Das Ende von R.E.M.: "Losing my Religion"
Sie waren eine der größten Bands der vergangenen Jahrzehnte. Jetzt gehen sie getrennte Wege. Und einer ihrer größten Hits wird zum Soundtrack des Tages.
Es ist, als hätten sie noch einmal den Zeitgeist treffen wollen. Noch einmal den Soundtrack, wenn schon nicht für eine Generation, dann doch wenigstens für diesen einen Tag schreiben wollen. Ausgerechnet am Vorabend des Papstbesuchs in Berlin gibt die amerikanische Rockband R.E.M ihre Auflösung bekannt. "Losing my Religion", einer ihrer erfolgreichsten Hits, müsste am Donnerstag wenigstens für diesen einen Tag nochmal Platz 1 der Charts einnehmen.
Dabei mangelte es R.E.M. nicht an Erfolg. Im Gegenteil. Vielleicht hatten sie zu viel davon. Vielleicht haben sie sich auch einfach überhoben in diesen drei Jahrzehnten, in denen sie fester Bestandteil einer Musikwelt waren, die sich so gravierend verändert hat, das auch R.E.M nicht mehr hinterher gekommen sind. Anfang der 90er Jahre,als die Musikindustrie vor Kraft und Millionen-Umsätzen gar nicht mehr laufen konnte, haben Michael Stipe, Bassist Mike Mills und Gitarrist Peter Buck einen Vertrag über 80 Millionen Dollar unterschrieben. Es war der endgültige Abschied aus dem Underground, der ohnehin damals begann, sich aufzulösen.
Los ging es 1980 als College-Band in Athens (Georgia). "Twisted Kites" nannten sie sich damals noch. "Murmur", ihr Debüt, landete auf Anhieb in den Top 30 der US-Charts. Vor allem aber mit ihrem 1987 erschienenen Album "Document" begann ihr Aufstieg in höhere Sphären der Popwelt. Auf diesem Album sind Stücke wie "The One I love" oder der Klassiker "It's the end of the world as we know it".
Es folgte der Wechsel zu einem großen Label und erste wirklich finanziell erfolgreiche Alben wie "Green" oder "Out of Time", auf dem auch "Losing my Religion" zu finden ist. Der absolute Durchbruch war dann "Automatic for the People". Es sollte das erfolgreichste R.E.M.-Album werden - mit 18 Millionen verkauften Exemplaren.
Woran ist R.E.M. gescheitert? Erfahren Sie mehr auf der nächsten Seite.
Wirklich glücklich war die Band mit ihrer Entwicklung aber nicht. Das sollte ihr im Laufe der folgenden Jahre noch öfter passieren. Mit "Monster" wollten sie zurück zur Ursprünglichkeit ihrer Musik: rauer, aggressiver, weniger poppig. Das Album war eine Hommage an den Schauspieler River Phoenix, der kurz vor der Veröffentlichung des Albums gestorben war. Und mit "Let me In" widmete Stipe auch Kurt Cobain ein Lied des Albums. Ein großer kommerzieller Erfolg war es nicht, hielt die Major-Labels aber nicht davon ab, R.E.M. einen Mega-Deal anzubieten - und die Band hielt es nicht davon ab, diesen auch anzunehmen. Für fünf Alben waren sie nun nochmal verpflichtet. Und sie hielten sich dran. Mit "Adventures in Hi-Fi" fanden sie noch einmal zu sich und zu alter Stärke mit ihrer Mischung aus geradlinigem Rock, der immer wieder auch poppig daher kommt und dem unverwechselbaren Gesang von Michael Stipe. Vor allem aber seiner außergewöhnlichen Lyrik, die gut klingt, die aber kein Mensch versteht.
Danach versuchte die Band, sich mit Alben wie "Up" und "Reveal" weiter weg von einer Rock-Band hin zu einer Pop-Band zu entwickeln. Es war der Anfang vom Ende. 1997 stieg zunächst Schlagzeuger Bill Berry aus - allerdings vorrangig aus gesundheitlichen Gründen. Trotzdem gab es immer wieder Streit über die Ausrichtung. Stipe verstand sich als intellektueller Kopf der Band. Einer Band, die sich auch als Sprachrohr des liberalen Amerika verstanden werden wollte. Gitarrist Peter Buck war der Lederjacken-Typ der Truppe. Er wollte einfach nur Rock-Musik machen. Und Bassist Mike Mills musste zwischen den Fronten vermitteln. Einzig auf der Bühne schienen sie den Spirit noch zu finden. Doch selbst dafür langte es nicht mehr. Während sie an ihr vorletztes Album "Accelerate" noch eine Tour anschlossen, waren sie dazu bei ihrem letzten Album "Collapse into now" schon nicht mehr in der Lage. R.E.M. waren einfach am Ende ihrer Schaffenskraft, ihres Willens und ihrer Kreativität angekommen. Man könnte auch sagen: satt.
Nun gaben sie auf ihrer Homepage die Trennung bekannt. "Ich hoffe, dass unsere Fans verstehen, dass dies keine einfache Entscheidung war", sagte Stipe. "Aber alle Dinge müssen enden, und wir wollten es richtig tun, auf unsere Weise." In einer gemeinsamen Erklärung hieß es: "Wir gehen fort mit einem tiefen Gefühl von Dankbarkeit, von Endgültigkeit und mit Erstaunen über all das, was wir erreicht haben. An jeden, der jemals von unserer Musik berührt wurde, unser tiefster Dank fürs Zuhören." Und vielleicht hat Stipe, der ein großer Berlin-Fan ist, ja tatsächlich ein bisschen an Berlin, an den Papst und an "Losing my Religion" gedacht.
Christian Tretbar
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