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Szene aus Kriegenburgs "Nathan der Weise"
© Eventpress Hoensch

Premiere: "Nathan der Weise" am DT: Wer spielt denn da mit Lehm?

Am Deutschen Theater beginnt die Saison mit Andreas Kriegenburg und seiner Neuinszenierung von „Nathan der Weise“. Für die neue Spielzeit ist noch Luft nach oben.

Bemerkenswertes Timing in der Spielzeit-Auftakt-Premiere am Deutschen Theater. Gerade doziert der Schauspieler Jörg Pose als weiser Nathan die berühmte Ringparabel von einem überdimensionalen Holzwürfel herab und spricht also in einem Gleichnis, das an Klarheit nichts zu wünschen übrig lässt, über die Gleichwertigkeit der Religionen. Da macht sich im Parkett ein Handy mit offenbar aktivierter Sprachsteuerung bemerkbar. „Das habe ich nicht verstanden“, tönt es blechern aus dem Mobilgerät ins Herzstück des Abends hinein.

Zwar passt der kleine Zwischenfall im Grunde bestens zum Kalauer-Zuschnitt dieses „Nathan“-Comics, als den Andreas Kriegenburg Lessings Aufklärungsdrama inszeniert hat. Auch wenn an dieser denkwürdigen Stelle – ausnahmsweise – niemand im Zuschauerraum lacht. Rein faktisch betrachtet, hat das Smartphone allerdings komplett unrecht. Vor Verständnisschwierigkeiten, sprich: produktiven Irritationen, strotzt der Abend nicht direkt.

Das DT wird sicher nicht das einzige Haus bleiben, das in der soeben begonnenen Theatersaison auf Lessing zurückgreift. Angesichts des IS-Terrors in Syrien und dem Irak und brennender Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland erscheint Lessings humanistisches Plädoyer den Theaterleuten natürlich als Stück der Stunde. Schließlich bringt der kluge, großmütige Nathan während der Zeit der Kreuzzüge mit der Kraft der aufklärerischen Vernunft die Weltreligionen – Judentum, Christentum und Islam – exemplarisch zur friedlichen Koexistenz. Deren Repräsentanten, Nathans Pflegetochter Recha, der Tempelherr, der sie aus dem Feuer rettet und sich in sie verliebt, und schließlich der notorisch klamme Sultan stellen sich am Ende des Stückes als leibliche Verwandte heraus und liegen einander gerührt in den Armen.

Dauerhaft fröhlich klimpernde Unterhaltungsmusik

Eine schöne Utopie , und Andreas Kriegenburg ist logischerweise nicht der Erste, der die märchenhaften Züge des „Nathan“ betont. Allerdings geht er noch einen Schritt weiter und lässt das gesamte Stückpersonal zu Beginn als eine Art vorzivilisatorische Ansammlung von Cartoon-Charakteren auftreten. Lehmverschmiert umtrippeln jene Erdgeborenen den Holzklotz (Bühne: Harald Thor), auf dem Nathan später seine zentrale Rede halten wird, und spielen sodann im Schnelldurchlauf verschiedene, aber in jedem Fall zweifelhafte Stadien des fortschreitenden Zivilisationsprozesses durch.

Bald schleppen sie fidel-naiv Chanel- und Boss-Tüten, bald führen sie auf ihren erdmaskierten Nasen Sonnenbrillen spazieren und bewegen sich dabei wie ferngesteuerte Charlie-Chaplin-Avatare, die es geradewegs aus einem Stummfilm sehr, sehr alter Schule ans Deutsche Theater verschlagen hat. Die dazu dauerhaft fröhlich klimpernde Untermalungsmusik tut das Übrige.

Als einem der Erdlinge dann der Nathan-Part – in Form eines Kostümhutes – buchstäblich zufällt, schlüpfen auch die restlichen Akteure in ihre (wechselnden) Rollen. Und das Aufklärungsdrama nimmt als Trippel-Comic, der wegen der Lehmkrusten-Optik gelegentlich auch an die Hochzeit der Knetfiguren-Animationskunst erinnert, seinen knapp dreistündigen Lauf. Wobei das Schauspieler-Sextett (neben Jörg Pose Elias Arens, Nina Gummich, Bernd Moss, Julia Nachtmann und Natali Seelig) bevorzugt im Kalauer-Modus durch den Abend wackelt. Stöhnt etwa der Tempelherr aus dem Off, nun ja, „Oh, mein Kreuz“, muss man garantiert nicht lange warten, bis er mit einem gigantischen Holzkreuz nebst I.N.R.I.-Pappschild auf dem Rücken über die Bühne ächzt. Seine Angebetete, Nathans Tochter Recha, fördert unterdessen Pubertätsallüren zutage, die mutmaßlich noch älter sind als die abendfüllende Stummfilmästhetik.

Luft nach oben für die neue Spielzeit

Beim Auftritt des korrumpierten Patriarchen schließlich öffnet sich der Holzwürfel und gibt den Blick frei auf einen mit gefühlten fünf Fatsuits ausgestatteten Fettkloß, der seine Unterredung mit dem Tempelherrn auf der Toilette absolviert und während seiner Drohung „Der Jude wird verbrannt“ hingebungsvoll in seinen üppigen Ausscheidungen wühlt.

Theoretisch soll Humor ja zu den wirkungsvollsten Konfliktlösungsmitteln gehören; das weiß man nicht nur aus der höheren (Lebens-)Philosophie, sondern beispielsweise auch aus den Theaterabenden der israelischen Regisseurin Yael Ronen. Insofern könnte ein „Nathan“-Comic ja durchaus eine ergiebige Lesart darstellen. Nur müsste der Humor dann eben bühnenpraktisch entsprechend zwingend, klug und scharfkantig sein.

Dass „Nathan der Weise“ überdies eine Feier der menschlichen Vernunftbegabung ist, ein Plädoyer für den, wenn man so will, diskursiven Dialog, erschließt sich bei Kriegenburg nur in sehr wenigen Szenen, etwa in der kalauerfrei erzählten Ringparabel. Ansonsten gibt es diskurstechnisch noch reichlich Luft nach oben für die neue Spielzeit, die im DT unter dem Motto „Der leere Himmel“ steht.

Wieder am 7., 11. und 18. September.

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