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Jimi Hendrix starb am 18. September 1970 in London. Vom US-Musikmagazin «Rolling Stone» wurde er zum besten Gitarristen aller Zeiten gewählt.
© dpa

40. Todestag von Jimi Hendrix: And the Wind Cries Jimi (Teil 1)

Länger tot schon als gelebt: Vor vierzig Jahren starb Jimi Hendrix. Unser Autor H.P. Daniels, selbst Musiker, hat ein sehr persönliches "Episodical" über den großen US-Amerikaner verfasst. Hier einige Auszüge - morgen mehr an dieser Stelle.

Vierzig Jahre! "Vierzig Jahre, kannst Du das fassen?" - "Was?" - "Vierzig Jahre ist Jimi Hendrix tot!" Länger tot schon als gelebt. Keine achtundzwanzig Jahre alt geworden. Tot schon vierzig. Nicht zu fassen. Und dieses Jahr wäre er 68 geworden. Am 27. November.

Und natürlich sind die Zeitungen wieder voll zum vierzigsten Todestag. Magazine, Radio, Fernsehen. Wie zu jedem Jubiläum, jedem Geburtstag, jedem Todestag: JimiJimiJimi. Dann reden sie von Jimi Hendrix, wie vor fünf Jahren, vor zehn, vor zwanzig. Wie vor zehn Jahren zum 30. Todestag. Reden vom großen Genie. Immer wieder: JimiJimiJimi.

Dass er die Rockmusik revolutioniert hat. Die elektrische Gitarre neu erfunden. Dass er sie mit den Zähnen gespielt hat und hinter dem Rücken und zwischen den Beinen. Und auf den Knien. Reden von Jimi, und dass er erst nach England kommen musste, um Erfolg zu haben. JimiJimiJimi. Immer wieder wird die Rede sein vom ersten großen Rock-Festival in Monterey. Im Juni '67. Mit Eric Burdon, Janis Joplin, Otis Redding, den Mamas and Papas. Und dass die Who wild waren. Aber Jimi hat ihnen die Show gestohlen. Jimi hat sie alle übertroffen. Und zum Schluss hat er seine Gitarre angezündet. Mit Feuerzeugbenzin. Gezündelt und gezüngelt mit der Zunge. Und von Woodstock ist überall wieder die Rede. Von Laffändpiehs und Tüdelüh. Im Zusammenhang mit Jimi und seinem vierzigsten Todestag. Von seiner improvisierten Version der amerikanischen Nationalhymne. Und deren Verhackstückung. Und dass er Unmengen Drogen zu sich genommen hat. Und Groupies. Und dass er ein schlimmes Management hatte, das mit der amerikanischen Mafia im Bunde stand. Oder dass er kein schlimmes Management hatte. Wie andere sagen. Je nach Sichtweise werden sie die Geschichten erzählen.

Geschichten von Jimi. Dass er ausgebrannt war. Am Ende. Dass er nicht mehr konnte. Dass ihm die musikalischen Ideen ausgegangen seien - man höre nur seine letzten Aufnahmen. Dass der Drogentod nicht überraschend kam. Im Londoner Hotelzimmer. Oder sie erzählen es andersrum: dass er voller Tatendrang war, voller musikalischer Einfälle - man höre nur seine letzten Aufnahmen ... dass man ihn nur nicht so ließ wie er wollte. Dass er verzweifelt war deswegen. Oder sie sagen: damals, nach dem 18. September 1970, haben es die Medien so verbreitet: Hendrix sei an einer Überdosis Drogen gestorben. In einem Londoner Hotelzimmer. Doch, dass es anders war: dass er erstickt sei an seinem eigenen Erbrochenen, nachdem er am Abend vorher in der Wohnung seiner Freundin ein paar Schlaftabletten genommen hat. Nicht zum Highwerden. Dazu hatte er vorher schon ein paar getrunken. Auch nicht zum Sterben. Einfach nur, um ein paar Stunden schlafen zu können. In der Wohnung seiner Freundin. Ein tragischer Unfall. Mehr nicht. Aber 1970 hätten die Medien nur allzu gern die Nachricht vom dramatischen Drogentod verbreitet. Weil das die besseren Schlagzeilen machte. "The Wind Cries Mary" war immer mein Lieblingssong.

(...)

Die Schule hatte schon seit einer Weile wieder angefangen. September 1970. Nach den großen Ferien. Da kam es nachmittags irgendwann im Radio: Jimi Hendrix ist tot. Letzten Freitag sei er bewusstlos von einer Freundin in ihrer Londoner Wohnung gefunden worden. Er sei gestorben, kurz nachdem er ins St. Mary Abott's Hospital eingeliefert worden ist.

Jimi Hendrix ist tot. Nur vier Wörter. Aber sie trafen schwer. Wie die vier Wörter ein Jahr zuvor: Brian Jones ist tot. Erst Brian von den Stones und jetzt Jimi. Sie waren befreundet. Brian Jones und Jimi Hendrix.

Ich nahm die erste Platte vom Doppelalbum aus der Hülle, legte sie auf den Plattenteller, vorsichtig, senkte die Nadel ab, langsam, behutsam: leichtes Knistern. Zwei dumpfe Paukenschläge. Bumm-Bumm. Nachhall. Pause. Knistern. Noch zwei Paukenschläge. Entferntes Nachgrummeln wie Gewitter. Die Zeitlupenstimme eines Außerirdischen. Strudelgeräusche. Zischen. Rauschen. Brausen. Wie in einer Röhre. Im Zeittunnel. Immer schneller. Immer lauter. Dann wieder langsamer. Leiser. Pause. Grummeln. Dreimal kurzes Klacken. Und: Haaave you eeever been ... Jimis warme Stimme und Töne, die wie Tropfen von der Gitarre perlen... have you ever been to Electric Ladyland. Wie eine Erlösung. Auflösung. I wanna show you different emotions. Jimi Hendrix ist tot.

(...)

Anfang 1967. Unsere Helden waren die Stones, die Beatles die Kinks, die Who. "Dead End Street", die letzte Single von den Kinks. "Penny Lane" und "Strawberry" Fields von den Beatles waren gerade neu. "Let's Spend the Night Together" und "Ruby Tuesday" von den Stones. Etwas müde geworden, die alten Helden.

Doch gab es eine neue Gruppe: Cream mit Eric Clapton und bab-bab-bah-m-babab I feel free. Und und und: ...plötzlich dieser Typ ... aus dem Nichts. Plötzlich war der da. Wie heißt der? Jimi Hendrix. Jimi mit einem m. Die Band heißt: The Jimi Hendrix Experience. Was für ein Name. Unglaublich, unaussprechlich fast: The Jimi Hendrix Experience.

Plötzlich war Jimi Hendrix da. Aus dem Nichts. Bei uns im Wohnzimmer. Im Fernsehen. Im Beat Club. An einem Samstagnachmittag. Am 15. März 1967. Fernsehen war noch schwarzweiß. Und es gab drei Programme. Gerade mal. Und einmal im Monat samstags Beat Club von Radio Bremen. Und plötzlich ist da dieser Typ. Nie vorher gehört von dem, nie gesehen. Jimi Hendrix in schwarzweiß. Jimi Hendrix ist schwarz-weiß. Schwarz und weiß und ein bisschen Indianer. Aber das erfahren wir erst später: dass er schwarze und weiße und indianische Vorfahren hatte. Heute, im März 1967, sehen wir nur diesen Typen auf dem kleinen Bildschirm: Schwarz-Weiß-Hendrix.

Irre der Typ. Spielt "Hey Joe", spielt richtig, singt richtig, kein Gemime zum Band, das Wort "Playback" kannten wir damals noch nicht. Doch, der hat richtig gespielt und gesungen ... und doch so anders als alle anderen. Was singt er da? Hey Joe, where are you goin' with that gun in your hand, dadong-dadung-dong ... irre, die Gitarre, einfach irre ... hast du sowas schon mal gehört? Sowas hast du noch nie gehört. Und schau mal: der ist Linkshänder. Spielt seine Stratocaster andersrum ... deswegen sieht das so merkwürdig aus, so irre, so verkehrt, verdreht ... der hat die Rechtshänder-Gitarre einfach umgedreht. Dass die Reglerknöpfe und der Vibratohebel oben liegen, über den Saiten. Wie kann der so überhaupt spielen? Aber er kann, er kann, er kann, ooooh, dieses Solo ... hast Du sowas schon mal gehört? Und wie der aussieht. Mit diesen wüsten schwarzen Haaren. Ein bisschen wie Bob Dylan früher. Auf dem Cover von "Blonde On Blonde". Was ist eigentlich aus Bob Dylan geworden? Lange nichts gehört von Bob Dylan. Aber jetzt war hier Jimi Hendrix und betonte die Silben, die Wörter ein bisschen wie Bob Dylan, obwohl er doch eine ganz andere Stimme hatte.

Die wüsten Haare wie ein zerzauster Heiligenschein. Schwere schmale Augen wie Bittermandel, breite Nase, breite Lippen. Und darüber ein schmales Bärtchen, wie ein Bleistiftstrich, über die Mundwinkel leicht heruntergezogen. Und er trägt so eine Uniformjacke wie die Typen beim Zirkus. Aber das hier ist kein Zirkus. Das ist echt und richtig gut. Echt gut. Hey Joe. - Oh scheiße, die Tür geht auf. Der Vater. Dadong-dadung-dong! - "He du, geht das nicht ein bisschen leiser! Wer ist das denn? Wie sieht der denn aus? Wo hammse den denn hergeholt? Und das nennst du Musik? Sowas hört ihr euch an?" Hey Joe, I'm going way down south way down where I can be free ... dadong-dadung-dong. "Mach das mal leiser!"

(...)

Den zweiten Teil des Episodicals lesen Sie hier.

Auszug aus dem Episodical "And The Wind Cries Jimi" von H.P. Daniels. Von 1981 bis 1991 war H.P. Daniels Frontmann, Sänger und Gitarrist der legendären Rockband THE ESCALATORZ. Heute arbeitet er als freier Autor und Journalist, seit 1998 auch für den Tagesspiegel. Er bestreitet Lesungen und Solokonzerte. Nicht zuletzt aus seiner Zeit mit den ESCALATORZ sind ihm alle Mythen des Rockmusikerlebens, Stage und Backstage bestens vertraut. Aufgeschlossen für neue Talente in Rock-, Blues- und Singer-/Songwriterszene lässt er doch keine Zweifel aufkommen: erst durch die Beatles, die Stones, Bob Dylan und natürlich deren Wegbereiter wie Jimmie Rodgers, Hank Williams, Woody Guthrie, Muddy Waters, Chuck Berry und andere wurde vieles möglich, was es heute gibt.

Am 18.09. um 18 Uhr liest H.P. Daniels " And The Wind Cries Jimi" zur Finissage der Jimi-Hendrix-Ausstellung im bsd-photo-archiv, Gustav-Müller-Str.1, Berlin-Schöneberg. Mehr über den Autor auf www.myspace.com/hpdaniels.

H.P. Daniels

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