IS-Terror in Syrien: Palmyra muss wieder aufgebaut werden – als Zeichen des Widerstands
Der IS-Terror in Syrien richtet sich gegen Geschichte und Zukunft zugleich. Ein beispielloser Bildersturm.
Gerade haben Assads Truppen Teile der Stradt Palmyra im Kampf gegen die Terrormiliz des Islamischen Staates zurückerobert. Mit dem Zerstören von Kulturdenkmälern produziert der IS gleichwohl Bilder eines apokalyptischen Jetzt gegen Zeit und Geschichte. Der Widerstand der Weltgemeinschaft erfordert die Rekonstruktion des Zerschlagenen. Dies begründet Horst Bredekamp in einem Beitrag zur Ausstellung „Was bleibt? LouisFrançois Cassas und seine Reise in den Orient“ im Kölner Wallraf-Richartz-Museum/Fondation Corboud. Wir drucken seinen Text in leicht geänderter Form.
Bredekamp lebt als Kunsthistoriker in Berlin und gehört zur Gründungsintendanz des Humboldt-Forums. (Tsp)
Dass ein erneuter Akt der Verwüstung bevorstehen würde, stand zu befürchten. Mit der Einnahme Palmyras durch den Islamischen Staat am 20. Mai 2015 öffnete sich für die Terrororganisation die Gelegenheit, die antiken Reste des Ortes zu zerstören, wie sie dies in Nimrud, Hatra und anderen Stätten bereits vollzogen hatte.
Das Zerschlagen kostbarer Statuen im Museum von Mosul im Februar 2015 war ein besonders aufsehenerregender Fall dieser Bilderstürme. Gezielt steigerten die Taten in Mosul noch die Verwüstungen von Kulturgütern im syrischen Bürgerkrieg. Erste Akte der Zerstörung hatten sich gegen arabische Schreine und Gräber nahe der Stadt Tadmor bei Palmyra gerichtet. Darunter befand sich der Schia-Schrein von Mohammed ibn Ali, einem Nachfahr des Imams Ali, Cousin des Propheten Mohammed, wie auch die Ruhestätte des Sufi-Gelehrten Nizar Abu Behaeddine. Beide Mausoleen besaßen lediglich regionale Bedeutung. Ihre Zerstörung aber hatte Signalcharakter.
Der Reformer Ibn Abd al Wahhab (1703–1792) hatte die Verehrung von Gräbern und Reliquien als Rückkehr zur Vielgötterei verboten. Daher verwüsteten bereits in den 1880er Jahren Anhänger des Wahhabismus die Gräber von Mohammed Nahestehenden in Mekka und Medina. Gleiches vollzogen deren saudi-arabische Nachfolger, als sie in den 1920ern heilige Stätten einnahmen. Auch das Grab des Propheten selbst wurde zum Angriffsziel. Da es in Saudi-Arabien inzwischen zur Erforschung und Pflege der Kunstgeschichte gekommen war, dürfte sich der IS mit seinem Angriff auf Grabmäler als radikale, authentische Alternative zum saudischen Wahhabismus positioniert haben.
Dieser Anschlag betrifft vor allem die Definition der Zeit. Gräber relativieren die Gegenwart gegenüber vorherigen Epochen, um aus dieser Distanz Erwartungen an die Zukunft zu richten. Ihr Auslöschen zielt darauf, alles zu vernichten, was sich dem Anspruch der Gegenwart auf Ewigkeit entgegenstellt, Ziel ist die Überführung aller bisherigen Geschichte in ein konkurrenzloses Jetzt, im Wortsinn das Totschlagen der Zeit. Dieser die Zeit verneinende Zeitbegriff ist eine scharfe Klinge. Da die künstlerischen Überreste der Vergangenheit einer solchen Fixierung auf die Jetztzeit elementar widersprechen, wird die Gräberfrage zu einer Scheide von Leben und Tod. Angehörige anderer Glaubensrichtungen, die einem weniger rigorosen Verständnis folgen, dürfen aus Sicht des IS im Prinzip straffrei getötet werden.
Am 4. Juli 2015 veröffentlichte der IS ein Internetvideo, das die rituell vollzogene Hinrichtung von 25 syrischen Uniformierten am 27. Mai zeigt. Tatort war das um 200 n. Chr. erbaute Amphitheater von Palmyra. Der Bühneneingang war durch eine Flagge der Dschihadisten verhüllt, die zum Tode Verurteilten mussten durch die seitlichen Eingänge den Ort ihrer Hinrichtung betreten. Auf Befehl der Bewaffneten knieten sie in einer Linie nieder, halbwüchsige Kämpfer des IS paradierten vor den Todgeweihten. Das Liquidieren der Gefangenen im Theater als Schauspiel des Terrors galt der Weltöffentlichkeit wie den Bau- und Kunstwerken selber. Die feierlich inszenierte Hinrichtung markierte den Auftakt weiterer Hinrichtungen und Bilderstürme.
Ein Archäologe wird hingerichtet - weil er Hüter der "Götzen" war
Am 18. August 2015 ermordete der IS den Archäologen Khaled al As’ad, der über 40 Jahre lang die Ausgrabung und Bewahrung der antiken Zeugnisse geleitet und begleitet hatte. Der über Achtzigjährige wurde enthauptet, sein Rumpf vor dem Museum an den Füßen aufgehängt, sein Kopf unter den Körper gestellt, um diesen zum verkehrten Bild seiner selbst werden zu lassen. Unerträgliche Präsentationen wie diese führen uns zum Anliegen der Mörder. Der Leichnam war mit einem Schild versehen, das ihn der Kollaboration mit den Regimen im Iran und in Syriens bezichtigte sowie der Teilnahme an Tagungen mit Ausländern. Er sei Hüter der „Idole“ des Museums gewesen. Dieser Hinweis zielte auf das von der IS-Ideologie propagierte wahhabitische Bildverbot: Am Konservator der „Götzen“ wurde eine Idolschändung vollzogen, als sei er selber deren Verkörperung.
Fünf Tage später wurde der Baalshamin-Tempel gesprengt, der verschiedene Kulturen in sich vereinte. Ursprünglich der phönizischen Gottheit Baalshamin gewidmet, wurde die Weihestätte, vermutlich unter Hadrian, erweitert, im vierten Jahrhundert in eine christliche Kirche transformiert und nach der islamischen Eroberung als Moschee genutzt – ein antikes Zeugnis der Toleranz mit ähnlicher Bedeutung wie das Pantheon in Rom. Acht Tage darauf attackierte der IS mit einer gewaltigen Detonation das bedeutendste Bauwerk Palmyras, den riesigen Bel-Tempel. Errichtet im 1. Jahrhundert n. Chr., hatten ihn alle, die im Lauf der Jahrhunderte Palmyra bevölkerten, erhalten und geschützt. Seine Zerstörung richtete sich mithin auch gegen die eigene, arabische Vorgeschichte.
Ein Bogen wurde nicht gesprengt - so wird das Ausmaß des Verlusts noch deutlicher
Anfang September sprengte der IS sieben Türme der einzigartigen Westnekropole Palmyras, einen Monat später fast das gesamte dreibogige Monumentaltor, um 200 n. Chr. als Triumphbogen errichtet. Ein Bogen jedoch blieb bestehen, und die Teildestruktion könnte dem Kalkül folgen, durch den Kontrast zwischen den Resten und dem Horror Vacui des Vernichteten mit jedem Anblick an die Tat zu erinnern. Ein solches Vorgehen steht in der Tradition von Bilderstürmen, die im Kontrast zwischen den beschädigten und den noch intakten Teilen die ewige Schmach derer ausweisen sollten, mit denen die jeweiligen Werke identifiziert wurden.
Der Name Palmyras hat einen utopischen Klang, er belegt das tolerierende Miteinander wie die Akzeptanz eines Nacheinanders verschiedener Kulturen. Aus diesem Grunde fand die Stoßrichtung des IS-Ikonoklasmus in Palmyra ein besonders verhasstes und passendes Ziel. Ihm geht es um das Eliminieren jedweden Anspruchs auf Toleranz.
Von historischen Bilderstürmen, etwa aus den Hussiten- oder den Hugenottenkriegen, wissen wir, dass häufig zwischen dem Misshandeln von Menschen und dem Traktieren von Kunstwerken kein Unterschied gemacht wurde. Ein in dieser Hinsicht besonders horrendes Ereignis hat der IS Ende Oktober 2015 in Szene gesetzt. An drei Säulen Palmyras ließ er drei Personen aufhängen und dadurch töten, dass die Kolumnen gesprengt wurden. Seit der Zerstörung der Buddha-Statuen von Bamiyan und dem Angriff auf die Zwillingstürme von New York 2001 folgten Bilderstürmer dieser mörderisch-ikonoklastischen Verbindung von Mensch und Kunstwerk. Am meisten verstört an diesem Handeln, dass nicht etwa tote Feinde als Trophäen gezeigt werden, sondern dass Opfer, westliche wie arabische, gefoltert und ermordet werden, um in einer Form des substitutiven Bildakts als Bilder eingesetzt werden zu können.
In diesem Kontext muss es darum gehen, westliche Selbstkritik angesichts der Zerstörungsaktionen angemessen zu bewerten. Der IS vernichtet keinesfalls nur Zeugnisse einer christlichen, im globalen Sinn westlichen Kultur, sondern auch die der historischen islamischen Gemeinschaften. Gleichwohl tendiert der Westen dazu, sich selber als entscheidenden Antipoden dieser Art der Destruktion zu sehen. Das Entsetzen erzeugt Selbstbezichtigung, genährt aus der kollektiven Erinnerung an Bilderstürme in Europa.
Der theologisch begründete Bildersturm ist in Europa seit 1648 Geschichte
Am Ausgang der Antike bekämpfte das Christentum die Statuen der Vielgötterei. Im byzantinischen Bilderstreit ging christliche Kunst zugrunde. Während der Reformation wurden in calvinistischen Regionen Bildwerke beseitigt; im Terreur der Französischen Revolution galten Angriffe auf den Adel und die Kirche auch deren Bildwerken. Klassenhass wie Rassenwahn führten in den kommunistischen Umstürzen und den nationalsozialistischen Aktionen des 20. Jahrhunderts zur sogenannten „Reichskristallnacht“ wie zu Zerstörungsakten vergleichbaren Ausmaßes. Als vielleicht stärkstes Motiv der Selbstkritik wirkt jedoch vor allem die Ohnmacht, gegen diese Formen der Zerstörung des IS nicht gewappnet gewesen zu sein.
Seit dem Westfälischen Frieden von 1648 jedoch waren große Bilderstürme im wesentlichen nur mehr politischer Art. Der theologisch begründete und mit Waffengewalt ausgefochtene Kampf um die Legitimität von Bildern ist seitdem in Europa Geschichte. Das Unterschätzen dieser Kulturleistung verkehrt die Waffe der Kritik zu ihrer eigenen Selbstentwaffnung, wie es ähnlich der Philosoph Ernst Cassirer im Jahr 1945 mit Blick auf das Versagen der Philosophie gegenüber dem Nationalsozialismus konstatierte.
So wurde der westliche Selbstzweifel zum Teil des Kalküls des Islamischen Staates, ja zu dessen Waffe. Der Selbstzweifel lässt unempfindlich werden für die Doppelzüngigkeit, die eklatanten Widersprüche der Fundamentalisten. Der bildkritische IS nutzt alle technischen Möglichkeiten der visuellen Massenmedien, vor allem im Internet. In Hochglanzbroschüren wie dem Magazin „Dabiq“ formuliert er in reicher Bebilderung sein Endziel einer Islamisierung der Welt als apokalyptische Verheißung.
Der IS betreibt Hehlerei mit antiken Werken
Bilder von Morden und Zerstörungen von Bildwerken werden apotropäisch, also Unheil abwehrend, gegen den westlichen Blick gewendet, der nicht erwartet hatte, auf diese Weise die eigene Todesbotschaft zu empfangen. Da die Bildkraft dieser Szenen kaum auszuhalten ist, bleibt bei den meisten ein diffuses Bewusstsein, dass die Bilder existieren und darauf warten, ihren Horror zu verbreiten.
Die Wechselwirkung von Bild, Horror und Drohung ist umso mehr zu durchbrechen, als die angeblich theologisch begründete Bildkritik des IS purer Schwindel ist. Der IS treibt florierende Hehlerei mit antiken Werken, seine Bilderstürme dienen nicht etwa der Spiritualität einer bildlosen Religion, sondern sollen Bilder als visuelle Waffen erzeugen. In diesen Prozess schreiben sich die Zerstörungen in die Geschichte einer Spektakelkultur auf mörderische Weise ein.
Daher ist es an der Zeit für eine Kritik an der Selbstkritik. Das Vernichten der Spuren assyrischer, griechischer, römischer, byzantinischer und islamischer Kulturen richtet sich gegen die Zeugen eines anderen Lebensbegriffs, gegen die Definition der menschlichen Würde. Als ich auf dem Weltkongress der Kunstgeschichte im Juli 2012 vor hochrangigen Vertretern der Unesco zur Bildung einer internationalen Armee für den Schutz von Kulturgütern aufrief, erntete ich neben Anerkennung vor allem Abwehr, wenn nicht entsetztes Missfallen. Inzwischen haben die Ereignisse in Syrien, vor allem in Palmyra, zu dem Beschluss der Vereinten Nationen vom 17. Februar geführt, eine Spezialeinheit der Unesco in Kooperation mit Italiens Carabinieri per la Tutela del Patrimonio Culturale einzurichten. Die Unesco rief alle Staaten auf, sich an den Aktionen der „Kultur-Blauhelme“ zum Schutz von Kulturgütern zu beteiligen.
Zur symbolischen Unterstützung dieser Truppe aus Soldaten und Kunstexperten sollte bereits heute mit der Planung zum Wiedererrichten Palmyras nach dem Ende des IS-Regimes begonnen werden – was archäologische Kenntnisse ohne Weiteres zulassen.
Als "kämpferische Reproduktion" soll Palmyra wiedererstehen
Ein anderes Prinzip verfolgt die für New York und London geplante Replik des vom Bel-Tempel übrig gebliebenen Torbogens. Hier wird dokumentiert, was in Palmyra die Zerstörung überlebt hat. Die Problematik dieser an sich begrüßenswerten Maßnahme liegt darin, dass sie damit dem Ziel der Ikonoklasten entgegenkäme, Reste zu belassen, um den Verlust desto deutlicher werden zu lassen. Die iranische Künstlerin Morehshin Allahyari zielt mit ihrem Werk „Material Speculation“ dagegen auf eine dreidimensionale Reproduktion von zerstörten Statuen. Alle Bedenken, die sich gegen die Rekonstruktion unwiederbringlicher Vergangenheit richten, kehren sich in dem einzigartigen Fall von Palmyra in ihr Gegenteil. Die zerstörten Stätten wieder zu errichten, hätte keinesfalls den Charakter einer rückschauenden Heilung, sondern den einer vorausblickenden Markierung von Geschichte.
Damit wäre auch die Befürchtung hinfällig, dass ein Wiederaufbau den Wert für das nicht wiederholbare Original unterminiere. Reproduktion kann die Verschmelzung von Entwurf und Materie zur gestalteten Form niemals ersetzen, alle Überlegungen zur Ablösung der Aura durch die Reproduktion sind irreal. Jede Reproduktion lässt vielmehr ein eigenes Original entstehen. Das würde mit Blick auf Palmyra einen neuen Typus erzeugen, den der kämpferischen Reproduktion. In solche Nachbildungen wären Motive eingegeben, die nicht im Ansatz von einer passiven, sekundären Wiedergabe sprechen ließen.
Hierin läge vielmehr ein unverwechselbarer kulturpolitischer Wert. Gegenüber den Zerstörungen der Terroristen sollte die Kunst der Reproduktion triumphieren: nicht als Mittel eines enthistorisierten Wunderlandes, sondern als Manifest des Widerstands gegenüber den mörderischen Schergen substitutiver Bildakte.
Horst Bredekamp