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Entschlossen. Teyonah Parris spielt in Spike Lees satirischer „Lysistrata“-Variation die Anführerin des Sexstreiks
© Parrish Lewis

Spike Lee und „Chi-raq“ auf der Berlinale: No Peace, no Pussy

Spike-Lee-Tag! Der Regisseur zeigt auf der Berlinale außer Konkurrenz sein Hip-Hop-Musical „Chi-raq“ über Gewalt in den USA. Die Reimform bewegt sich hart an der Toleranzgrenze.

Wenn die ganze Aufregung doch dem Film selber gewidmet wäre! Nicht jedem muss behagen, was Spike Lee eine Satire nennt. Die konsequent durchgehaltene Reimform mag mit Blick auf die historische Vorlage, die Komödie „Lysistrata“ von Aristophanes, durchgehen; aber selbst für das Smartphone-Ghetto-Chicago bewegt sie sich hart an der Toleranzgrenze. Etwa mit der Reduzierung von Frauen auf „wandelnde Vaginas“, wie „The Nation“ bemängelt, oder der laut „NY Times Magazine“ veralteten Fantasie von Bandenkriegen. Aber ein Gipfeltreffen wegen des Filmtitels „Chi-raq“? Chicagos Bürgermeister Rahm Emanuel hat sich mit dem Filmemacher getroffen, damit er er ihn ändert.

Hypermaskulinität und Waffenkult

Spike Lee hat mit dem im Dezember in den USA angelaufenen „Chi-raq“ einen wütenden Film gedreht, einer, der die im real existierenden Rassismus gediehene tödliche Mischung aus ökonomischer Ausgrenzung, Hypermaskulinität und Waffenkult in den US-amerikanischen Ghettos in aller Hässlichkeit zeigt. Chiraq, so nennen die Rapper Chicagos South Side, weil dort so viele Menschen durch Waffengewalt gestorben sind wie im gleichen Zeitraum US-Soldaten im Irak. Weil der Rassismus nicht nur in den Ghettos von Chicago oder L.A. grassiert, sondern offenbar auch in Hollywood, hat Lee seine Teilnahme an der Oscar-Gala abgesagt: Unter den Nominierten für die besten Darsteller sind keine Dunkelhäutigen, schon das zweite Jahr in Folge. An diesem Dienstag kommt Lee nun mit „Chiraq“ nach Berlin – auch eine Art Liebesgruß nach Hollywood.

Dort hinschauen, wo es wehtut, so der grimmige Appell des Films. Wo der Bürgermeister (ein Obama-Vertrauter) Schäden für den Tourismus seiner Stadt befürchtet, weiß Lee, dass in der South Side ohnehin keine Touristenbusse verkehren. Auch die Bezirkspolitiker von dort wehren sich dagegen, dass ihr Viertel nur als Schauplatz von Gewalt wahrgenommen wird. Der Stadtrat diskutierte sogar, ob Lees Film die städtische Steuerförderung entzogen werden sollte. Doch Spike Lee hat auch Verbündete: Der Pfarrer der örtlichen Kirch St. Sabina Kirche, Michael Pfleger, nennt das Geschehen im Bezirk einen Genozid und ernannte den Regisseur zum Ehren-Gemeindemitglied. Weil Lee sich nicht durch politischen Druck davon abbringen ließ, auch die Gewalt von Schwarzen an Schwarzen zu zeigen „und damit künftige Leben zu retten“.

Die "Spartaner" und "Trojaner" hat Lee erfunden

Nun ist Chiraq nicht Chicago, auch nicht die South Side; die Banden der „Spartaner“ und „Trojaner“ hat Lee erfunden. Das reale Chiraq ist allerdings durchaus ein Ghetto, in dem schwarze junge Männer ihrer gesellschaftlichen Unterlegenheit mit Männlichkeitsritualen trotzen – auch wenn dabei mal ein Kind im Kugelhagel stirbt. Im Film treten ultrafeminine Frauen in knappesten Outfits daraufhin in einen Sexstreik. „No Peace, No Pussy“ lautet ihr Schlachtruf, mit dem sie – wie die Frauen in der historischen Vorlage die Akropolis – auch noch eine Militärkaserne erobern und einen rassistischen SüdstaatenKommandeur bis auf die Unterhose ausziehen. Sie tun es genüsslich.

„Chi-raq“, der erste von Amazon produzierte und sowohl online als auch im Kino vertriebe Spielfilm, lebt nicht zuletzt von der Spannung zwischen Intellektualität und exaltierter Sexualität. Die belesene Helen (Angela Bassett), die vor Jahren ihre Tochter durch eine Kugel verlor, weist der Sexbombe Lysistrata (Teyonah Parris) den Weg zum Aufstand. Diese stellt sich den Männern entgegen, etwa ihrem muskelbepackten Gangster-Freund Chiraq (Nick Cannon). Und der Pfarrer Mike Corridan (John Cusack) unterlegt den Kampf gegen den Waffenwahn mit einer schrillen Grundthese: Dass die US-Waffenindustrie ein Gemetzel wie das in Chiraq fördert, dass junge Schwarze keinen Zugang zu Bildung und zu Arbeitsplätzen haben und letztlich der Rassismus die Verantwortung dafür trägt, dass junge Schwarze sich gegenseitig erschießen.

Spike Lee hat ein fast komplett schwarzes Starensemble zusammengestellt. Samuel L. Jackson führt als lakonischer Erzähler durch den Film, Jennifer Hudson verkörpert eine trauernde Mutter, Wesley Snipes agiert als Chiraqs Gegenspieler Cyclops. So ist der Film, in dem immer wieder gerappt und gesungen wird, nicht nur eine kunstvolle, skurril-satirische Anklage, sondern auch ein Statement – genauso wie seine Oscar-Absage.

Zusammen mit dem Ehepaar Jada Pinkett und Will Smith, das ebenfalls nicht zur Gala nach Los Angeles kommen wird, machte Lee auf ein Problem der Oscar-Academy deutlich. Die Mehrheit der abstimmungsberechtigten Mitglieder ist weiß, männlich und über 60 Jahre alt. In der Schauspielersparte sind gerade mal sechs Prozent schwarz, weniger als vier Prozent Latinos, weniger als zwei Prozent asiatisch. 42 Prozent machen hier die Frauen aus. Inzwischen hat Akademie-Direktorin Cheryl Boone Isaac, selbst Afro-Amerikanerin, drastische Änderungen der Mitgliedschaftsregeln angekündigt.

Ein kleiner Sieg für Spike Lee, der sich positiv zu der Entscheidung äußerte. „Chi-Raq“ nützt das zwar nichts mehr, aber der New Yorker ist ja fleißig.

16.2., 22 Uhr (Berlinale-Palast), 17.2., 12.30 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 17.2., 22.30 Uhr (International), 21.2., 22 Uhr (Friedrichstadt-Palast)

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