The Libertines feiern Combeback in Berlin: Pete Doherty und der Kult ums Kaputte
Ein Fest im Imperfekt: Pete Doherty und Carl Barât geben mit ihren Libertines in der Berliner Arena ein rumpeliges, leidenschaftliches Comeback-Konzert.
Natürlich wird genörgelt, die Halle!, der Sound!, aber: hey, sind sind da, und, wahrhaftig, sie sind zusammen da. Peter Doherty und Carl Barât stehen auf der Bühne der Arena im Bierbecherregen und geben sich einen Kuss, es wummert, es scheppert, es dröhnt, hinten auf der Leinwand rast und blitzt ein buntes Londoner Panoptikum durch, und vorne kippen die Leute reihenweise aus den Turnschuhen, in einer endlosen Reihe schleppen die Sanitäter sie raus aus der Halle. Sounds like Punkrock – Libertines-Time!
Ein Abend mit den Libertines, das ist ein Abend im Imperfekt, unvollendete Vergangenheit, brillant zerkratzt. Die Libertines, das ist eine Band im Imperfekt, zerstört, aber nie aufgelöst, zerfasert, aber auf ewig verwoben, für diesen Moment und für den nächsten, voller Leidenschaft, Wehmut, Wut, Sehnsucht, Sucht nach allem möglichen.
Gescheitert, untergegangen - wieder da!
Zehn Jahre hatten sie nur sporadisch zueinander gefunden, nachdem sie schon nach zwei Alben mit zerfetzen Fahnen an sich selbst gescheitert und untergegangen waren. Doherty machte weiter mit den Babyshambles, Barât mit den Dirty Pretty Things, sie spielten in kleinen Clubs und auf großen Festivals, sie ließen zuweilen Stunden auf sich warten oder kamen erst gar nicht, sie schrieben Songs von verletzender Schönheit und, was Doherty betrifft, nach der Trennung von Kate Moss, nach Knast und Drogenhölle von seiner verletzten Seele. Die Libertines begleiteten all das wie ein Schatten, der größer wurde, je länger es sie nicht mehr gab.
Im Sommer waren sie plötzlich wieder da, 50 000 alte und neue Fans kamen in den Hyde Park, um das zu erleben, die Libertines im Original, in Originalbesetzung, mit dem gewaltigen Gary Powell am Schlagzeug und dem unscheinbaren Anzugträger John Hassall am Bass. Zwei Konzerte in Deutschland wurden angekündigt, in Berlin sollte es die Columbiahalle sein, doch die war so schnell ausverkauft wie nie zuvor, also ging es nach Treptow in die Arena.
Die Libertines werfen ihr Soundnetz aus und fangen ihr Volk
Und hier sind sie jetzt, kurz nach halb zehn, keine fünf Minuten zu spät, Doherty im schwarzen cap-sleeve-shirt, Barât in seiner roten Uniformjacke, und was gleich passieren wird, haben sie im Song "The Ha Ha Wall" auf ihrem zweiten Album beschrieben, sie werden es später auch singen: „If you get tired of just hanging around, pick up a guitar and spin a web of sound!“ Die Libertines werfen ihr Soundnetz aus und fangen ihr Volk, auch wenn es kratzt, Löcher hat, zerrt, auch wenn es hier und dort reißt, aber es hält, fast zwei Stunden lang bis zum letzten Ton, bis Doherty und Barât ihre Gitarren meterweit im hohen Bogen neben die Bühne werfen, irgendwer wird sie schon auffangen, gegen einen Verstärker treten und die Mikrofonständer umwerfen, mehr aber auch nicht.
Dazwischen präsentieren sie ihr unverderbliches Angebot, frisch wie vor zehn, elf, zwölf Jahren, zuweilen etwas zerlaufen, zuweilen etwas zerhackt, bei „What Katie Did“ wie eine Platte mit Endlosrille, bis sich Doherty erbarmt und den Arm von den Saiten nimmt, bei „Vertigo“ mit einer vor Freude fast platzenden Hüpfigkeit, in die Powell seine Bassdrum so dermaßen reinhaut, dass man meint, sich dagegen lehnen zu müssen, um nicht weggedrückt zu werden. Barât solo an der Akustikgitarre, mit „The Ballad of Grimaldi“, später Doherty lächelnd, als die Halle sein „Albion“ singt, rote Rosenblätter fliegen herum, und immer wieder Fahnen, englische mit dem Sankt-Georgs-Kreuz, hochgereicht auf die Bühne und in Barâts Hose gestopft, der Union Jack, verwaschen flatternd, erobert von den Libertines – die Freigeister als Freibeuter.
Pete Doherty und Carl Barât und der Kult um das Kaputte
Peter Doherty und Carl Barât, das ist auch der Kult um das Kaputte. Am Hallenrand ist ein Stand aufgebaut mit Souvenirs der etwas anderen Art, der etwas anderen Kunst. Handsignierte Bandlyrics im Jamie-Reid-Style gibt es da, auch zusammengeklebte Fetzen aus dem imperfekten Leben von Doherty, bemalt und gerahmt, je schräger, desto teurer, getapter Glasbruch kostet 200 Euro.
Doherty, der zur Zeit in Hamburg im Clouds Hill Studio lebt und dort an neuen Songs arbeitet, hat immer auch ein, zwei, drei deutsche Wörter drauf, eins, zwei, drei zum Beispiel, oder auch, gegen Ende der Show, ein herzliches „Guten Morgen, mein Liebling!“, was einem nicht unerheblichen Teil des Publikums allerdings eher fremd vorgekommen sein dürfte – die Engländerquote war hörbar groß und dürfte auch am erhöhten Bierverbrauch messbar sein, ein Libertines-Konzert ist eine Rarität, precious, an einem Wochenende in Berlin jedenfalls vielen auch eine Reise von der Insel und sonstwoher wert. Wer weiß, wann es das wieder mal gibt.
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