Rache an den Kritikern?: Peter Handkes neues Buch "Das zweite Schwert"
Der Literaturnobelpreisträger Peter Handke begibt sich mit "Das zweite Schwert" auf einen Rachefeldzug - und landet ganz bei sich selbst.
Als der Suhrkamp Verlag im November des vergangenen Jahres ein neues Buch von Peter Handke ankündigte, und zwar mit einem vielsagenden Zitat aus eben jenem Buch, „Sieht so einer aus, dem die langersehnte Rache gelungen ist?“, passte das ins Bild der heftig tobenden Debatte um Handke und den Literaturnobelpreis.
Auf der Seite von Handke gab es keine Anzeichen von Versöhnlichkeit, auf der Seite der meisten seiner Kritiker ebenfalls nicht. Die Antwort auf die Frage nach der gelungenen „langersehnten Rache“ musste ausbleiben.
So lag es für Handke nahe, sich einmal mehr mit dem Thema der Rache auseinanderzusetzen, auf Rachefeldzug zu gehen, in welcher Form auch immer. Seine Erzählung „Das zweite Schwert“ (Suhrkamp, Berlin 2020. 158 S., 20 €) .hat er Monate vor Stockholm und dem Literaturnobelpreisentscheid geschrieben, im April und Mai 2019, wie es am Ende heißt. Deshalb firmiert diese Erzählung auch als eine „Maigeschichte“.
In inniger Feindschaft mit seinen Kritikern befindet sich der 77-jährige Schriftsteller ja schon lange, nicht erst seit seinen ersten Jugoslawien-Büchern. Man denke nur an die Lästereien über Marcel Reich-Ranicki, seinen „Feind in Deutschland“, wie es in dem 1994 veröffentlichten Roman „Mein Jahr in der Niemandsbucht“ heißt, „der schlaueste und zugleich beschränkteste.“
Der Erzähler will sich an einer Journalistin rächen
Was seine Kritiker anbetrifft, viele Journalisten überhaupt, regiert bei Handke die Unversöhnlichkeit, so gern er sich immer wieder den Medien anvertraut. Deshalb beklagt er nun in seiner Maigeschichte die „Gewalt“ der Zeitungen, eine Gewalt, die „ihren - das gehörte zur Natur solch Fernschreibens - wehrlosen Opfern nie wiedergutzumachendes Unrecht zufügte.“
Der Erzähler von „Das zweite Schwert“ will Rache üben an einer Journalistin, die in einem Artikel über ihn auch seine Mutter, seine „heilige Mutter“, angegangen war. Diese sei nämlich, so stand es in dem Artikel, obwohl Kärntner Slowenin, NS-Anhängerin gewesen, eine Parteigenossin, „für welche die Einverleibung des kleingewordenen Lands ins ,Deutsche Reich' Anlass zu Freudenfesten war.“
Man erfährt das erst spät in dieser Geschichte, ziemlich genau nach der Hälfte; noch später, dass es zwischen der Journalistin und dem Erzähler schon einmal einen Kontakt gab, er lange ihre Adresse hat, weil sie ihn in einem handgeschriebenen Brief für „ein freundschaftliches, öffentliches Streitgespräch“ gewinnen wollte.
Zu Beginn ist nur vage davon die Rede, dass hier jemand nach langer Umherschweiferei und der Rückkehr in seinen Ort, seinen „Stammwohnsitz-Vorort südwestlich von Paris“, sofort wieder los muss, „auf zum Rachefeldzug, zu führen von mir als Einzelperson“, um „die längst fällige Rache zu exekutieren“, zu töten gar.
Im Grunde spielt der Zeitpunkt der Erklärung, wen oder an wem sich der Erzähler rächen will, keine größere Rolle. Handkes Prosa ist „seit jeher“, um eine seiner nervtötensten, ewig die Ewigkeit anrufenden und in die Tiefe der Zeit weisenden Formulierungen zu benutzen, eine Prosa der Abschweifungen und Umständlichkeiten, der Um- und der Nebenwege. Und unterwegs ist auch immer jemand.
Es braucht hier also seine Zeit und einige Erläuterungen, bis der Ich-Erzähler aufbricht, er sich auf die Straße vor seinem Haus begibt, um zur Tramstation zu laufen. Was gilt es nicht alles zu bedenken: die früheren Abwesenheiten. Und zu erinnern: „die von der Erde kartätschten Brüder“ der Mutter.
Es ist ein Buch des Weiterschreibens und des Wiederholens
Was soll er zu lesen mitnehmen: Hesiods „Werke und Tage“? Das Lukas-Evangelium, dem er schließlich die Idee mit dem „Zweiten Schwert“ entnommen hat? Oder einen Simenon-Roman?
Nein, all das würde ihn von „meiner Sache“ nur ablenken. Und was soll er anziehen? Einen dreiteiligen Dior-Anzug zum Beispiel, dazu die „ältesten und bestbewährten Schuhe, mit denen ich, obwohl sie keine Wanderschuhe waren, die spanischen Pyrenäen überquert hatte und weiter südwärts die Sierra de Guadarrama und danach die Sierra de Gredos.“
Man weiß um die beiden Onkel, die im Krieg gefallen sind. Oder man kennt den Schauplatz seines Romans „Der Bildverlust“, die Sierra de Gredos, nur dass Handke damals eine erfolgreiche Bankerin das spanische Hochland durchstreifen und davon erzählen ließ. „Das zweite Schwert“ ist wie „seit jeher“ bei Handke ein Buch voller Selbstzitate, Selbstfortschreibungen, Selbstkommentare, Selbstsuche und auch Selbstparodien. Eben: „Nichts als die Fortsetzung. Auf zur Fortsetzung.“ Ein Buch des Weiterschreibens, des Wieder- und Neugewichtens, des Wiederholens.
Man kennt auch die Gegend um Paris aus seinen Büchern, man meint, den von Handke hier hin und wieder kurz porträtierten Menschen schon einmal begegnet zu sein in seinem Werk. Oder mit ihm vor der „Bar des Voyageurs“, in der „Bar der drei Bahnhöfe“ gesessen oder auch aus dem Fenster seines Hauses auf den „Ewigen Hügel“ und den „Wald des Ewigen Hügels“ geblickt zu haben.
Und man weiß, dass ihm ein Maikäfer oder ein Schmetterlingspärchen mehr bedeuten als die Aktualitäten der Welt, beispielsweise Europawahlen; auch dass Handke es vermag, die Ile-de-France-Region schöner zu beschreiben als sie ist.
Port-Royal-des-Champs ist wie in "Don Juan" ein Schauplatz
„Diesmal hungerte ich nach Port-Royal-de-Pascal“ heißt es dann, und so geht es mit der Tram, dem Taxi und zu Fuß zu den Überresten von Port-Royal-des Champs, der einstigen Klosteranlage des Zisterzienserordens, im 17. Jahrhundert Hochburg des Jansenismus. Hier verbrachten einst der Philosoph Blaise Pascal und der Dramatiker Jean Racine ihre Schulzeit, beides Idole von Handke.
Hier bewohnte der Erzähler seines "Don-Juan"-Buches „Don Juan ein ehemaliges Pförtnerhäuschen und bewirtschaftete einen Garten. Und hier hat Handkes „Zweite-Schwert“-Erzähler seine Epiphanien, fokussiert sich die Maigeschichte.
Diese ist, man weiß das von Beginn an, keine Mordgeschichte; auch die geplante Rache, das Rachefest bekommt einen neuen Move. Da erscheint dem Erzähler die Mutter selbst als Rächerin in einem Traum. Und da weiß er schließlich zum guten, irgendwie fröhlichen Ende, dass die Journalistin gar nicht in diese Geschichte gehöre, „weder in diese noch in sonst eine“.
Bloß gut, dass „die Übeltäterin, sie und ihresgleichen“ Peter Handke wenigstens den Anlass geboten hat, einmal mehr eine Feier des Erzählens und neuerlichen Selbstbefragens und Selbstvergewisserns zu zelebrieren. Eine Feier des Sehens, Hörens und Empfindens, des Räsonierens über das Schöne, die Einbildung des Schönens und – mit Pascal – über das Nichts und den Schein, um schließlich ganz konkret wieder die Eggen in der Landwirtschaft oder die am Himmel entlangjagenden Wolkenformationen zu bejubeln.
Ist sie Peter Handke gelungen, die langersehnte Rache? Diese Rache, die eine mit den Mitteln der Kunst ist? Von einem „großen Frieden in mir“ sprach der Schriftsteller nach dem Erhalt des Literaturnobelpreises. Es scheint, als habe bei der Niederschrift von „Das zweite Schwert“ zumindest in Ansätzen dieser Friede schon in ihm geherrscht.
Die Maigeschichte enthält Anzeichen von Versöhnung. Sie wird von einer gewissen Leichtigkeit bestimmt, sie hat was Lichtes, sie ist eine Offenbarung all dessen, was Handke ausmacht. Und natürlich hat sie auch etwas enorm Selbstverliebtes.
Es wirkt, als sei Handke hier ganz bei sich selbst (anders als bisweilen bei seinen Auftritten in Stockholm), bei einer „namenlosen Freude“ (...) am weiteren Lassen und Nichtstun, weiter so nichts tun und lassen". Dass Handke dabei nur noch jene folgen, die das seit jeher tun, versteht sich von selbst
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