägerstätters, der 1943 von den Nationalsozialisten ermordet wurde, nun fertig geworden. Und glücklicherweise hat die komplizierte Produktion dem Film nicht geschadet.
August Diehl spielt Jägerstätter, neben ihm sind außerdem Jürgen Prochnow, Alexander Fehling, Ulrich Matthes, Franz Rogowski sowie Bruno Ganz in seiner letzten Rolle als NS-Richter zu sehen. (Auch “Mr. Berlinale” Dieter Kosslick hat ein kurioses Cameo) Trotzdem wird in “The Hidden Life” überwiegend Englisch gesprochen, ein Effekt der ebenso artifiziell anmutet wie Malicks unaufhörlich kreisenden und mäandernden Kamerafahrten; Kameraregie führt erstmals Jörg Widmer, mit dem er seit “Tree of Life” zusammenarbeitet. Jägerstätters katholisch geprägten Wertevorstellungen sind zweifellos der Aspekt, den Malick an der Widerstandsbiografie am meisten interessiert hat. Sie verleihen der gottesfürchtigen Erbauungsästhetik, die in seinen letzten Filmen zunehmend in eine Form esoterischer Naturgläubigkeit abdriftete, eine konkrete Handlungsmacht.
Die Frage, welchen Zweck das Märtyrertum eines “versteckten Lebens” – die Geschichte Jägerstätters gehört auch in Österreich bis heute nicht zur Allgemeinbildung – beantwortet Malick mit einem rigorosen Moralismus. Immer wieder stellt er den Impressionen aus dem Gefängnisalltag (die enge Zelle, der Freigang im Hof, die Folter, der verklärte Blick Richtung Himmel – ins göttliche Licht) Bilder vom Leben in den Bergen, der Natur, den Familienwerten gegenüber. Das ist wie so häufig bei Malick mit unverhohlenem Pathos aufgeladen, findet aber im Verlauf der drei Stunden zu einer innerlichen wie visuellen Bedeutsamkeit, die weit über das Einzelschicksal hinausweist.
Ein Bayer geht nach Japan
Die Welt ganz klein erklären, mitunter zusammengezurrt auf die subjektive, oft skurrile Perspektive des Regisseurs, ist wiederum eine nicht zu unterschätzende Qualität im Spätwerk Werner Herzogs. Herzog ist dieses Jahr als einziger deutscher Regisseur in Cannes vertreten, wenn auch nur außer Konkurrenz. Seine melancholische Japan-Studie “Family Romance”, vollständig auf Japanisch gedreht, besitzt wie zuletzt alle seine Spielfilme eine dokumentarische Unschärfe.
Der Entrepreneur Ishii Yuichi bietet eine ungewöhnliche Dienstleistung an: Er vermietet sich als Familienmitglied an andere Menschen. Mal als Vater der 12-jährigen Mahiko, mal als Brautvater, der wegen seiner Alkoholsucht nicht an der Hochzeit teilnehmen kann. Ishii gibt es tatsächlich, er spielt sich in “Family Romance” (der Name seiner Firma) selbst, was Herzog zu einigen schönen Gedankenspielen verleitet. Was macht das mit einem Menschen, der sein Geld damit verdient, jeden Tag eine andere Rolle zu spielen? Und wie geht dieser mit seiner eigenen Einsamkeit um? Herzogs vorurteilsfreie Neugier bewahrt seinen Film vor kulturellen Stereotypen über die japanische Gesellschaft, er versucht sich seinen eigenen Reim auf die Welt zu machen. Ihm dabei zuzusehen, ist wie immer eine Bereicherung für das Kino.
Der dritte “deutsche” Film im Wettbewerb hat eine Co2-Bilanz, die von Bukarest über Gomera bis nach Singapur reicht. Cormeliu Porumboiu steht mit “The Whistlers” erstmals in Cannes auf dem roten Teppich, ko-produziert haben Maren Ade, Janine Jackowski und Jonas Dornbach mit Komplizen Film. Porumboiu ist der Trickster des rumänischen Kinos, seine Filme haben einen trockenen Humor, der sich an den postkommunistischen Verhältnissen seines Landes abarbeitet. “The Whistlers”, obwohl ein reiner Genrefilm, verfügt über denselben hintergründigen Spott seines Meisterwerks “Polizei, Adjektiv”, kann erstmals aber auch mit ansehnlichen Produktionswerten aufwarten.
Der korrupte Cop Cristi soll die verschwundene Beute eines Drogendeals ausfindig machen. Da ihm die Kollegen bereits auf der Spur sind, lernt er eine auf den Kanaren verbreitete Pfeifsprsche, um mit seinen Auftraggebern zu kommunizieren. Der Plan nimmt bald die bizarrsten Wendungen. “The Whistler” bringt gerade rechtzeitig eine neue Farbe in den Wettbewerb. Für Porumboiu hingegen stellt die Croisette die perfekte Bühne für seinen bisher zugänglichsten Film dar. Besser könnte die erste Woche Cannes gar nicht enden.