80 Jahre Hans-Jürgen Syberberg: Preußischer Spätromantiker
Zwischen Geschichte und Mythologie: Zum 80. Geburtstag des Filmemachers Hans-Jürgen Syberberg
Amerikas Meisterdenkerin Susan Sontag hat Hans-Jürgen Syberbergs Opus magnum „Hitler – ein Film aus Deutschland“ in ihrem 1980 in der „New York Review of Books“ erschienenen Essay „das ehrgeizigste symbolische Kunstwerk unseres Jahrhunderts“ genannt. Manchmal müssen eben auch epochale Superlative sein, weil ihr Syberbergs „Synthese aus bildenden Künsten, Musik, Literatur und Theater“ als die „zeitgemäße Einlösung von Wagners Ideal des Gesamtkunstwerks“ erschien. Wobei Sontag auch daran erinnerte, dass Wagner im 20. Jahrhundert wohl „Filmemacher geworden wäre“.
Ausnahmekünstler und Außenseiter
Wie gut, dass Hans-Jürgen Syberberg, der am Dienstag seinen 80. Geburtstag feiert, nicht schon im 19. Jahrhundert gelebt hat. Er wäre dann seinen kulturellen Heroen Kleist, Hölderlin oder eben Richard Wagner zwar noch näher gewesen. Doch ohne den Film, in dessen jüngerer Geschichte er tatsächlich ein Ausnahmekünstler ist. Und ein Außenseiter. Denn ganz geheuer war dieser altpreußische Spätromantiker, der als Filmemacher die meiste Zeit in München-Schwabing gelebt hat, seinen Zeit- und Zunftgenossen wohl nie.
Syberberg stand wie Fassbinder, Herzog, Schlöndorff, Wenders oder Schroeter ab den 1960er Jahren für ein neues (west)deutsches Kino. Nur nicht als linker Achtundsechziger. Syberbergs Interesse ging weg vom Tagesaktuellen: hin zu den deutschen Vätern ganz unterschiedlicher Art – und in einem Fall, bei Winifred Wagner, auch zu einer nicht ungruseligen Schwiegertochter und Mutter.
Ein Stück deutsche Zeitgeschichte
Syberbergs vor 50 Jahren über Winifred und das Wagner-Haus Wahnfried entstandener Dokumentarfilm ist zu einem Stück deutscher Zeitgeschichte geworden. Solch ein Dokument (zum Schatten Hitlers) hätte man sich beispielsweise auch über Leni Riefenstahl nur wünschen können. Doch begonnen hatte Syberberg schon als Schüler: mit der Achtmillimeter-Kamera auf Proben von Bert Brecht am Berliner Ensemble. Später hat er, ein Juwel der Kulturdoku, auch Fritz Kortner bei Proben sowie bei seinem für eine Schallplatte in München aufgenommenen berühmten Shylock-Monolog gefilmt. Brecht und Kortner, die bedeutendsten Theater-Heimkehrer aus der Emigration. Und 1966 auch ein berührendes Filmporträt Romy Schneiders, die als neue junge Emigrantin (nach Frankreich) in Deutschland vom Darling zur Dissidentin geworden war.
Trotz allem stand Syberberg bei der bundesdeutschen Filmkritik – anders als im Ausland – unter oft ignorantem Konservativismus-Verdacht. Sein „Ludwig“, dieses grandiose „Requiem für einen jungfräulichen König“ (so der Untertitel) wurde 1972 von dem im selben Jahr herausgekommenen, glamouröseren und zugleich viel konventionelleren „Ludwig II.“-Film von Visconti überstrahlt. Auch Syberbergs „Hitler“ wurde verkannt: Man nahm die sieben Stunden Filmdauer für eine monumentale Mythologisierung und verkannte, dass das für kaum eine Million Mark gedrehte roh raffinierte Panoptikum aus Puppenspiel, Jahrmarkttheater, Grand Guignol und performativer Installation doch eine große Trauerarbeit war: über die deutsche Unfähigkeit zu trauern und den „Bruder Hitler“ (Thomas Mann) als eigenes, nicht als fremdes Gespenst wirklich anzunehmen. Darum hat Susan Sontag auch auf das Selbstreflexive des Titels „Hitler – ein Film aus Deutschland“ hingewiesen.
Kunst am Bau
Mindestens noch mit seinem fantastischen „Parsifal“, in dem Edith Clever mit der unterlegten Gesangsstimme von Yvonne Minton als Kundry eine Zauberin sondergleichen spielt, gehört Syberberg in den Olymp: der Musikfilmgeschichte. Inzwischen ist sein letztes Gesamtkunstwerk auch sein reales Lebenswerk geworden. Der Wiederaufbau seines elterlichen Guts und einer Kirche im Mecklenburgischen kann als „Nossendorf-Projekt“ (syberberg.de) im Internet bestaunt werden– inklusive vier Webcams. Salut!
Peter von Becker
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