"Jahrhundertzeichen" im Martin-Gropius-Bau: Olivenbäume streicheln
Schätze des Tel Aviv Museum of Art in Berlin: die Ausstellung „Jahrhundertzeichen“ im Martin-Gropius-Bau.
Der Gazastreifen ist kleiner als das Bundesland Bremen, aber ein Ort großer Tragödien. Nun schickt Tamir Zadok auch noch ein Erdbeben mit Tsunami. Zwei Katastrophen, die die Region am Mittelmeer vom Festland trennen. In dem Video des 1979 geborenen Künstlers müssen sich die Bewohner nun selbst organisieren. Und siehe: Der bunte Haufen schafft, was niemandem gelang. Jüdische Palästinenser und Israelis leben friedlich mit den Anhängern von Hamas und Fatah zusammen. Das einstige Krisengebiet blüht auf.
Die vorgebliche Dokumentation ist eine der angenehmen Überraschungen in „Jahrhundertzeichen“, der großen Ausstellung im Martin-Gropius-Bau zum 50. Jahrestag der ersten diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik. Eine andere resultiert aus der beeindruckenden Qualität jener 72 Werke, die das Tel Aviv Museum of Art erstmals nach Europa geschickt hat. Natürlich erwartet man Repräsentatives zum Anlass. Und die Institution, die 2011 ihren jüngsten Neubau bezogen hat, wird dem mit Werken von Wassily Kandinsky bis Jackson Pollock, mit Ury Lesser, Egon Schiele, Pablo Picasso, Juan Gries und einer betörenden Zeichnung von Eva Hesse mehr als gerecht. Doch die simple Gleichung von der großen Feier mit großer Kunst geht nicht einfach so auf. Schon im ersten Raum trifft „No. 24“, ein umwerfendes Gemälde von Mark Rothko aus dem Jahr 1951, auf Raafat Hattabs titellose Videoarbeit von 2009. Sie zeigt den Performancekünstler, wie er mitten in Tel Aviv einen Olivenbaum streichelt und gießt – das Symbol für die uralte Verwurzelung der Palästinenser in Israels zweitgrößter Stadt.
Und immer wieder das Thema Geschichte
Geschichte aus differenziertem Blickwinkel ist immer wieder Thema der Schau. Religiöse Abgründe ebenso wie die Shoa, auch wenn Felix Nussbaums musizierende Skelette durchaus einem mittelalterlichen Vanitas-Gemälde entstiegen sein könnten. Der deutsche Künstler malte die kleinen Gouachen allerdings 1944 in seinem Versteck, kurz bevor er entdeckt und im letzten Transport aus dem belgischen Mechelen nach Auschwitz deportiert wurde.
Andere Fäden führen direkt nach Berlin. Hier brach der Kunsthistoriker Karl Schwarz 1933 Richtung Palästina auf: Der Bürgermeister von Tel Aviv, Meir Dizengoff , hatte ihn mit der Einrichtung einer Institution für zeitgenössische Kunst beauftragt und stellte sein Wohnhaus zur Verfügung. Dabei war die Zeit – die wachsende Zahl jüdischer Emigranten sorgte für immer größere Spannungen mit der arabischstämmigen Bevölkerung und mündete in mehreren Massakern – alles andere als ideal für diese Mission. „Dizengoffs Auftrag“ (2013) erzählt das Abenteuer jener Museumgründung aus der Sicht von Marcel van Eden. In für ihn typischer Manier stellt der niederländische Künstler in 26 Zeichnungen Geschichte nach und mischt wie üblich Fakten mit Fiktion zu einer wilden, partiell absurden Geschichte.
Die luziden Gegenüberstellungen zünden
Solche Arbeiten unterbrechen den Strom der Meisterwerke an vielen Stellen. Statt chronologisch von der Moderne bis in die Gegenwart zu hängen, haben sich die Kuratoren für Themenblöcke wie „Still bewegt“ oder „Frauenbilder“ entschieden. Auch wenn nun jeder Raum über ein Motto und dazu ellenlange Texttafeln verfügt, was etwas überambitioniert wirkt: Die Idee selbst zündet, denn sie erlaubt luzide Gegenüberstellungen. Da hängt mit „Solitude“ (1933) ein Gemälde von Marc Chagall, das jüdisches Leben thematisiert. Und genau gegenüber zeigt Nira Pereg in ihrem Video „Sabbath“ (2008), wie sich das Ultraorthodoxe in Jerusalem heute artikuliert. Hier versuchen Männer, ihre Wohnviertel am Vorabend des Sabbats einzufrieden. Eine inoffizielle Aktion, auch wenn auf den Absperrgittern „Police“ steht. Ständig kommen Autos, müssen die Gitter zur Seite geschoben und neu arrangiert werden werden. Ein absurdes Ballett.
Es gibt weitere eindrucksvolle Filmarbeiten wie die Video-Trilogie von Yael Bartana. In dem Beitrag Polens auf der Biennale von Venedig 2011 bittet das Land um die Rückkehr der Juden. Die einstündige Arbeit ist gemeinsames Eigentum des Tel Aviv Museums und des Guggenheim Museums in New York. Von hier, aus der Schweiz und Deutschland stammen die meisten der exquisiten Werke von Max Beckmann, Ludwig Meidner, George Seurat, El Lissitzy, Juan Gris oder James Ensor. Es sind Schenkungen von meist jüdischen Sammlern, die sich Dizengoff und Schwarz in ihrer Vision eines Museums der Moderne für Israel verbunden fühlten.
Die Ausstellung "Jahrhundertzeichen" ist bis zum 21. Juni im Martin-Gropius-Bau zu sehen.
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