PASCH-Schule in Donezk: Perspektiven, Arbeit, Zukunft
Ausnahmezustand: Die Mittelschule Nr. 19 in Donezk arbeitet unter Kriegsbedingungen mit Berliner Unterstützung im PASCH-Programm. Jetzt kommen einige Schüler nach Berlin
Die Fenster sind repariert, die Türen auch, von den Kriegsschäden ist nichts mehr zu sehen. Vorläufig ist Ruhe eingekehrt in der Mittelschule Nr. 19, auch wenn es vielen hier noch schwer fällt, der Ruhe zu trauen. Zweimal in Folge ist die Gesamtschule, die im nördlichen Teil der Industriemetropole Donezk liegt, im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzungen im Donbassgebiet unter Beschuss geraten. Fenster gingen zu Bruch, Türen wurden vom Druck der Einschläge aus den Angeln gehoben. Die Ruhe hielt nach der ersten Instandsetzung nicht lange an, schon wenige Wochen später hallten die nächsten Detonationen durch Donezk, erneut gingen die frisch renovierten Fenster und Türen zu Bruch. Ob es diesmal anders kommen wird?
Julia, Dascha, Arina, Tanja, Lisa und Nastja zucken ratlos mit den Schultern. Fünf von ihnen besuchen die elfte Klasse, Nastja ist in der neunten. Alle sechs Schülerinnen lernen Deutsch, die meisten bereits seit dem ersten Schuljahr. Es ist, wie sie selbst sagen, die „wichtigste Sprache“ an der Mittelschule Nr. 19, einer ukrainischen Gesamtschule mit fremdsprachlichem Schwerpunkt im PASCH-Netzwerk.
Von 800 Schülern wohnen noch 350 dauerhaft in der Stadt
In einem Skype-Gespräch erzählen die sechs Mädchen von ihrem Schulalltag. Schon die Gesprächskonstellation lässt erkennen, dass sich die Mittelschule nach wie vor im Ausnahmezustand befindet: Fünf der Schülerinnen sitzen in einem Klassenzimmer in Donezk, die sechste, Julia, ist aus Kramatorsk zugeschaltet, einer Stadt, die rund hundert Kilometer nördlich von Donezk liegt, außerhalb des Separatistengebiets, jenseits der Front. Ihr Vater, erzählt Julia, sei Unternehmer, seine Firma sei im Krieg zerstört worden, zusammen mit seiner Familie habe er die Stadt verlassen. Julia lernt seitdem Deutsch im Fernstudium, wie so viele, die wegen des Kriegs aus Donezk geflohen sind. Von den einst rund 800 Schülern der Gesamtschule halten sich derzeit noch etwa 350 dauerhaft in der Stadt auf. Auch unter den Deutschlernenden der elften Jahrgangsstufe hat sich der Bevölkerungsrückgang bemerkbar gemacht: Nur elf von ehemals dreißig Schülern sind übrig geblieben.
„Unsere Eltern arbeiten in Donezk“, erzählt eine von Julias Klassenkameradinnen. „Wir können nicht so leicht hier weg.“ Für die, die in der Stadt geblieben sind, hat der Schulalltag seine Hürden, auch jenseits der immer wieder aufflammenden Kämpfe in der Region. Bevor der Krieg ausbrach, reiste regelmäßig eine Mitarbeiterin des deutschen Auslandsschulwesens nach Donezk, um Sprachprüfungen durchzuführen, die Bedingung für den Erwerb internationaler Zertifikate sind. Inzwischen finden die Prüfungen wegen der prekären Sicherheitslage nur noch in der 300 Kilometer weiter nördlich gelegenen Stadt Charkiw statt. Um ihr Zertifikat zu erhalten, müssen Deutschschüler aus Donezk nun eine rund neunstündige Reise auf sich nehmen, die quer durchs Kriegsgebiet und über die Front hinweg führt. Julia und ihre Klassenkameradinnen erzählen von solchen Hürden lächelnd, fast beiläufig. Der Ausnahmezustand ist ihr Alltag geworden.
Was sie sich vom Deutschlernen erhoffen? „Möglichkeiten“, sagt eine der Schülerinnen. „Perspektiven“, ergänzt eine andere. „Kontakte.“ – „Arbeit.“ – „Zukunft.“ Was andernorts nach auswendig gelernten Schlagwörtern klingen würde, bekommt hier in Donezk einen existenziellen Nachhall. Perspektiven, Arbeit, Zukunft – um nichts davon ist es derzeit gut gestellt in der Ostukraine.
Auch das ist Außenpolitik: zerschossene Fenster reparieren
Nicht nur die Schüler, auch die Belegschaft der Mittelschule Nr. 19 hat einiges durchgemacht. Tetjana Prystuba, die ehemalige Direktorin, schrieb Ende 2014, als ihre Schule zum ersten Mal unter Beschuss geraten war, ein Hilfegesuch an das deutsche Außenministerium. „Unsere Kinder haben ein Recht auf Zukunft“, heißt es in Prystubas Brief. „Das Kollegium hat entschieden, das Weihnachtsfest trotz allem in der Schule zu feiern, weil unsere Kinder lachen, tanzen, singen wollen.“ In Berlin beschloss man umgehend, die kriegsgeschädigte Schule beim Wiederaufbau zu unterstützen. Pünktlich zum Weihnachtsfest waren die zerstörten Fenster und Türen repariert, und auch nach dem erneuten Beschuss der Schule stellte das Außenministerium Mittel zur Renovierung bereit.
Kurz darauf las in Berlin bei der Abschlussveranstaltung des Kongresses „Review 2014“ ein erkennbar bewegter Frank-Walter Steinmeier aus dem Brief der Donezker Schulleiterin vor. Politik, erklärte der Außenminister anschließend, habe mitunter weniger mit „Zügen auf dem geopolitischen Schachbrett“ zu tun als mit ganz konkreter Hilfestellung: „Manchmal ist Außenpolitik nicht mehr und nicht weniger als das: Zerschossene Schulfenster zu reparieren.“
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