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Szene aus "Il Viaggio a Reims" an der UdK
© Daniel Nartschick

"Il Viaggio a Reims" an der UdK: Rasender Stillstand

Die Universität der Künste zeigt Rossinis „Il Viaggio a Reims“ als Abschlussinszenierung ihrer Studiengänge - und als Parabel auf den Zustand Europas.

Es bleibt ein Rätsel, wieso der Rollkoffer erst so spät erfunden wurde. 1824 gab es ihn jedenfalls noch nicht, was sicher auch mit dem Zustand der Straßen zu tun hatte. Wer damals zur Krönung Karls X. – des mittleren der drei Könige, die in Frankreich nach der Revolution noch regiert haben – nach Reims fahren wollte, war auf Postkutschen angewiesen. Die sind in Gioachino Rossinis „Il Viaggio a Reims“ aber leider nicht verfügbar. So sitzt eine illustre Reisegruppe aus mehreren Ländern im Gasthof fest. Und wie das so ist, wenn man sich vor allem mit sich selbst beschäftigt: Es kommt zu allerhand Eifersüchteleien. Uraufgeführt wurde die Oper zur Krönung Karls. Auf vexierhafte Weise hat sie ihren eigenen Anlass zum Thema. Lange galt das Werk als verschollen, die UdK zeigt es jetzt bei der Abschlussinszenierung der Studiengänge Gesang, Kostüm- und Bühnenbild in der Uni-Bühne in der Fasanenstraße nach eigenen Angaben erstmals überhaupt szenisch in Deutschland.

Europa geht in die Brüche

Regisseur und UdK-Professor Frank Hilbrich liest „Viaggio“, etwas penetrant, aber durchaus berechtigt, als Zustandsbeschreibung Europas im Jahr 2017. Rollkoffer sind omnipräsent, ein Signet unserer Zeit. Meist stehen sie aber nur rum: Nichts geht hier voran. Der Gasthof ist ein Hotel, das – Achtung: Haus Europa! – in die Brüche geht. Errico Fresis leitet das Symphonieorchester der UdK manchmal dicksoßig, meist aber trennscharf und zügig. So kann sich die funkelnde Musik, mit der Rossini selbst banalste Szenen veredelt, entfalten. Etwa beim großen Auftritt von Hyelim Jo als Contessa di Folleville, die im Schmerz über ihr verlorenes Gepäck gnadenlos ist. Zehn Hauptrollen kennt das Stück, nicht alle singen auf dem gleichen Niveau. Markant: Natalia Labourdette als sich in irisierende Höhen schraubende Improvisationskünstlerin Corinna oder Linard Vrielink als russischer Graf Libenskof, der sich mit seiner polnischen Geliebten Marchesa Melibea (Anna Schors) aussöhnt, ohne je seine schlechte Laune zu verlieren.

Im Finale singen alle Hymnen und Liedgut ihrer Heimat. Für Regisseur Hilbrich liegt hier die Katastrophe: Das Nationale, vom Europagedanken nur oberflächlich zugedeckt, kriecht nach oben. Die ganze Liebe des Regisseurs gilt der Figur der Corinna, deren lange Arie auf Karl X. – die im Grunde Propagandakunst ist – er ohne Angst vor Kitsch inszeniert. Schließlich gehen sich alle an die Gurgel. Das Ende: schwarz, schwärzer. Gerät ein Rollkoffer ins Schlingern, hilft es übrigens, ihn schneller zu ziehen.

weitere Aufführungen am 8. und 9. Juli, 19 Uhr

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