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Die Toten Hosen aus Düsseldorf.
© Paul Ripke

Die Toten Hosen: Punks der Republik

Aus Spaß wird Pop: Philipp Oehmkes kluge Bandbiografie "Die Toten Hosen - Am Anfang war der Lärm" blickt zurück auf 32 Jahre Punk made in Germany.

Wenn sie auf die Bühne rennen, und die Toten Hosen stürzen tatsächlich hinaus, Gitarrist Breiti zuerst, als letzter Campino, „pull it away, Boooob!“, grölt der Sänger, dann braucht die Band nur wenige Sekunden, um ihr Publikum mitzureißen. Die Menschenmassen vor der Bühne sind immer größer geworden, doch daran hat sich nichts geändert. Ihre Musik ist breiter, voller geworden, aber auch das hat auf die Wucht augenblicklicher Begeisterung keinen Effekt. Es geht so – Zang! – so. Und es gibt kein Halten mehr.

Warum? Man könnte sagen, weil sie eben sind, wie sie sind. Mitreißend, sich selbst nicht schonend. Weil sie die Verausgabung als kollektiven Akt zelebrieren. Da gibt es keinen Trick.

Es steckt aber wohl doch mehr dahinter. Bands werden nicht automatisch mit der Zeit, die sie durchhalten, immer wichtiger, obwohl das eine Rolle spielen mag. Es hat auch die Toten Hosen viel Fleiß und Arbeit gekostet, damit sie wurden, was sie heute sind, eine der größten Bands in Deutschland, mit garantierten Rekordumsätzen und der notorischen Ablehnung von Leuten, die in der schieren Größe auch eine kulturelle Dominanz fürchten. Doch wie konnte es soweit kommen? Was steckt dahinter, wenn „vier Nichtmusiker und ein halbes Genie“, die für Punkmusik zu spät dran waren, heute Hymnen für Millionen spielen?

Oehmke stellt den Weg der Toten Hosen in gesellschaftliche Kontexte

Darauf will Philipp Oehmke in seinem Buch „Am Anfang war der Lärm“ die Antwort finden. Er hat die Band als „Spiegel“-Redakteur über Jahre hinweg immer wieder getroffen. Seit er 1988, als halbes Kind noch, ein erstes Konzert von ihnen besuchte, ist er ihrem Radau verfallen. Nun bahnte er sich einen Zugang ins geheime Innerste der Düsseldorfer Toten-Hosen-Blase, um das Rätsel ihres Aufstiegs zu ergründen. Dabei griff er auf seine früheren Porträts zurück, erweiterte das um Begegnungen mit Familienmitgliedern, Freunden, Geschäftspartnern und den Musikern selbst („Wir treffen uns im Proberaum in Düsseldorf... Campino ist nicht da.“). Oehmkes Bandbiografie will mehr als eine Nacherzählung dessen sein, was Interessierte ohnehin schon wissen. Der Reporterton öffnet sie ins Rhapsodische, wenn es auch durch den Verzicht auf einen chronologischen Zugang zu allerlei Redundanzen kommt. Offenbar hastig geschrieben, stellt das Buch den Weg Campinos und seiner Kumpel allerdings durchaus klug in gesellschaftliche Kontexte.

Als Ausgangspunkt wählt Oehmke den Moment, als „Tage wie diese“, der bislang größte Hit der Toten Hosen, auf der Siegesfeier der CDU gespielt wurde, während Merkels Anhänger sich an ihrem Wahlerfolg berauschten. Dass die Kanzlerin hinterher bei Campino anrief, um sich zu entschuldigen, wirft ein bezeichnendes Licht darauf, wie diese Band das Land verändert hat. Denn warum meinte sich Merkel überhaupt um Campino kümmern zu müssen? Ist er so relevant?

Campino ist ein Charismatiker, der schon als Kind für alle erkennbar im „ständigen Performance-Modus“ lebt und dem es nicht um Aura geht. Sicher hat er Allüren, unter denen seine Mitmusiker leiden. Aber eigentlich haben die Toten Hosen die Aufgaben sehr gut auf die Talente ihrer einzelnen Mitglieder verteilt. Jeder hat seinen Bereich. Campino redet und wirft seine charming Tentakel aus. Andi sorgt für die Optik, das Cover- und Klamottendesign, und Breiti für den Rest. Während Kuddel, das halbe Genie, nicht reden muss, sich in sein Domizil in der Eifel zurückziehen darf, um Song-Ideen zu bekommen. Kompliziert wird es nur im Studio, wenn aus den ganz anders gearteten musikalischen Talenten wieder ein neues Album werden soll.

Mit „Ballast der Republik“ gelang den Toten Hosen 2012 eine ihrer besten Platten. Sie steht, wenn man so will, für die dritte Metamorphose der Band. Aus dem chaotischen Spaß-Punk der Anfänge, der britische Vorbilder wie die Lurkers, Vibrators, The Clash imitierte, wurde erst „harte Musik“, also Rock, und schließlich der Sound des großen ehrlichen Gefühls, genannt Pop. Das hätte auch schief gehen können.

Ein Grund für den Erfolg der Band: Sie machte niemanden neidisch

Ist es aber nicht. Trotz ihres sorgfältig gepflegten Punk-Gestus’ des Unangepassten haben Campino, Breiti, Kuddel und Andi mehr mit den durchschnittlichen Befindlichkeiten in diesem Land zu tun, als man annehmen kann. Sie gingen aus seiner Mitte hervor. Die Väter waren Richter (Campino), Anzeigenleiter (Andi), Versicherungsjustiziar (Kuddel) oder früh tot (Breiti). Sie hatten den Krieg erlebt und haderten mit der Entwicklung ihrer Söhne, weil die offenbar alles, was sie aufgebaut hatten, wieder einreißen wollten. Dabei wollten sie das gar nicht. Selbst eine Anti-Haltung würde Punks eigentlich überfordern, meinte das frühe Hosen-Mitglied Trini Trimpop einmal. Und wie als Beweis dessen, adaptierte die Band schon früh volkstümliche Gassenhauer. Als etwas Besonderes empfanden sich die Toten Hosen nie. Aber sie wollten den Erfolg, von Anfang an.

Für dieses Ziel wurden sie immer besser, als Musiker, als Geschäftsleute und moralische Instanzen. Der andere Grund ihres Erfolges ist: Sie machten niemanden neidisch.

Die Tatsache war ihnen lange peinlich, die Gefühle so vieler Menschen anzusprechen, dass daraus Nummer-Eins-Hits wurden. Das äußerte sich in den Neunzigern vor allem bei Campino, wie Oehmke eindrucksvoll schildert, in hässlichen Ausfällen. Prügeleien mit Fans, Alkoholproblemen, Drogenexzessen, gesundheitlichen Krisen. Bei seinen zahlreicher werdenden Fernsehauftritten blieb der Eindruck eines unhöflichen Stars hängen. Es war eine Zeit, da konnten sich die Bandmitglieder auch gegenseitig immer weniger ertragen. Machtkämpfe brachen aus. Heute heißt es, seien die Toten Hosen die am besten funktionierende Scheindemokratie der Welt. Alle dürfen mitreden, aber Campino setzt sich durch.

Man sollte meinen, dass eine Band, ihrer Musik wegen von vielen Menschen gemocht wird. Aber Philipp Oehmke legt in seinem Buch einen anderen Schluss nahe. Es ist so, weil sie reden. Miteinander reden auf ihren berüchtigten Bandsitzungen. Mit Journalisten wie Oehmke reden, auch übereinander, ohne dass sich ein verletzender Ton einschleicht. Und mit den Fans reden. Als „Tage wie diese“ den Titelgewinn der Nationalmannschaft in Brasilien untermalte, haben die Toten Hosen vor der Frage gestanden, ob sie den Song unter dem Brandenburger Tor spielen würden, da haben sie auch das beredet. Sie haben abgelehnt. Jeder hat es verstanden.
Philipp Oehmke: Die Toten Hosen – Am Anfang war der Lärm. Rowohlt Verlag, Reinbek. 384 Seiten, 19,95 €.

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