Porträt des Sängers Fetsum: „Raus aus der Komfortzone“
Der Berliner Soulsänger Fetsum fordert mehr soziales Engagement und setzt sich für geflüchtete Kinder ein. Am Sonntag tritt er im Heimathafen Neukölln auf.
Das Bauchgefühl war gut. Die ganze Zeit. Sogar als sich die Absagen häuften. Selbst als es plötzlich hieß, das Wort Flüchtlinge sei „toxisch“, ließ Fetsum Sebhat sich nicht von seiner Idee abbringen, in Berlin ein Benefizkonzert für Kinder im Krieg und auf der Flucht zu organisieren. Er hatte dafür die Waldbühne gemietet. Ganz schön riskant, vor allem, wenn man nicht Bob Geldof heißt und viel zu spät mit dem Vorverkauf beginnt.
Aber Fetsum, wie sich der Berliner als Sänger nennt, hat viele Freunde in der Branche. Seeed, die Beatsteaks, Patrice, Joy Denalane, Max Herre, Aloe Blacc und viele andere sagten zu, beim „Peace x Peace“-Festival ohne Gage aufzutreten. Ein beeindruckendes Line-up. Die Waldbühne war ausverkauft.
„Es war überwältigend, ich habe tiefe Dankbarkeit empfunden“, erinnert sich Fetsum beim Gespräch im Jazznova Recording Studio an den großen Tag im vergangenen Juni. Über 400 000 Euro kamen zusammen, Fetsum wurde später mit dem Verdienstorden des Landes Berlin ausgezeichnet.
Das Konzert sei eine Herzensangelegenheit gewesen, sagt er. Als mehrere hundert Menschen 2013 vor Lampedusa ums Leben gekommen waren, war der Musiker so geschockt, dass er nicht länger untätig bleiben wollte. „Ich habe für das Thema wahrscheinlich etwas sensiblere Antennen, weil ich als Kind als Geflüchteter nach Deutschland gekommen bin. Ich bin mit den Themen Flucht und Diaspora aufgewachsen. Mit den Ängsten und Schuldgefühlen, eine Familie zurückgelassen zu haben, mit der ewigen Trauer, die Verwandten jahrelang nicht zu sehen.“
Fetsums eritreische Eltern waren als Teenager in den Siebzigern am Unabhängigkeitskrieg ihres Landes gegen Äthiopien beteiligt. Die Mutter hatte sich mit 14 von zu Hause weggeschlichen, um sich den Kämpfern anzuschließen. Zwei Jahre später wurde sie schwanger und im dritten Monat von einer Granate verwundet. Nach Kairo evakuiert, brachte sie vor 40 Jahren Fetsum zur Welt. Zu einer getragenen Akustikgitarren-Percussion-Begleitung singt er in dem Lied „Egypt“ darüber: „I was born by a mosque in Egypt / While preachers were crying / Mother couldn’t hear my voice that evening / She was deaf at that time“. Inzwischen kann seine Mutter, deren Trommelfelle damals gerissen waren, wieder hören. Sie mag den Song und hat inzwischen ihren Frieden damit gemacht, dass ihr Sohn sein Politikstudium schmiss, um Sänger zu werden.
Angefangen hat Fetsum als Rapper
Die beiden gingen damals von Kairo nach Rom, wo eine italienische Familie sie aufnahm. Fetsum lernte die Sprache, und als er mit vier nach Stuttgart kam, konnte er nach einigen Monaten auch Deutsch. Zudem spricht er Tigrinya und Englisch. Letzteres ist seine Singsprache. Angefangen hat Fetsum aber auf Deutsch – als Rapper. Stuttgart war in den Neunzigern mit den Fantastischen Vier, Massiven Tönen, Freundeskreis und Afrob eine Hochburg des deutschen Hip-Hop. Fetsum versuchte, es ihnen nachzutun. „Ich musste aber irgendwann feststellen, dass ich ein erbärmlicher Rapper bin“, sagt er und schickt ein herzliches Lachen hinterher.
Die Melodie sei mehr sein Ding gewesen, und so habe er sich nach und nach getraut zu singen, nahm später auch Unterricht. Seine Debüt-EP „Meine Musik“ erscheint im Sommer 2005, langsam wird er bekannter, geht als Support von Patrice auf Tour. Drei Jahre arbeitet er an seinem Debütalbum „Colors Of Hope“, das 2012 herauskommt und auf dem er nur noch englisch singt. Seine folkigen Pop-Songs verbinden amerikanische, afrikanische und europäische Einflüsse. Die Gitarren lassen mal malische Musik, mal Highlife anklingen oder spielen Offbeat-Akzente. Mitunter gelingt so – etwa auf der flirrenden Single „Waitin’ For You“ – eine sonnige Eingängigkeit, die an Patrice in seinen besten Momenten erinnert.
Sein Sound ist international, er singt auf Englisch
Wie sein in Köln geborener Kollege setzt der seit zehn Jahren in Berlin lebende Fetsum auf einen internationalen Sound. Deshalb hat er zuletzt viel mit englischen und amerikanischen Produzenten und Musikern zusammengearbeitet. Einer von ihnen ist Guy Chambers, vor allem bekannt für seine Zusammenarbeit mit Robbie Williams. Chambers brachte Fetsum auf die Idee, einen Song mit dem Titel „Refugee“ zu aufzunehmen. „Er meinte es eher emotional. Denn jeder ist im Leben irgendwann mal emotionaler Flüchtling“, erklärt Fetsum und singt gleich mal den Refrain: „I’m a refugee / Without you in my life / I got nowhere to run and nowhere else to hide“. Durch die Pause hinter der ersten Zeile ist das Wort „refugee“ erst mal wörtlich zu verstehen, die Liebesmetaphorik ergibt sich erst anschließend.
Das Lied, dessen E-Gitarren-Schlagmuster sofort an Lenny Kravitz’ „It Ain’t Over Till It’s Over“ denken lässt, befindet sich auf dem Mini-Album „Light In A Dark Place“. Es ist Ende letzten Jahres erschienen und war als kleines musikalisches Lebenszeichen gedacht. Denn wegen seines Einsatzes für das Benefizkonzert kam Fetsum nicht dazu, weiter an seinem zweiten Album zu arbeiten. Immerhin sechs Titel konnte er für die EP – der Erlös geht an Unicef – schon versammeln. Vor allem das Eröffnungsstück „Tiger“, dessen knackiger Groove auch Black-Keys-Fans gefallen könnte, und die Up-Tempo-Soulnummer „Stop For A Minute“ überzeugen und machen neugierig auf die für Ende des Jahres geplante Platte.
"Hass arbeitet 24 Stunden am Tag"
Fetsum hat es nicht eilig. Dass er 2016 quasi pausiert hat, macht ihn nicht nervös. Was derzeit gesellschaftspolitisch geschieht, hingegen sehr. „Momentan ist so viel Angstmacherei im Spiel, und Leute fallen auf alte populistische Tricks herein, von denen wir dachten, dass wir sie erkennen würden, wenn sie noch einmal aufkämen.“ Hass arbeite 24 Stunden am Tag. Dem möchte er etwas entgegensetzen. Deshalb diskutiert er in Talkrunden und hat mit der Grünen-Politikerin Claudia Roth ein Buch herausgebracht. Auch beim langen Interview auf dem Sofa des Studios in Prenzlauer Berg spricht Fetsum, der viel Kraft aus seinem christlichen Glauben schöpft, reflektiert und geduldig über Fluchtursachen, die humanitäre Pflicht zu helfen und die Notwendigkeit, jetzt und hier aktiv zu werden. Er könnte glatt als Politiker durchgehen, wenn er sagt: „Die Errungenschaften einer Gesellschaft müssen gepflegt und weiterentwickelt werden.“ Oder: „Wir müssen alle raus aus unserer Komfortzone“.
Es gelte, wieder zu lernen, Verantwortung zu übernehmen – für den Nachbarn, die Gesellschaft. „Aber warum fällt es uns so schwer, aufeinander zuzugehen? Ich glaube, dass wir uns in den fetten Jahrzehnten weit voneinander entfernt haben.“ Deshalb möchte der Sänger Menschen zusammenbringen, Dialog ermöglichen, positive Emotionen vermitteln in der extrem gereizten Atmosphäre der letzten Monate, die er als „gesellschaftlichen Stresstest“ beschreibt. So laufen derzeit schon Vorbereitungen für eine Neuauflage des „Peace x Peace“-Festivals. Fetsum ist ein Idealist mit einem riesigen Kämpferherzen – die Waldbühne wird sicherlich auch diesmal wieder voll besetzt sein.
Konzert: Heimathafen Neukölln 29.1., 21 Uhr. Die EP „Light In A Dark Place“ ist bei Sonar Kollektiv erschienen.
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