40. Todestag von Jimi Hendrix: And The Wind Cries Jimi (Teil 2)
Länger tot schon als gelebt: Vor vierzig Jahren starb Jimi Hendrix. Unser Autor H.P. Daniels, selbst Musiker, hat ein sehr persönliches "Episodical" über den großen US-Amerikaner verfasst. Die Fortsetzung.
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Natürlich war Jimi Hendrix nicht plötzlich aus dem Nichts gekommen. Er stammte aus Seattle, Bundesstaat Washington, aus dem Nordwesten der USA. Geboren am 27. November 1942. Er hieß erst John Allen Hendrix, so hatte ihn seine Mutter genannt. Dann James Marshall Hendrix. Sein Vater hatte den Namen nochmal offiziell ändern lassen. Da war Jimi drei.
Mit Dreizehn bekam er seine erste Gitarre. Ein Geschenk vom Vater. Mit 16 hat er die Schule geschmissen und zwei Jahre später ist er zu den Fallschirmspringern gegangen. Army-Airborne. Hunderterste Luftlandedivision. Da müssen sie ihn für einen ziemlichen Spinner gehalten haben. Ein Irrer mit seiner Gitarre, die er sogar mit ins Bett genommen hat. Sagen welche.
Als er dann noch anfing zu erzählen, dass er mit der Gitarre den Klang der Bläser von Swingbands nachspielen wollte oder das Zischen des Windes, den er hörte, wenn er mit dem Fallschirm absprang ... da hielten sie ihn für völlig übergeschnappt. Und er war froh, dass er nach einer Verletzung bei einem Absprung 1962 auch den Absprung schaffte aus der Armee.
Er sauste quer durch die USA mit seiner Gitarre, spielte hier und spielte da. Mit diesem und mit jenem. Spielte auch mal mit Little Richard. Von dem hat er das Bleistiftbärtchen abgeguckt. Und später die Stirnbänder. Später, als er mit seiner Gitarre wirklich die Bläser der Swingbands imitieren konnte und das Zischen des Windes. Er hat es ihnen allen gezeigt.
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Dass Jimi Hendrix schon im November 1966 im Münchener Big Apple gespielt hat, war uns entgangen. Wir hörten "Revolver" von den Beatles, "Face To Face" von den Kinks, "Aftermath" von den Stones. Aber noch nichts von Hendrix, nichts gehört von dem. Der hatte auch noch keine Platte raus zu der Zeit, im Herbst 66. Im September war er gerade erst vom Animals-Bassisten Chas Chandler aus New York nach London geholt worden. Den dortigen Gitarrenidolen Eric Clapton, Jeff Beck, Jimmy Page, Pete Townshend und Keith Richards verschlug es die Sprache als sie zum ersten Mal diesen Hendrix hörten.
Und Chandler hatte Jimmie ein m aus dem Namen genommen und das e am Ende. Von jetzt an war er Jimi: Jott-Ih-Emm-Ih ... weil es besser aussieht, sich besser einprägt. Und weil es einzigartig ist: Jimi mit einem m. Der einzigartige Jimi.
Und Chandler hatte ihm Mitmusiker besorgt: den neunzehnjährigen Schlagzeuger Mitch Mitchell von Georgie Fames Blue Flames. Der spielte ziemlich jazzig und fast so wild wie Keith Moon von den Who. Dann war da noch der einundzwanzigjährige Noel Redding, der eigentlich Gitarrist war und auf Bass umlernen musste. Und sie nannten das Ganze: The Jimi Hendrix Experience. Es klang verrückt genug.
Aber wir hatten noch nichts davon gehört in München. Damals. Und Jimi Hendrix verpasst 1966 im Big Apple. Abgesehen davon, dass ich gar nicht reingekommen wäre ins Big Apple, denn ich war gerade erst 15. Gefälschte Schülerausweise hatten wir erst später. Und Jimi Hendrix hatte erst später eigene Songs.
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Winni hatte die Platte. Winni hatte alle Platten zuerst. Sommer 67. Das Ritual. Blume, den wir Flower nannten, drehte den Joint auf dem Cover von Turn Turn Turn, Byrds. Flower war der beste Jointdreher, wir ließen ihn machen, Flower, mach du mal. Flower machte. Während wir aufgereiht wie die Hühner saßen, auf dem Bett in Winnies winzigem Mansardenzimmer, hoch oben unterm Dach. Kalle, Flower, Arni, ich. Die schöne Rita, Winnis Freundin, im Sessel. Seine beiden Schwestern auf dem Boden. Und Winnie am Plattenspieler, dem kleinen Ding, Elac, Kofferding ... wer hatte schon eine richtige Stereoanlage? Damals 67? Eingestimmt hatte uns Winni mit den Who: "Happy Jack", die Single ... und den Stones: "Between The Buttons", die LP kannten wir schon auswendig, "Backstreet Girl" mein Lieblingssong. Der Joint war bei Arni.
- "Aber jetzt, Leute, jetzt kommt das Neuste, das Schärfste, das Irrste, was Ihr je gehört habt", sagte Winni, er ließ uns die Plattenhülle nicht sehen, der Joint war bei der schönen Rita ... "jetzt Leute, jetzt Leute ..." und senkte die Nadel ab, drehte die Lautstärke auf: Saitenklirren. Wird lauter. Gitarrenfeedback. Und mit dem Plektrum die Saiten runtergeschrappt. Ein tiefer Ton in den Bauch ... und volle Kanne: dongdong-daung, dongdong-daung, Foxy ... You know you are a cute little heartbreaker ... ha! ... toll dieses ha! Und das Lachen später, immer wieder am Ende der Gesangszeilen: "Foxy Lady", erstes Stück von der ersten Jimi-Hendrix-LP. Winni hatte alle Platten zuerst. Und Winni hatte nicht übertrieben.
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1970. Im Club, dem muffigen Kellerraum mit alten Sesseln, Sofas, hingen sie montags rum: Die Langhaarigen. Und ständig lief dieses unsäglich schrille Gekreische von Deep Purple: "Child in Time" ... aaahaha ... aber auch die Woodstock-Platte. Mit Jimi Hendrix: "Star Spangled Banner" ... wo sich die feierliche Melodie der amerikanischen Nationalhymne auflöst zu einem wüsten Schlachtfeld im Tränengasnebel: Pfeifende Raketen, explodierende Streubomben, Knistern von Flammen, Schreie von Sterbenden und Hubschrauber-Knattern ... alle Langhaarigen waren gegen den Vietnam-Krieg. Und Jimi war unser Mann.
Woodstock war im August 69. Da war die Jimi Hendrix Experience, die alte Band mit Mitchell und Redding schon aufgelöst, nach einem letzten Konzert in Denver, im Juni. Sie waren nicht mehr klargekommen miteinander. Noel Redding hatte inzwischen seine eigene Band, Fat Matress, wo er endlich wieder Gitarre spielen konnte, was ihm mehr lag als der Bass. Hendrix hatte jetzt die Band Of Gypsys. Mit seinem alten Armee-Kumpel Billy Cox am Bass und Buddy Miles als Schlagzeuger. Sie haben ein Live-Album aufgenommen, in der Neujahrsnacht 69/70. In New York. Im Fillmore East. Und sie spielten "Machine Gun". Alle Langhaarigen waren gegen den Vietnam-Krieg. - "Leg mal Machine-Gun auf..."
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Einer unserer Mitschüler hieß Jürgen Dannemann. Er war aus Düsseldorf. Und irgendwann hatte es geheißen: - "Hey, die Schwester vom Jürgen Dannemann ist die Freundin von Jimi Hendrix!" - "Ach du spinnst!" - "Doch wirklich, wenn ich's Dir doch sage: die Schwester vom Dannemann ist die Freundin von Jimi Hendrix!" - "Echt?"
- "Echt! Sieh hat ihn '69 nach einem Konzert in Düsseldorf kennengelernt und ist dann zu ihm nach London gezogen. Sie ist übrigens Eiskunstläuferin oder sowas..."
Monika Dannemann war eine tragische Figur. Sie sei mit Jimi Hendrix verlobt gewesen, er wollte sie heiraten. Sagte sie. Am Morgen des 18. September 1970 ist Hendrix in ihrer Londoner Wohnung nicht mehr aufgewacht. Als der Krankenwagen kam, soll er noch gelebt haben. Der offizielle Befund des Pathologen: "Tod durch Ersticken am eigenen Erbrochenen. Und Barbituratvergiftung. Unzureichende Indizien für die Umstände. Kein abschließendes Urteil."
Später sagten einige, man habe ihn im Krankenwagen falsch transportiert, aufrecht sitzend mit dem Kopf nach hinten. Eine andere ehemalige Hendrix-Freundin, Kathy Etchingham, behauptet heute noch, Monika Dannemann sei schuld am Tod von Hendrix: sie habe den Krankenwagen zu spät geholt. Kathy Etchingham sagt auch, die Musik von Jimi Hendrix hört sie schon lange nicht mehr, das sei doch ein alter Hut. Monika Dannemann war in finanziellen Schwierigkeiten. Man bot ihr eine Million Dollar für Jimis Lieblingsgitarre "Black Beauty". Aber sie hat die schwarze Stratocaster nicht hergegeben.
Kathy Etchingham ist noch über zwanzig Jahre nach Hendrix' Tod gerichtlich gegen ihre Erzrivalin Monika Dannemann vorgegangen. Immer wieder bezichtigten sich die Frauen gegenseitig der Lüge. Zwei Tage nach dem letzten Prozess hat sich Monika Dannemann am 5. April 1996 das Leben genommen, mit den Abgasen ihres Autos.
Drei Wochen vor seinem Tod mischte Jimi Hendrix den Song ab, den er als A-Seite seiner nächsten Single vorgesehen hatte: "Dolly Dagger". Er hatte den Song für seine Freundin geschrieben. Sie hieß Devon Wilson.
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Die Aufnahme von "Dolly Dagger" zeigt die Richtung, in der es für Hendrix musikalisch hätte weitergehen können. Keineswegs war er am Ende mit seiner Kreativität, keineswegs ausgebrannt. Er sprühte geradezu von Ideen und Leidenschaft. Und natürlich fragt man sich: was würde Jimi Hendrix heute machen? Wenn er noch leben würde? Heute als 68-Jähriger. Würde er immer noch bunte Stirnbänder tragen wie Little Richard? Dieses ganze Chichi: die Voodoo-Amulette, die großen Hüte, Spiegelwestchen, schreiende Jacken und Hemden, Ketten, Ringe, Hippie-Kitsch. Würde er Funk spielen? Oder Blues? Oder Jazz? Oder würde er als Gitarrist den von ihm so verehrten Bob Dylan begleiten? Fragen, die bleiben wie die wunderbare zeitlose Musik des Jimi Hendrix.
Den ersten Teil des Episodicals lesen Sie hier.
Auszug aus dem Episodical "And The Wind Cries Jimi" von H.P. Daniels. Von 1981 bis 1991 war H.P. Daniels Frontmann, Sänger und Gitarrist der legendären Rockband THE ESCALATORZ. Heute arbeitet er als freier Autor und Journalist, seit 1998 auch für den Tagesspiegel. Er bestreitet Lesungen und Solokonzerte. Nicht zuletzt aus seiner Zeit mit den ESCALATORZ sind ihm alle Mythen des Rockmusikerlebens, Stage und Backstage bestens vertraut. Aufgeschlossen für neue Talente in Rock-, Blues- und Singer-/Songwriterszene lässt er doch keine Zweifel aufkommen: erst durch die Beatles, die Stones, Bob Dylan und natürlich deren Wegbereiter wie Jimmie Rodgers, Hank Williams, Woody Guthrie, Muddy Waters, Chuck Berry und andere wurde vieles möglich, was es heute gibt.
Am 18.09. um 18 Uhr liest H.P. Daniels " And The Wind Cries Jimi" zur Finissage der Jimi-Hendrix-Ausstellung im bsd-photo-archiv, Gustav-Müller-Str.1, Berlin-Schöneberg. Mehr über den Autor auf www.myspace.com/hpdaniels.
H. P. Daniels