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Ulrich Matthes und Hans Löw
© Arno Declair

Deutsches Theater: Oh Käpt'n, mein Käpt'n!

Josua Rösing inszeniert Siegfried Lenz’ „Feuerschiff“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters mit Ulrich Matthes in der Hauptrolle.

Wacker und bodenständig steht Kapitän Freytag mit seinem Sohn auf dem Schiffsdeck. Hinter ihnen rauscht malerisch das (Video-)Meer in Josua Rösings Inszenierung an den Kammerspielen des Deutschen Theaters. Bis – durchaus weniger kontemplativ – am Horizont ein Schiffswrack auftaucht. Freytag, den Ulrich Matthes als sympathisch-nachdenklichen Berufsroutinier im blauen Wollpullover buchstäblich auf die Planken stiefelt, holt die Schiffbrüchigen an Bord – und lädt sich und seiner Besatzung damit ein ungeahntes Problemgefüge auf.

Denn Siegfried Lenz’ 1960 erschienene Erzählung „Das Feuerschiff“ reißt auf reichlichen hundert Seiten (die deshalb auch bis heute gern als Schulpflichtlektüre verabreicht werden) gleich mehrere zeitlose Großkonfliktfelder auf: Neben der schwierigen Beziehung des rebellierenden Kapitänssohnes Fred zu seinem vergleichsweise bedächtigen Vater geht es in dieser Parabel um verschiedene Formen des Widerstandes, um Trial und (T)Error, um Schuld, Gewissen und in Extremsituationen denkbar unterschiedlich handelnde Individuen auf allerengstem Raum.

Unter den Schiffsbrüchigen sind nämlich – wie Freytag und Co. alsbald herausfinden – zwei wegen Mordes gesuchte Brüder, die sich auch diesem Profil entsprechend verhalten und die „Feuerschiff“-Besatzung zur Fluchthilfe zwingen wollen. Angeführt wird der kleine Kriminellentrupp von einem dubiosen Rechtsanwalt mit philosophischen Neigungen, der sich Doktor Caspary nennt, in Hans Löws Darstellung gern mal den Dandy heraushängen lässt und den Käptn mit Vorliebe in unkonventionelle Ethik- Diskurse verstrickt.

Der Kapitän plädiert für Deeskalation, die Mannschaft für Widerstand

Während die Freytag’sche Besatzung alsbald zu (pseudo-)heroischem Aktionismus neigt, Behörden alarmieren und/oder gegen die Gewaltbrüder selbst Gewalt anwenden will, plädiert der Kapitän für Deeskalation und wird deshalb von seiner Mannschaft, die er dergestalt gerade zu schützen sucht, zusehends isoliert und als Feigling abgekanzelt. Der eigene Sohn, den Timo Weisschnur in einer Mischung aus Revoluzzerwillen, verschütteter Restzärtlichkeit und tiefer Enttäuschung über die väterliche Heroenarmut spielt, ist an vorderster Front bei den Widerwortgebern dabei.

Kurzum: Es herrschen Akzentuierungsmöglichkeiten en masse für den 34-jährigen Josua Rösing, der seit 2013 als Regieassistent am DT arbeitet und zuvor bereits mit einer „Karamasow“-Arbeit zum renommierten „Körber Studio Junge Regie“ eingeladen war. Allein: Rösing kann sich nicht entscheiden und surft gleichsam auf jeder Problemwelle, die die Erzählung ihm vor die Füße spült, ein bisschen mit – um bei nächster Gelegenheit eilig auf eine andere aufzuhüpfen.

Was in diesem Fall schon deshalb besonders problematisch ist, weil die stark atmosphärisch funktionierende Lenz-Erzählung sich jede Menge Zeit für die Figurenentfaltung nimmt: Da lehnen unverstandene Besatzungsmitglieder quasi seitenlang aktionslos an der Reling, kneten Problemwälzer entsprechend wortlos ihre „knotigen Finger“ und offenbaren Dialogpartner in ihren Blickrichtungen, die der Autor minutiös nachvollzieht, gleichsam mehr über sich selbst als in ihren tatsächlich geführten (raren) Gesprächen.

Owen Peter Read gibt in einer Doopelrolle das mörderische Brüderpaar

Die Berliner Inszenierung freilich – ein schlanker, auf vier Akteure reduzierter Achtzigminüter – reiht nun im Wesentlichen genau diese Gespräche aneinander und behauptet dadurch eine Ereignishaftigkeit, die sie gar nicht einlösen kann, weil sie den Figuren selbst die dafür nötige Substanz gekappt hat.

Dass das mörderische Bruderpaar hier zu einer Doppelrolle für den Schauspieler Owen Peter Read in einem rätselhaften weißen Berghain-Look zusammenschnurrt und zudem nahezu alle Maßnahmen, die verschiedene Besatzungsmitglieder des „Feuerschiffs“ im Laufe der Erzählung gegen die kriminellen Gebrüder ergreifen, wegen der Personalentscheidung des Regisseurs aufs alleinige Konto des Freytag-Sohnes gehen müssen, macht die Sache nicht besser.

Das merkt man auch den Schauspielern an – wenngleich Josua Rösing hier mit dem zentralen Kontrahentenpaar Freytag und Caspary alias Ulrich Matthes und Hans Löw eigentlich ein schauspielerisches Hochkaräter-Duo zur Verfügung hat. Nicht, dass unter diesen Umständen nicht auch die eine oder andere scharf geschliffene Dialogspitze über die Reling ginge. Aber grundsätzlich steckt der Abend im Erwartbaren fest: Kaum geht ein Dialogpartner links ab, steht der nächste schon rechts im Bühnenaufgang bereit. Und die qua Spielfassung gekappte Atmosphäre wird über Musikeinspielungen und/oder zwischenplatziertes Video-Meeresrauschen wieder hereinzuholen versucht. In selbigem geht dann auch die Frage unter, was genau dieser Abend eigentlich erzählen will.

Weitere Vorstellungen am 14., 20. sowie am 30 März

Christine Wahl

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