Daniel Woodrells Roman „In Almas Augen“: Rätsel im Hinterland
Eine Brandkatastrophe und ihre Folgen: Daniel Woodrells Roman „In Almas Augen“.
Es ist der Abend des 13. April 1928, als das kleine Städtchen West Plains im US-Bundesstaat Missouri von einer gewaltigen, noch in einer Entfernung von 10 Kilometer zu spürenden Explosion erschüttert wird. Im zweiten Stock eines Hauses in der östlichen Main Street fliegt die Bond Dance Hall sprichwörtlich in die Luft, und mit ihr viele Bewohner des Ortes und aus der Umgebung, die hier zum Tanzen und zu ihrem Vergnügen waren. 37 Menschen sterben, können zum Teil nicht identifiziert werden, es gibt viele Schwerverletzte, von den psychischen Spätfolgen der Überlebenden ganz zu schweigen. Bis heute konnte nicht abschließend die Ursache der Explosion geklärt werden, mutmaßlich war es auslaufendes und sich dann entzündendes Benzin in der Autowerkstatt unter dem Tanzsaal.
Nun mag sich diese Explosion tief ins kollektive Gedächtnis der Bewohner von West Plains und ihrer Nachkommen gebrannt haben, auch ein Denkmal wurde knapp ein Jahr danach errichtet – die Welt hat davon wenig Notiz genommen, nicht einmal in den USA, wo die West Plains und das umliegende Gebirge, die Ozarks, von den Zentren der Ost- oder Westküste weiter entfernt scheinen als europäische oder asiatische Metropolen – und wo sich nicht zuletzt gerade die große Depression zu entwickeln begann.
Insofern nimmt man es zunächst etwas ungerührt zur Kenntnis, dass dieser Brand der Dreh- und Angelpunkt von Daniel Woodrells Roman „In Almas Augen“ ist und eben für die Einwohner des Städtchens „eine aufregende Geschichte mit Feuer, vielen Toten, vielen Verdächtigen und wenigen Fakten, ein großes Verbrechen oder ungeheures Missgeschick, ein nicht enden wollendes Rätsel, (...)“.
White Trash nur am Rande
Woodrell hat den Brand leicht fiktionalisiert, er findet bei ihm ein Jahr später statt in einer Stadt namens West Table, auch die Zahl der Toten hat er leicht erhöht. Dass man sich aber überhaupt dafür interessiert, liegt an der Erzählkunst des 1953 in Springfield, Missouri geborenen Schriftstellers, der durch die Verfilmung seines ebenfalls in den Ozarks spielenden Romans „Winter's Bone“ in den USA und auch hierzulande bekannt wurde. Und auch hier, in seinem inzwischen neunten Roman, ist es wieder ein jugendlicher Erzähler und zwei starke Frauenfiguren, die diesen Roman bestimmen – wohingegen das weitere Setting den White Trash dieses Mal nur am Rande streift. Es geht in „Almas Augen“ quer durch alle gesellschaftlichen Schichten einer Kleinstadt
Der Ich-Erzähler Alek ist 12 Jahre alt, als er 1965 erstmals von der Katastrophe erfährt, und zwar aus dem Munde seiner Großmutter Alma, einer inzwischen höchst wunderlichen alten Frau mit langen weißen, fast bis auf den Boden reichenden Haaren. Alma glaubt den Verursacher des Brandes zu kennen, auch ihre geliebte jüngere Schwester ist dabei ums Leben gekommen.
Häufig zwischen den Zeiten hin und her springend, erzählt Daniel Woodrell nun von Alma und ihrem aufopferungsvollen Leben als Putzfrau und Dienstmagd; er erzählt von ihrem versoffenen Mann, den drei Söhnen, ihrem Enkel Alek und seiner Mutter, die ihrerseits aus einer angesehen Familie West Tables stammt. Und auch Almas Schwester Ruby nimmt sich Woodrell relativ ausführlich an. Anders als ihre Schwester ist sie ein leichtes Mädchen, hat sie nichts dagegen, sich auch zu prostituieren. Ruby will das Leben in vollen Zügen genießen; dazu gehört unter anderem ein Liebesverhältnis mit einem Honoratioren der Stadt, mit dem verheirateten Bankdirektor Arthur Glencross.
"In Almas Augen", Porträt einer Kleinstadt
„In Almas Augen“ hat keine echte Hauptfigur. Der Roman ist vielmehr das Porträt einer Kleinstadt und erinnert von der Atmosphäre und mit seinen vielen Strängen an die Kurzgeschichten eines Richard Ford oder natürlich auch an Sherwood Andersons Klassiker „Winesburg, Ohio“. Der Brand mag das eine sein, er sorgt hier für die dezenten Krimi-und Schauerelemente. Die Höhen und Tiefen des menschlichen Miteinanders aber sind das andere: das Scheitern, die gelebte Mitmenschlichkeit, das Hoffnungslose, die sympathische Durchtriebenheit.
Daniel Woodrell versteht es, genauso unaufdringlich wie eindrücklich zu erzählen; noch seine vermeintlich unwichtigsten Nebenfiguren, solche, die bei dem Brand ums Leben gekommen sind, strahlen auf den zwei, drei Seiten, auf denen er sie manchmal porträtiert, eine ungeheure Lebendigkeit aus. Und auch die Spannung hält Woodrell bis zum Schluss hoch, schließlich ist der Brand weitgehend ungeklärt. Des Rätsels Lösung, die Alma anbietet – „The maid’s version“ heißt das Buch viel treffender im Original – ist die Geschichte einer unglückseligen Liebe mitsamt einer nicht mehr rückgängig zu machenden Kurzschlussreaktion. Das klingt unspektakulär, aber ein ansonsten spektakulär guter Roman verträgt so ein Ende umso besser.
Daniel Woodrell: In Almas Augen. Roman. Aus dem Englischen von Peter Torberg. Liebeskind Verlag, München 2014. 188 Seiten, 16, 90 €.
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