Deutsche Oper Berlin: Raumschiff Surprise
Es geht auch ohne Samt und Stuck: eine Liebeserklärung an Fritz Bornemanns Deutsche Oper Berlin.
Viel, sehr viel ist geschrieben worden in letzter Zeit über die Staatsoper Unter den Linden. So viel, dass man fast meinen könnte, Berlin habe nur dieses eine Musiktheater. Dessen baulicher Erhalt im historischen Gewand ungeheurer viel Geld kostet – und Ärger macht. Und auch von der Komischen Oper war viel die Rede, weil sie Geburtstag feierte, jede Menge tolle Produktionen herausbringt, allerdings auch arg sanierungsbedürftig ist. Und dann ist da noch, ganz im Westen der City, das größte der hauptstädtischen Musiktheater, ein Haus, das alles das in Perfektion anbieten kann, was bei der Staatsoper auch nach der 400 Millionen Euro teuren Runderneuerung problematisch bleibt: freie Sicht auf die Bühne auch von den billigen Plätzen. Und in den Foyers viel Platz zum Flanieren. Dazu luxuriös breite Treppen und einen Garderobentrakt, zu dem man nicht in den Keller steigen muss.
Die Deutsche Oper ist also ein zutiefst demokratisches Haus. Und wird dennoch von vielen Klassikfans nicht gemocht. Weil der Samt fehlt, der Stuck, das ganze, bei adligen Herrschersitzen aus der Barockzeit abgeschaute Dekorationsprogramm, das historische Musentempel bieten. Ein festlicher Opernabend, so das Argument, stellt sich nur dann ein, wenn das Drumherum auch die Aura des Feudalen verströmt.
Waschbeton und Reispapierballons, ganz schön mutig
Genau das allerdings wollte Fritz Bornemann vermeiden, als er Mitte der 1950er Jahre seinen Entwurf für die Deutsche Oper vorlegte. Weil sich beim Besuch einer musikdramatischen Aufführung die Hauptsache doch sowieso im Dunklen abspielt. Zumindest seit Richard Wagner durchgesetzt hat, dass das Licht im Saal ausgemacht wird, wenn das Spiel beginnt. Die Zeit vor und nach der Vorstellung wiederum, ebenso wie die Pause, ist ja nicht dazu da, um seinen Erbschmuck vorzuführen oder darüber zu lästern, was für eine grauenhafte Couture-Kreation Frau Soundso heute wieder trägt. Sondern, um sich auszutauschen, das Erlebte zu diskutieren. Dabei spielt es keine Rolle, ob man von goldglänzendem Dekor umgeben ist. Oder ein Kronleuchter über den Köpfen des Publikums prangt.
Darum hat Fritz Bornemann im Foyer der Deutschen Oper japanische Reispapierballons aufgehängt – als denkbar größten Gegensatz zu den Kristalllüstern der Lindenoper. Und er hat jene Waschbetonfassade geschaffen, die seit der Eröffnung des Hauses 1961 ein besonderes Hassobjekt darstellt. Dabei ist die monolithische, fensterlose Front an der Bismarckstraße keineswegs als Affront an die Passanten gedacht. Sondern, im Gegenteil, als Schutzschild für diejenigen, die sich im Innern befinden. Denn denen gilt das Interesse des Architekten. Sie finden hier einen Raum vor, der die Konzentration auf das Wesentliche ermöglicht. Auf den Saal kommt es an, sagt das Foyer. Vorne spielt die Musik, sagt der Saal.
Fritz Bornemann starb 2007, mit 95 Jahren
Dieses Musiktheater ist ein Haus für Menschen, die auf der Suche sind nach Musik. Man muss schon hineingehen wollen in die Deutsche Oper. Dann aber wird man freundlichst empfangen. Der dunkle Eingangsbereich mit der niedrigen Decke neutralisiert die Alltagsgedanken. Das warme indirekte Licht im Garderobenbereich regelt den Puls herunter, der Raum atmet Ruhe. Über die breiten Treppen, die zu schweben scheinen, erreicht der längst in eine andere Welt eingetauchte Gast das Hauptfoyer. Eine echte Wandelhalle, hoch wie ein Kirchenschiff, von unsichtbaren Kräften gehalten. Der Blick schweift ungehindert umher, nur begrenzt von der warmen, dunklen Holzvertäfelung an der Innenseite der „Wehrmauer“. An den Schmalseiten dagegen schaffen Glaswände die Verbindung zur Außenwelt. Denn dieses Opernhaus ist kein Elfenbeinturm. Dass es ein Draußen gibt, wird nicht verschwiegen, Seitenblicke auf die Realität sind erwünscht.
Fritz Bornemann ist 2007 gestorben, im gesegneten Alter von 95 Jahren. Aber er hat noch miterleben können, wie Intendantin Kirsten Harms begonnen hat, die ziemlich verwohnten öffentlichen Bereiche des Gebäudes wieder liebevoll in ihren Ursprungszustand zurückversetzen zu lassen. Ja, auch die Deutsche Oper hat eine denkmalgerechte Überarbeitung hinter sich. Die Wände haben nun wieder ihre originalen Farben, was sich an Zusätzen über die Jahrzehnte angelagert hatte, wurde entrümpelt, die Foyers zeigen erneut jene Sixties-Eleganz, die ja gerade absolut hip ist.
Bornemanns menschenfreundliche Architektur erschließt sich erst nach und nach
An geweißten Mauern ist zudem Platz für zeitgenössische Kunst, aktuell für die Bilder des 1987 geborenen Fotokünstlers Paul Hutchinson. Und bei den Treppenhäusern stehen Gedichte an den Wänden, in großen Buchstaben, ebenfalls von Hutchinson, gut zu lesen für alle, die sich hier entspannt auf und ab bewegen.
Innerhalb der Berliner Musiktheatertrias ist die Deutsche Oper der große Bruder, immer vernünftig und ein Vorbild. Die Komische Oper spielt die Rolle des Nesthäkchens, das sich alles erlauben darf. Und die Staatsoper glänzt als hübsche Schwester, frisch herausgeputzt und von Verehrern umschwärmt. Die altbekannte Architektursprache Unter den Linden meint jeder zu verstehen. Wie menschenfreundlich Fritz Bornemanns Bismarckstraße-Bau konzipiert ist, was der Architekt hier Neues sagen und wagen wollte, erkennt man dagegen erst nach und nach. Wer aber bereit ist, sich auf das zunächst so herb wirkende Haus einzulassen, der wird mit der Deutschen Oper eine echte Männerfreundschaft schließen. Eine, bei der man sich ohne viele Worte versteht. Und die ewig hält.
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