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Ariana Grande ist nach zwei traumatischen Jahren auch als Künstlerin gereift.
© Reuters/Mario Anzuoni

Ariana Grande in Berlin: Pyjama-Party in der Großraumdisco

Trauma und Solidarität: Der ehemalige Teeniestar Ariana Grande beweist in Berlin, dass sie zu den ganz großen Popstars der Gegenwart gehört.

Man braucht eine Menge Nullen, um das Phänomen Ariana Grande in seinem vollen Ausmaß zu begreifen. 165 Millionen Follower auf Instagram, 65 Millionen Fans folgen der 26-Jährigen auf Twitter, ihr letzter Hit „No Tears Left to Cry“ wurde allein auf Youtube fast eine Milliarde Mal geklickt. Mit solchen Zahlen beschreibt man eher das Bruttoinlandsprodukt mittelgroßer Industrienationen.

Doch die Beliebtheit von Ariana Grande lässt sich nicht einfach anhand von verkauften Tonträgern oder Streamingzahlen erklären - sondern an der Zahl von Fanherzen, die ihr zufliegen. Sie ist das Resultat affektiver Arbeit. Dieses Phänomen kann im Grunde nur verstehen, wer einmal zwischen 20.000 kreischenden Fans, vor allem jungen Mädchen, aber auch vielen queeren Jungs, gestanden hat.

Am Donnerstag hat Ariana Grande in Berlin ein ausverkauftes Konzert in der Mehrzweckhalle am Ostbahnhof gespielt – und es wurde verdammt laut. Stellenweise so laut, dass in der weitläufigen Arena nur noch weißes Rauschen zu vernehmen war. Ein Kollege meinte später, so eine Lautstärke hätte er bisher nur bei der 17-jährigen Billie Eilish erlebt, mit der sich bereits die nächste Generation von Popstars ankündigt.

Im Grunde müsste man die Popularität von Ariana Grande in Dezibel messen. Irgendwo in dem tiefroten Bereich, in dem Euphorie in eine chemische Reaktion umschlägt, liegt der Schlüssel zu Ariana Grandes Beliebtheit. Man kann es schwer beschreiben, aber man spürt es körperlich. Und tatsächlich erreicht die Dezibel-Zahl des Fangekreisches ähnliche Spitzenwerte wie die Musik - knapp über 100 zeigt das Mischpult in der Halle an.

Und es brodelt. Ariana Grande ist kein Sonnenschein, sie hat ihre All-American-Girl-haftigkeit immer mit kleinen Widerhaken ausgestattet: als laszive Disney-Domina in Lack-Overknees, als juvenile Delinquentin mit Hasenohren, als Schmuseraubkätzchen. Am Anfang brennt also erst mal die Bühne, eine riesige Sonne wölbt sich aus der Kulisse heraus, Protuberanzen züngeln auf der Leinwand. Davor Ariana in einer Art sexy Musketier-Kostüm.

Eine vertraute Atmosphäre von Nähe

Die ersten Stücke geben gleich mal das Programm vor: God is a Woman, Bad Idea, Break up with your Girlfriend, I'm Bored. Das sind keine Songs, das sind Ansagen, sie machen auch jedes Höflichkeitsgeplänkel überflüssig. Ariana Grande beschränkt ihre Ansagen aufs Nötigste, dabei gäbe es doch so viel zu bereden. Und trotzdem stellt sich in der funktionalen Mehrzweckarena schnell eine vertraute Atmosphäre von Nähe ein.

Das liegt einerseits am ovalen Laufsteg, der die Premiumfans zwar vom einfachen Volk trennt, aber auch die Distanz zum Publikum aufhebt. Grande steht immer wieder inmitten ihrer jungen Fans, den „Arianators“, umgeben von einem Pulk Tänzerinnen und Tänzern, die ihr auf Schritt und Tritt folgen. Es ist Ihre Gang. Solidarität ist ein zentraler Aspekt ihrer Show, die Choreografie ist keine Staffage, sondern ein Ausdruck von Gemeinschaft.

Die Kunst eines Popstars besteht ja darin, überlebensgroß zu erscheinen und seinen Fans gleichzeitig das Gefühl zu geben, die beste Freundin zu sein. Mit der Ankunft der sozialen Medien wurde das so leicht wie nie zuvor. Doch Ariana Grande hat das Spiel mit ihren Pop-Persönlichkeiten immer gerade so durchlässig gehalten, dass hinter der Professionalität des frühreifen Kinderstars noch Facetten echter Lebenserfahrung durchschimmerten. In Berlin bringt sie diese zum Leuchten.

Arbeit am Trauma von Manchester

Man könnte an diesem Abend fast vergessen, dass der Popstar Ariana Grande auch das Produkt einer Tragödie ist. Das islamistische Selbstmordattentat von Manchester im Mai 2017, bei dem 22 Fans starben, erwähnt sie in Berlin mit keinem Wort. Und doch ist es in jedem Moment ihrer Show präsent. Ariana Grande war vor Manchester bereits groß, nach dem Anschlag bewies sie Größe.

Die Tat galt damals auch ihrem freizügigen Image, als Sinnbild westlicher Dekadenz, aber sie hat sich nie als Opfer inszeniert. Das waren für sie immer die Menschen, die Geschwister, Eltern, Freunde verloren haben. Ihre eigene Trauma-Arbeit konnte man derweil in den sozialen Medien verfolgen, bei dem bewegenden Benefizkonzert „One Love Manchester“ zwei Monate später und auf ihrem vierten Album „Sweetener“, unter dessen Motto die laufende Welttournee steht.

Grande bewegt sich selbstbewusst, aber voller Demut über die Bühne, der Schwarm an Tänzerinnen umgibt sie wie ein schützender Kokon. One Love. Ihre Show ist eine perfekte Mischung aus Party und Lebensbilanz, und das mit gerade mal 26 Jahren. Zu „7 Rings“, einem hemmungslosen Plädoyer für den Konsumrausch als Heilmittel gegen die Wunden der Vergangenheit, erhebt sich aus dem Bauch der Arena ein Cadillac, rosa ist das farbliche Thema des Songs.

Das Image als Bad Girl hat sie nicht mehr nötig

Gelegentlich erinnert der Auftritt an eine Pyjama-Party in der Großraumdisco, in die man eher zufällig hineingeraten ist. Aber man fühlt sich nie als Eindringling, obwohl die Mädchen und Jungen unten auf der Bühne zweifellos auch ohne Publikum ihren Spaß hätten.

Mit „Love Me Harder“, eigentlich ein Duett mit R'n'B'-Star The Weeknd, tritt Ariana Grande ausnahmsweise allein auf den Laufsteg. Früher wurde sie von (männlichen) Kritikern nicht ganz ernst genommen, weil sie sich gerne mit gesichtstätowierten Hip-Hop-Stars schmückte, um ihr „Bad Girl“-Image aufzupolieren. Natürlich hat sie das nie nötig gehabt, ihre Stimme trägt die Satin-Laszivität des Songs mit genug Nachdruck. Den Triumph kostet sie nicht mal aus, der Song geht bruchlos in einem Medley mit „Breathin“ auf. Zwei Hits in drei Minuten. Thank you, next.

Mit diesem Stück endet nach knapp 90 Minuten auch das Konzert, es ist der Titel ihres aktuellen Albums, das nur sechs Monate nach „Sweetener“ erschien. Zwei kleine Popmeisterwerke innerhalb eines Jahres, das ist Ariana Grande 2019. Die Hasenohren bleiben an diesem Abend in der Requisite. Vielleicht für immer.

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