Anhörung "Comic-Kultur" im Abgeordnetenhaus: Offene Türen, offene Fragen
Der Kulturausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses diskutierte über den Comic - mit ambivalenten Ergebnissen.
Schundliteratur – es dauerte nur ein paar Minuten, da tauchte in der Sitzung des Kulturausschusses im Abgeordnetenhaus am Montag ein Begriff auf, mit dem in früheren Jahrzehnten als anspruchslos erachtete Kulturprodukte etikettiert wurden. „Fällt unter Ihren Comicbegriff auch das, was man früher Schundliteratur nannte?“, fragte der SPD-Abgeordnete und Vorsitzende des Ausschusses, Frank Jahnke die geladenen Experten der Anhörung „Comic-Kultur in Berlin“.
Wenn es noch eines Belegs bedurft hätte, dass es sich beim Sitzungsthema tatsächlich um „Neuland im kulturpolitischen Diskurs“ handelte, wie der Linken-Abgeordnete Wolfgang Brauer attestiert, dann dienten dafür Jahnkes Worte. Deutlich freundlicher und aufgeschlossener gegenüber neuen Entwicklungen der sequenziellen Bilderzählung zeigte sich Kulturstaatssekretär Tim Renner. Wer wie die beiden Gäste der Sitzung – Stefan Neuhaus vom Deutschen Comicverein und Marc Seestaedt vom Festival Comicinvasion – für mehr Wertschätzung von Comics werbe, der laufe „offene Türen im jetzigen Senat ein“, erklärte Renner.
Mehr als offene Türen hatte allerdings auch Renner den Gästen nicht zu bieten. Neuhaus und Seestaedt waren mit dem Berliner Comicmanifest von 2013 in der Hand gekommen, um mehr eigenständige Förderung für den Comic als Kunstform zu fordern. Sie sei eben nicht eindeutig bei Literatur oder bei Kunst, sondern in einem ganz eigenen Feld einzuordnen. Immerhin versprach Renner, bei der vom Land finanzierten Literaturförderung künftig noch mehr darauf zu achten, dass auch Comic-Autoren gewürdigt werden, so wie im vergangenen Jahr der Autor und Zeichner Dirk Schwieger. Er hatte eines der 16 Arbeitsstipendien des Senats für angehende Literaten zugesprochen bekommen.
Eine von den Vertretern der Comicszene erhoffte eigenständige Förderung der Kunstform oder gar erste Schritte in Richtung eines Comic-Instituts lehnten Renner und die meisten Abgeordneten allerdings ab – auch mit dem Hinweis auf weitere bestehende Fördertöpfe für die freie Szene, um die man sich bewerben könne.
"Der Traum von Olympia" und "Tempest Curse" als Leseproben
Initiiert hatte die Sitzung der Piraten-Kuturpolitiker Philipp Magalski, der in seiner Einführung forderte, Comics als selbstständige Kunstform zu beachten und zu fördern. Eine Steilvorlage für Stefan Neuhaus, der eingangs von den vielfältigen Aktivitäten seines 2014 gegründeten Comicvereins berichtete - von Präsentationen bei Comicfestivals in Erlangen und Angouleme bis hin zu Comic-Workshops für Flüchtlingskinder. Dann verteilte er einen Stapel mitgebrachter Comics, um den Abgeordneten auf die Vielfalt der Kunstform näherzubringen: Von Reinhard Kleists "Der Traum von Olympia" über die Comic-Adaption von Hans Falladas "Der Trinker" bis Martina Peters' Manga-Thriller "Tempest Curse".
Neuhaus wünschte sich von den Abgeordneten, sie mögen dem Comic eine vergleichbare Wertschätzung und Förderung zukommen lassen wie anderen Kunstformen, als Beispiel nannte er die inzwischen ganz selbstverständlich geförderte Popmusik. Ziel seines Vereins sei, wie berichtet, neben einer eigenständigen Comicförderung die Errichtung eines Comicinstituts in Berlin.
Marc Seestaedt, als Initiator des Festivals Comicinvasion der zweite Szene-Vertreter auf der Gästebank, erzählte vom Wachstum seines Festivals, von Einrichtungen wie der Comicbibliothek "Renate" und von einem kleinen, aber ausbaufähigen Comicförderpreis seines Festivals.
Eine "beachtliche Vielfalt" attestierte dann der CDU-Kulturpolitiker Stefan Schlede der Berliner Comicszene: "Sie sind beide auf gutem Wege." Die vor allem von Neuhaus vorgetragene Forderung einer eigenen institutionellen Förderung für Comicschaffende lehnte er jedoch mit Verweis auf existierende Fördertöpfe für die freie Szene ab. Die seien spartenübergreifend gedacht und daher für die Comicförderung "der bessere Weg".
Grünen-Kulturpolitikerin Sabine Bangert sieht eben darin ein Grundproblem, dass Comics eine spartenübergreifende Kunstform seien und daher bei den ohnehin nicht ausreichend ausgestatteten Förderprogrammen oft das Nachsehen hätten.
Dann stellte SPD-Mann Jahnke seine Frage nach dem "Kunstbegriff" der geladenen Experten: "Fällt unter Ihren Comicbegriff auch das, was man früher Schundliteratur nannte, vom Lustigen Taschenbuch bis Hansrudi Wäscher", fragte der Ausschussvorsitzende?
"Wir sind nicht abgeneigt, Comic-Künstler zu fördern"
Anschließend war es an Piraten-Politiker Magalski, die Anliegen der Gäste noch einmal deutlich zu machen. Es gehe um eine eigenständige Förderung der Comic-Kultur und um ein Comic-Institut, wiederholte er das Anliegen. Und fügte optimistisch hinzu: "Das werden wir hinbekommen - wenn auch nicht in dieser Legislaturperiode." So habe das Land doch jüngst auch ein neues Museum für Graffiti und StreetArt durch Lottomittel unterstützt - das müsse doch auch für Comics möglich sein.
SPD-Kulturpolitikerin Brigitte Lange erinnerte daran, dass der Ausschuss sich kürzlich auch mit dem Thema Karikaturen und der Arbeit der Cartoonlobby befasst habe. Die sei nun in Gespräche mit dem geplanten Pressemuseum in Berlin über eine gemeinsame Präsentation. Ob sich da die Comicszene nicht mit einbringen könne?
Linke-Kulturpolitik Wolfgang Brauer warnte vor allzu hochgesteckten Erwartungen und plädierte für kleine, erste Schritte, zum Beispiel einen gut dotierten Berliner Comicpreis, um ähnlich wie beim Comic-Salon Erlangen künftig auch herausragende Berliner Comic-Arbeiten prämieren zu können.
Kulturstaatssekretär Tim Renner erteilte dann - freundlich im Ton, aber bestimmt in der Sache - den Wünschen nach mehr Comicförderung in Berlin eine klare Absage. Es gebe bereits fünf Literaturhäuser in Berlin und 20 Literaturstipendien - da müsse sich doch hin und wieder auch Raum für den Comic finden, sagte er. Und appellierte dann explizit an Comicschaffende, sich bis Ende des Jahres für die aktuell ausgeschriebenen Literaturstipendien des Landes zu bewerben - so wie der Autor und Zeichner Dirk Schwieger, der 2015 mit einem davon bedacht worden war. "Wir sind nicht abgeneigt, Comic-Künstler zu fördern", sagt Renner.
In seiner Antwort auf die Wortmeldungen der Politiker reagierte Ausschuss-Gast Neuhaus zuerst auf die Schundliteratur-Frage des Ausschussvorsitzenden. "Comics erzählen Geschichten mit Bildern in sequenziellen Folgen, verschränkt mit Texten", klärte er auf. Zu dieser Kunstform gehörten die von SPD-Mann Jahnke genannten Autoren ebenso wie alle anderen Comicschaffenden: "Qualität ist eine andere Frage, aber für die Kunstform nicht entscheidend." Genau daher sei eben eine eigenständige Comicförderung nötig, weil der Comic nun mal zwischen all den bereits etablierten Kategorien stehe. Nach 49 Minuten war die erste Sitzung eines Abgeordnetenhaus-Gremiums, in dem die Comic-Kultur im Zentrum stand, auch schon wieder zu Ende.
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