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Auf dem Sofa. "Allee der Kosmonauten" mit Luc Dunberry, Nicola Mascia, Juan Kruz Diaz de Garaio Esnaola, Laurie Young, Yael Schnell und Takako Suzuki.
© Sebastian Bolesch

Sasha Waltz und ihr Klassiker: Prächtig, prekär

Es ist schon 20 Jahre her: Sasha Waltz tanzt wieder auf der „Allee der Kosmonauten“.

Eine Existenz auf der Kippe: Luc Dunberry hockt auf einem hochkant aufgestellten Brett, zuckt und zappelt, bis das Brett krachend zu Boden saust. Knall auf Fall werden auch die anderen Figuren in „Allee der Kosmonauten“ eingeführt. Mit der schrägen Tanztheater-Performance hat Sasha Waltz vor 20 Jahren die Sophiensäle eröffnet. Anlässlich des Theaterjubiläums wird das Erfolgsstück erneut am Entstehungsort gezeigt. Fünf Tänzer der Originalbesetzung beharken sich wieder auf der Bühne. Yael Schnell ersetzt Nadia Cusimano.

Für die Produktion hat Sasha Waltz damals Interviews mit Bewohnern von Plattenbauten in Marzahn geführt. Eine vertanzte Sozialreportage ist „Allee der Kosmonauten“ dennoch nicht. Waltz erzählt von einer schrecklich netten Familie. Drei Generationen lümmeln sich auf dem scheußlichen Veloursofa, um sich in die Quere zu kommen. Die Hyperaktivität kippt immer wieder um in Lethargie. Komik resultiert daraus, dass die Körper wie Objekte behandelt werden.

Steif wie ein Brett agiert Juan Kruz Diaz de Garaio Esnaola. Er verkörpert den Familienvater als streng gescheitelten Zwangscharakter. Er purzelt über die Sofalehne, schnellt wieder zurück – ein Stehaufmännchen, das sich an die beengten Wohnverhältnisse angepasst hat. Takako Suzi als verhärmte Hausfrau versinkt zunächst in Apathie und dreht dann auf, bis ihr altmodischer Staubsauger fast an die Decke fliegt. Währenddessen geht Luc Dunberry im prolligen Jogginganzug Yael Schnell an die Wäsche und schlägt auch schon mal zu. Der Mann explodiert aus Frust, seine Frau hat gelernt, alle Brutalitäten wegzustecken. Laurie Young als Wildfang in bravem Kleidchen lässt diverse Dressurversuche über sich ergehen, bis sie ausrastet und mit Händen und Füßen gegen die Wand donnert. Auch Nicola Mascia schlägt über die Stränge und wird dann selbst zusammengefaltet vom Familienoberhaupt.

Zu der wilden Musikcollage von Lars Rudolph und Hanno Leichtmann katapultieren die Tänzer sich in alle möglichen Schräglagen. Videobilder zeigen Ausschnitte aus Marzahner Wohnungen. Das Prekäre wird ins Physische übersetzt. Die Duos und Trios sind so rasant wie riskant. Wenn die Männer mit zwei Latten hantieren, hält man den Atem an. Ein Wunder, dass niemand umgenietet wird. Waltz schildert das chaotische Zusammenleben mit zugespitztem Witz und fängt auch das Großstadtgefühl aus Hektik, Überreizung und Langeweile ein.

Für die Eröffnung der Hamburger Elbphilharmonie erarbeitet Sasha Waltz gerade eine neue Performance. In Berlin wird sie im Juni eine Novität im Radialsystem vorstellen. Derzeit ist sie hier mit Wiederaufnahmen ihrer Erfolgsstücke präsent. Gerade erst wurde „Körper“ aus dem Jahr 2000 gezeigt. Auch „Allee der Kosmonauten“ ist ein Meilenstein im Werk von Sasha Waltz. Das Stück formulierte damals eine neue Tanztheater-Ästhetik und begeisterte mit seiner irrwitzigen Komik und seiner choreografischen Fantasie.

Und es zündet auch heute noch. Wie die gereiften Tänzer ihre Figuren entfalten und sogar noch vertiefen, ist fantastisch. Das Revival kommt zum richtigen Zeitpunkt: In der erregten Debatte um ihre Berufung an die Spitze des Staatsballetts wurde teilweise der Eindruck vermittelt, als sei Sasha Waltz eine überschätzte Künstlerin. Bereits die „Allee der Kosmonauten“ zeigt ihre Klasse als Choreografin. Der Abend stimmt aber auch ein wenig nostalgisch. Denn solche kleinen, herrlich überdrehten Stücke wie in ihrer Frühzeit wird Sasha Waltz wohl nicht mehr kreieren.

Bis 18. 1., 20 Uhr.

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