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Zu Füßen der Pyramiden soll das Grand Egyptian Museum das immense Erbe des Pharaonenreiches aufnehmen. Eine Simulation des Architekturbüros Heneghan Peng zeigt, sie das Gebäude aussehen soll.
© Archimation for heneghan peng architects.

Ägypten und seine Altertümer: Pharao, hilf!

Zerrissene Nation, gefährdete Schätze: Ägyptens Kulturpolitik sucht Wege aus der Krise, etwa mit dem Bau des größten Museums der Welt. Denn das Land lebt von seinen Altertümern.

Ein Thüringer war der erste, doch niemand weiß von seinen Abenteuern. In türkischer Verkleidung erkundete Johann Michael Wansleben 1673 das Tal der Könige – als erster Europäer seit der Antike. Nicht von ungefähr war er im Auftrag Ludwig XIV. unterwegs, des Sonnenkönigs, Frankreichs barockem Pharao. Keine andere Kultur repräsentiert so sehr das Faszinosum der Macht wie das alte Ägypten.

Das Ägypten von heute bietet ein gänzlich anderes Bild. Ein zerrissenes, verunsichertes, sich selbst nicht geheures Land. Die Umbrüche haben auch die Kulturpolitik erfasst, insbesondere die archäologischen Stätten und Sammlungen, über die ein eigenes Ministerium wacht. Das Land hängt auf Gedeih und Verderb vom Schicksal seiner Altertümer ab. Deren Erhaltung muss durch die Einnahmen aus dem Tourismus finanziert werden. Doch Ägyptens Fleischtöpfe sind leer. Die Zahl der Besucher ist seit der Revolte von 2011 um die Hälfte gesunken, die Einnahmen der Museen gingen gar um 95 Prozent zurück. Entsprechend groß ist der Leidensdruck; das Land kann sein überreiches Erbe kaum mehr zusammenhalten. Zugleich knüpfen sich eben daran die verwegensten Hoffnungen. Pharao, hilf!

Kein Ort veranschaulicht die Magie wie die Misere der Altertümer so frappierend wie die Baustelle des Grand Egyptian Museum am Fuß der Pyramiden. Es soll die Nachfolge des altehrwürdigen Museums in Kairo antreten und wurde noch in den fetten Jahren begonnen. Damals glaubte man, zumindest einen Teil der horrenden Kosten selbst finanzieren zu können. Das irisch-amerikanische Architektenteam Heneghan Peng, das auch ein Büro in Berlin unterhält, trug unter 1500 Einreichungen den Sieg davon. Das Büro hat den Bau als Schleuse in eine andere Zeit konzipiert. „Viele Touristen werden nur zwei Stunden haben, um drei Jahrtausende zu besuchen. Durch den umgebenden Garten, die gestaffelten Zugänge und den Sichtkontakt mit den Pyramiden versuchen wir, sie langsam mit dieser großartigen Zivilisation vertraut zu machen“, erklärt Róisín Heneghan.

Im Jahr 2018 soll das neue Weltwunder seine Tore öffnen

Mit einer Milliarde Euro handelt es sich um das größte Bauvorhaben der Welt, und selbstredend soll es auch das größte Museum der Welt werden. Solch prahlerische Superlative sind typisch für Schwellenländer mit ihrer Mischung aus Größenwahn und Minderwertigkeitsgefühl. Im Falle Ägyptens kann man sich freilich auf das Vermächtnis der Pharaonen berufen. „Wir bauen hier die Pyramide der Moderne“, erklärt Tarek Tawfik, seit kurzem Generaldirektor des Prestigeprojekts. Es ist der begehrteste und zugleich gefürchtetste Posten, den die Ägyptologie weltweit zu vergeben hat. Denn so gewaltig die Träume der Macher, so gewaltig sind auch die Schwierigkeiten.

Ja, wenn es denn schon stünde! Wenn es seine Bestimmung als kulturelle Wunderwaffe schon erfüllen würde, als Musentempel der Menschheit, zu dem jeder Erdenbürger einmal im Leben gepilgert sein muss. Bei 15 000 Besuchern am Tag würden die Einnahmen nur so sprudeln.

Doch seit dem Sturz Mubaraks haben die Bauarbeiten weitgehend geruht, erst jetzt kommen sie wieder in Gang. Ein Dutzend Kräne dreht sich in bedächtiger Choreografie, Kipplaster rangieren zwischen Betonwänden, behelmte Bauingenieure streifen über das Gelände. 2018 soll das neue Weltwunder seine Tore öffnen – Inschallah. Bereits fertiggestellt sind die Depots, Verwaltungsgebäude und Restaurierungswerkstätten – die modernsten der Welt, versteht sich, jedes europäische Museum schielt sehnsüchtig dorthin. Von der Öffentlichkeit unbemerkt, sind 16 000 Objekte bereits umgezogen, darunter auch jene Schätze des Tutenchamun, die bisher in den Magazinen des alten Hauses lagerten. In der Quarantänekammer werden sie von Pilzen befreit, und im Papyruslabor entrollen die Restauratoren mit angehaltenem Atem Weihesprüche, die den Königen vor drei Jahrtausenden als Flaschenpost fürs Jenseits beigegeben wurden.

Tawfik, vor 43 Jahren in Gizeh zur Welt gekommen, hat in Bonn studiert; seine Mutter ist Deutsche. Er spricht von Ägyptens Schätzen mit der gleichen Leidenschaft wie ein Pyromane vom Feuer. Und wirkt dabei ausgesprochen optimistisch. Wenn man noch 700 Millionen Euro braucht, fällt es vielleicht gar nicht schwer, Zuversicht zu verbreiten.

Zumal er einen Partner an der Hand hat, der für märchenhaften Reichtum bürgt: Tutenchamun. „Er wird der große Magnet“, verrät Tawfik, dem legendären altägyptischen König allein werden 7000 Quadratmeter eingeräumt. Erstmals soll Howard Carters kompletter Grabfund präsentiert werden. Pate dafür steht jene Schau mit originalgetreuen Reproduktionen des Pharaonenhorts, die seit einigen Jahren um die Welt tourt, entwickelt von einem deutschen Team. Sie verbindet den Mythos des Pharaos mit der packenden Story seiner Entdeckung im Jahr 1922.

In Kairo stahlen Diebe 50 Objekte aus dem Schatz des Tutenchamun

Zu Füßen der Pyramiden soll das Grand Egyptian Museum das immense Erbe des Pharaonenreiches aufnehmen. Eine Simulation des Architekturbüros Heneghan Peng zeigt, sie das Gebäude aussehen soll.
Zu Füßen der Pyramiden soll das Grand Egyptian Museum das immense Erbe des Pharaonenreiches aufnehmen. Eine Simulation des Architekturbüros Heneghan Peng zeigt, sie das Gebäude aussehen soll.
© Archimation for heneghan peng architects.

Früher schickte Ägypten die Originale ins Ausland, wo sie viele Millionen für die Staatskasse einheimsten. Wobei der herzige Kindkönig Tutenchamun die gleiche Funktion hatte wie die Pandas für China: die eines politischen Sonderbotschafters. Als Gegengabe für umfangreiche Militärhilfe reiste er Anfang der siebziger Jahre durch die Sowjetunion; als „Ausdruck unserer Dankbarkeit für die Haltung zur Friedenspolitik“ entsandte Sadat ihn 1980 nach Deutschland.

Aus konservatorischen wie politischen Gründen darf Seine Majestät das Land jedoch nicht mehr verlassen. Nun regen sich Stimmen, die ihn doch wieder auf Welttournee schicken wollen, vermag doch niemand eine derart große Sehnsucht nach dem Wunderland am Nil zu wecken wie er. „Wenn ein Angebot aus Deutschland käme, warum nicht?“, räsoniert Antikenminister Mamdouh Al-Damaty. Selbst Archäologe, hat er in Deutschland studiert und war zuletzt Kulturattaché an der Botschaft in Berlin. Kämpferisch zählt er eine ganze Liste von Provinzmuseen auf, deren Weiterbau sich durch die Krise ebenfalls verzögert hat; auch die Retortenstädte am Roten Meer sollen durch Kultur aufgewertet werden. „Wenn ich nur die Hälfte davon zu Ende bringen kann, wäre das schon ein Zeichen.“

Während immer mehr Museen öffnen, droht weiteren Stätten die Schließung aus konservatorischen Gründen. Das Prinzip der Nachbildung, das der Wanderausstellung zugrunde liegt, eröffnet einen gewissen Ausweg aus der Zwickmühle. So lassen sich Ägyptens Schätze weiter popularisieren und vermarkten, ohne die Substanz zu gefährden. Im Tal der Könige wurden Attrappen der Tutenchamun-Gruft sowie des Ausgrabungshauses von Howard Carter bereits fertiggestellt. Die Repliken weiterer Gräber werden aus finanziellen Gründen vorerst nicht realisiert. Langfristig wird sich die Sperrung der Grabstätten kaum vermeiden lassen. Feuchtigkeit und Schädlingsbefall haben stark zugenommen, immer wieder kommt es zu Beschädigungen. Eine ersatzlose Schließung aber wäre der Ruin für Luxor. Faksimiles an Ort und Stelle könnten die Schaulust der Massen halbwegs befriedigen. In der mit Lasertechnologie und 3D-Druckern erstellten Kopie der Tutenchamun-Grabkammer vermag der Laie kaum einen Unterschied zu erkennen – selbst die unzähligen schwarzen Pilzsprenkel auf den Wänden wurden eins zu eins übertragen.

Im alten Ägyptischen Museum in Kairo setzt vor allem die Luftverschmutzung den Exponaten zu. Erschütterungen durch die U-Bahn und den Umbau des Tahrirplatzes legen die Verlagerung nach Gizeh ebenfalls nahe. Wobei das legendäre Haus als kunstgeschichtliches Museum erhalten bleiben soll. „Es ist die Urmutter aller ägyptischen Museen“, schwärmt Friederike Seyfried, Direktorin des Ägyptischen Museums in Berlin. Eine nostalgische Wunderkammer, dazu das Museum eines Museums. Als buchstäblich erstes Haus am Platz bildete es nicht nur die Kulisse der Massenerhebungen im Arabischen Frühling, sondern wurde vor vier Jahren auch selbst zum Tatort. Diebe stahlen 50 Objekte aus dem Schatz des Tutenchamun. Damals formierte sich eine Menschenkette, um das Haus zu schützen.

Dass die ägyptische Antike weit mehr zu bieten hat als den immergleichen Märchenkönig, zeigt die Ausstellung „Ein Gott – Abrahams Erben am Nil“, die ab 1. April im Berliner Bodemuseum präsentiert wird. Friederike Seyfried hat sie mitkuratiert. „Die drei Buchreligionen haben am Nil unglaublich lange koexistiert“, erklärt sie, „meist friedlich und fruchtbringend. Insbesondere Alexandria war ein Schmelztiegel, und gerade in der muslimischen Zeit herrschte ein großes Toleranzempfinden.“

Heutigen Islamisten ist dagegen selbst die altägyptische Religion ein Dorn im Auge. Kürzlich rief ein salafistischer Prediger im Fernsehen dazu auf, die Sphinx in die Luft zu sprengen. Derartige Bilderstürmerei geht mit anti-westlichem und antimodernem Furor einher. Ein einziger Anschlag, eine einzige Geiselnahme würde Ägypten wirtschaftlich erneut um Jahre zurückwerfen. Entsprechend stark sind Polizei und Militär an den touristischen Schwerpunkten präsent, entsprechend inständig klingen die Beteuerungen, das Land sei sicher. Wobei eine gewisse Beklemmung fast so alt ist wie der Fremdenverkehr: „Gefangennahmen und Massaker beherrschten die Gespräche“, berichtete die britische Weltreisende Eliza Fey schon 1776 vom Nil. Und war gleichwohl hingerissen.

Ägyptens Altertümer sind immer auch ein Politikum. So sind sie schließlich auch entstanden, als grandiose Manifestationen des jeweiligen Systems. Als archetypische Ausprägungen der Macht sprechen sie bis heute zu uns.

Stefan Schomann

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