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Wackelkandidat. Henry Moores „Stein Denkmal“ aus den sechziger Jahren gehört zu den Kunstwerken, die aus der Sammlung der Landesbank West LB versteigert werden sollen. Noch steht die Skulptur im Museum für Kunst und Kultur in Münster.
© Rolf Vennenbernd / dpa

Ausverkauf der Kunst in NRW: Raimund Stecker: „Die Politik verschanzt sich“

Die Abwicklungsgesellschaft Portigon will die Kunstsammlung der ehemaligen Landesbank WestLB verkaufen. Museumsmann Raimund Stecker spricht im Interview über den geplanten Ausverkauf und seine Folgen für den Kunststandort Nordrhein-Westfalen.

Herr Stecker, muss die Aktiengesellschaft Portigon als Nachfolger der Düsseldorfer Landesbank West LB ihre Kunstsammlung mit rund 400 Werken unter anderem von August Macke, Joseph Beuys oder Gerhard Richter wirklich zwingend verkaufen, um Verbindlichkeiten abzutragen?
Natürlich muss Portigon verkaufen, das ist ihre Aufgabe und offensichtlich Vorgabe der Europäischen Union. Nun gehört die Portigon aber dem Land Nordrhein-Westfalen. Und da wird es in meinen Augen spannend. Denn das Land NRW wurde nach 1945 gegründet und konnte nicht auf höfische Sammlungen zurückgreifen. Aus diesem Grund entstand die Idee einer Staatsräson: die Kunst des 20. Jahrhunderts zu fördern.

Ist das schriftlich in den Satzungen der Landesregierung verankert?
Ob das schriftlich festgehalten wurde, weiß ich nicht. Aber bis vor wenigen Jahren war das immer so aus dem Kultusministerium zu hören. Und es funktionierte ja auch. Zadek und Peymann am Schauspielhaus Bochum, Pina Bausch in Wuppertal, die Gründung des Hegel-Archivs in NRW 1958, die Sammlung für Kunst des 20. Jahrhunderts an der Bochumer Ruhruniversität oder der Ankauf einer ganzen Paul-Klee-Sammlung als Gründungsmoment für die Kunstsammlung NRW: All dies basiert auf dieser Staatsräson. Das Land war ein weltweit beachteter Platz für Gegenwartskultur! Auch der WDR hat mitgespielt. Deshalb sind so viele Werke in den nordrhein-westfälischen Museen Schenkungen des Rundfunks. Und als die Landesmittel geringer ausfielen, wurde die West LB instrumentalisiert. Oft, wenn das Land nicht weiterkam, rief man aus der Staatskanzlei oder dem Kultusministerium jemanden bei der West LB an – und dann wurde geholfen!

Haben Sie das selbst erlebt?
Das habe ich als Kunstvereinsleiter in Düsseldorf genau so erlebt. Wenn es eine Ausstellung mit finanzieller Unterdeckung gab, rief man einen Zuständigen an. Später meldete sich dann eine Dame von der West LB und sagte: „Herr Stecker, ich habe einen Anruf bekommen. Wir kaufen etwas aus der Ausstellung an, um Ihr Projekt zu finanzieren.“ Die West LB war mithin auch ein Förderinstrument. Und nun wird dieses Instrument ohne jede politische Diskussion abgewickelt. Das ist der eigentliche Skandal. Eine Staatsräson wird aufgekündigt! Und dafür verschanzt man sich hinter ökonomischen Gründen – hinter Kai Wilhelm Franzmeyer, der als Vorstandsvorsitzender der Portigon vollkommen richtig handelt. So wie die Zuständigen in Aachen richtig gehandelt haben, als sie die beiden Warhol-Werke aus der Spielbank verkauften.

Das mag nach den Statuten legitim sein. Wenn man aber Franzmeyers Argumentation verfolgt, der den Steuerzahler entlasten will, gleichzeitig aber den mit Steuern finanzierten Museen empfiehlt, bei der geplanten Versteigerung mitzubieten, wo die Institutionen neben dem Höchstpreis noch die Provisionen für die Auktionshäuser bezahlen müssten, dann …
… ist das zynisch – aber auch Ergebnis einer Bildungspolitik, in der Kunst- oder Musikunterricht keinen Stellenwert mehr haben. Wo bitte soll ein Betriebswirt, der nicht dem Bildungsbürgertum entstammt und heute eine Bank führt, seine Sensibilität für kulturelle Werte entwickeln, wenn diese humanistischen Grundsätze nicht in der Schule gelehrt werden?

Sie glauben, das ist der Grund? Die Verbindlichkeiten der Portigon belaufen sich auf 25 Milliarden Euro. Der Verkauf der Sammlung, die Sie im Auftrag der Tageszeitung „Rheinische Post“ vor wenigen Tagen auf etwa 100 Millionen mitgeschätzt haben, brächte einen Bruchteil davon ein. Gibt es nicht doch Spielräume?
Franzmeyer muss, glaube ich, so handeln. Die Sparkassen sind besser aufgestellt, sie haben eigene Stiftungen gegründet, damit ihre Sammlungen nicht in potenzielle Liquidationsmassen fließen können. Das ist bei der West LB offenbar nicht geschehen.

Sonst wäre die Sammlung unantastbar?
Hätte die West LB eine Kunststiftung, wäre es wohl kein Problem. So aber muss die Kunst als Teil des Betriebskapitals veräußert werden. Es sei denn, das Land NRW als Eigentümer erinnert sich seiner übergeordneten Staatsräson und findet einen politischen Weg, um das Problem bei der EU kulturpolitisch richtig darzustellen und ökonomisch anders zu lösen.

Angeblich muss Portigon die Sammlung zum höchsten Preis veräußern. Sie wollten doch als Museumsmann auch vor einigen Jahren ein wichtiges Werk verkaufen.
Aus Sicht der Portigon ist das wohl richtig. Aber die Politik findet doch immer einen Weg, um aus solchen „Notwendigkeiten“ herauszukommen – wenn sie es will. Als ich 2012 im Einklang mit dem Kuratorium als Direktor des Duisburger Lehmbruck-Museums die Skulptur „Bein“ von Alberto Giacometti verkaufen wollte, um das Haus langfristig auf unabhängige finanzielle Füße zu stellen und die Sammlung mit einer anderen Arbeit von Giacometti zu schärfen, wurde ich vom Bundeskulturminister öffentlich zurückgepfiffen. Daraufhin knickte das Kuratorium ein. Dabei war diese Aktion mit allen – Politik, Verwaltung, dem Kulturdezernenten und auch mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie als Stifter der Skulptur – abgestimmt. Aber unter einer fundamentalen Bedingung: dass das Geld zu hundert Prozent der Kunst, der Stiftung des Museums zugute kommt.

Raimund Stecker.
Raimund Stecker.
© privat

Sind Sie nicht heute froh darüber? Sonst würde es vielleicht heißen, Sie hätten damals die Büchse der Pandora geöffnet.
Ich wusste, dass dieses Thema ohnehin kommt. Wir wollten die Debatte offen führen. Anderswo wurde auch schon Kunst verkauft, versteckt allerdings. Wir wollten damals öffentlich diskutieren, um das Museum mit zwei neuen Arbeiten – eben Giacometti und Ernst Ludwig Kirchner – und zusätzlichen 25 Millionen Euro im Stiftungstopf auszustatten. Und nun geht man hin und verkauft Kunst, ohne dass die Kultur in irgendeiner Weise partizipiert. Das ist tatsächlich skandalös.

Sie haben ja als einer der ersten die Bestandsliste der West LB studieren können. Wie viele der Werke hängen in Museen?
Ich habe mit der „Rheinischen Post“ über die Listen diskutiert. Richtig! Es hängt tatsächlich sehr wenig davon in nordrhein-westfälischen Museen.

Dann wäre der Verlust für die Häuser also gar nicht so groß?
Das sollten die Museen selbst entscheiden. Dafür sind sie da. Ich will ein Beispiel geben. Bei der Portigon hing bis vor kurzem das wunderbare Bild „Carmen“ von Imi Knoebel. Ein abstraktes Porträt seiner Frau Carmen, Gründerin der legendären Düsseldorfer Künstlerkneipe Ratinger Hof. 2014 verkündete die Kunststiftung NRW eine Schenkung an die Kathedrale von Reims: Knoebel hat bereits sechs Fenster für die Kirche geschaffen, nun gestaltet er drei weitere. Die Übergabe wird ein Staatsakt. Da ist es doch schizophren, auf der einen Seite einen Künstler zu feiern und auf der anderen Seite dieses biografisch wichtige Werk für NRW nicht einem Museum des Landes zu überantworten. Eine öffentliche Kulturdebatte ist dringend notwendig – und nicht eine vorgeschoben ökonomische. Denn auch Franzmeyer ist als CEO abhängig von den Entscheidungen des Portigon-Eigentümers. Wenn das Land als Eigentümer sagt, da gibt es Kunst, die ist so wichtig für das Selbstverständnis unserer Kulturgeschichte, unserer Landesidentität, dann wird es doch wohl möglich sein, die Kunst dort zu halten, wo die NRW-Museumsdirektoren sie offensichtlich haben möchten: in ihren Häusern!

Raimund Stecker, Jahrgang 1957, studierte in Bochum und Florenz Kunstgeschichte. Nach seiner Promotion leitete er von 1993- 2000 den Düsseldorfer Kunstverein. Nach fünf Jahren als Chef der Stiftung Hans Arp und Sophie Taeuber-Arp in Remagen war Stecker als freier Kurator tätig, bevor er 2010 Direktor des Wilhelm-Lehmbruck-Museums in Duisburg wurde. 2013 trennten sich Stecker und das Kuratorium der Museumsstiftung. Als Grund nannten beide Seiten „unterschiedliche Auffassungen über die künftige künstlerische Ausrichtung des Museums“. Aktuell gibt der Kunsthistoriker den Katalog zur Ausstellung von Otto Piene heraus, die 2014 in der Nationalgalerie zu sehen war und nun nach Teheran reist.

Christiane Meixner

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