Friedrichstadtpalast-Revue: "The Wyld": Pomp und Pudel
Tanz die Nofretete: Die Revue „The Wyld“ im Friedrichstadtpalast, mit den Berlin-Ikonen der Ägypterin auf der Museumsinsel, dem Fernsehturm - und natürlich Knut.
Zu schön, wie der Friedrichstadt-Palast bebildert, was passiert, wenn die Menschen wild werden. Wenn die Großstädter den Dschungel da draußen und die Abgründe in sich entdecken. Da finden sie nämlich keine Aliens, keine Tiger, sondern – ja, duzi duzi, bist ein Guter, bist ein Braver, ja, mach’ fein Sitz – einen Pudel. Und nicht nur einen, sondern zwei, drei, vier, eine ganze Pudel-Nummer!
Geradezu rührend, eine so altmodische circensische Disziplin auf der technisch hochgerüsteten Bühne des im Technik- und Sound-Bombast schwelgenden Revuepalastes zu sehen. Aber auch seltsam, wo für die neue Zehn-Millionen-Euro-Produktion „The Wyld – Nicht von dieser Welt“ doch eigentlich Aliens und die das Showplakat zierende Nofretete mit dem Fernsehturmkuppelhut angekündigt sind. Das aus Designer Manfred Thierry Mugler und Hausregisseur Roland Welke bestehende Regieteam hat halt begriffen, was Unterhaltungskunst so richtig gut und wertvoll macht: mehr Fragen aufwerfen als Antworten geben.
Schön in "Wyld": die wohldefinierte Bein- und Bauchmuskulatur der Tänzer
Und so häufen sich in der zweistündigen Show Rätsel dieser Art: Wieso leitet eine langweilige Ballettprobenszene à la „Fame“ auf minimalistisch ausgestatteter Bühne eine erklärtermaßen auf optische Überwältigung angelegte Revue ein? Wieso bringt ein Bund Möhren den BMX-Artisten mit einer auf der Kuppel des Fernsehturms lebenden Frau zusammen? Was soll der mit „Pizza Bear“ beschriftete Knut, der auf der Bühne herumtapst? Und was singen die Gesangssolisten außer dem ständig als Reprise wiederkehrenden Refrain der Leitmotive „Into the Wyld“ und „Zwischen Himmel und „Erde“ da eigentlich die ganze Zeit? Von den lange vergeblich erwarteten, erst im letzten Showviertel per Leuchtbrettern von oben einschwebenden Außerirdischen ganz zu schweigen.
Talmi, Flitter, das gehört dazu im Friedrichstadt-Palast
Apropos Einschweben. Die Übergänge in Gestalt rein- und rausfahrender Bühnenteile, wachsender und schrumpfender Leuchtstufen, aus Löchern auftauchender oder darin verschwindender Solisten, sind – obwohl bekanntes Palast-Element – immer wieder elegant anzusehen. Das gilt auch für die wohldefinierte Bein- und Bauchmuskulatur der Tänzerinnen und Tänzer. Den Männern hat Kostümbildner Mugler in einer modisch und musikalisch an Hip-Hop orientierten Nummer sogar Aussparungen für die Waschbrettbäuche in die Kapuzenpullis gebaut. Und einigen Kostümen CSD-Parade-taugliche Großsuspensorien spendiert. Wie sich das gehört für eine munter Travestie, Androgynität und Männlich- wie Weiblichkeit feiernde Revue.
Talmi, Flitter – das gehört dazu. Und doch fügt sich die nur notgedrungen von kurzen lyrischen Einlagen unterbrochene Licht-, Projektions- und Ton-Kanonade nur selten zu den großen Bildern, den Aaah!-Showmomenten, die für das Genre unverzichtbar sind. Das ist in der Vorgängerproduktion „Show me“, die vor zwei Jahren mit Esther-Williams-Wasserballett und zylinderbewehrter Girlreihe die seligen Zeiten üppiger Broadway-Revuen zitierte, viel besser gelungen. Wo „Show me“ einen dramaturgischen Bogen, ein ästhetisch stimmiges Gesicht hatte, zerbricht „The Wyld“ in beliebig aneinandergereiht wirkende Nummern oder verliert sich im überfüllten Wimmelbild. Da können die Artisten wie das Equilibristen-Quartett White-Gothic oder das Duo Markov mit seiner Luftnummer an Stange und Ring noch so sehr beeindrucken – es fehlt an konzentrierten, den Bühnenraum in seiner ganzen Tiefe bespielenden Choreografien. So gerät Nofretetes erster Auftritt in der zweiten Showhälfte – ihre Verwandlung von der Büste im Neuen Museum zu einer goldüberzogenen Tänzerin – nicht zu einer königlich-triumphalen Nummer, sondern zu einer kleinen „Nachts-im-Museum“-Szene.
Die Ägypterin, der Fernsehturm und Knut sind längst nicht alle Berlin-Ikonen, die „The Wyld“ zu buntem Zuckerguss verschmilzt. Auch Marlene Dietrich, Sally Bowles und Kennedys „Ich bin ein Berliner“-Zitat werden durch die große Palastmangel gedreht und als Augenkonfetti in den Saal geschossen. Ebenso das Haus selbst, das gemäß seiner ständig neue Rekorde verkündenden Eigenpräsentation auch als Bühnenprojektion immer schon ein Stückchen weiter ist. Wo an der Fassade jetzt noch pink Friedrichstadt-Palast leuchtet, steht in „The Wyld“ schon „Palast Berlin“. Auch die gleichlautende Internetadresse spricht von diesem an die große weite Welt gerichteten Unterhaltungsauftrag. Auszuführen aber bitte nur mit Pudel-Nummer.
Friedrichstadt-Palast, Fr-So und Di-Mi 19.30 Uhr, Sa/So auch 15.30 Uhr
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