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Sopranistin Barbara Hannigan
© Elmer de Haas

Barbara Hannigan und die Berliner Philharmoniker: Nimm das Wachs aus den Ohren!

Eine Loreley mit gleißendem Sopran: Unsuk Chins "Le Silence des Sirènes" zeichnet sich in der Philharmonie durch einen flirrenden Orchesterklang und eine sinnliche Barbara Hannigan aus.

Mit Sicherheit stand Simon Rattles Name auf der Gästeliste zum Queenbankett im Schloss Bellevue – nur musste der Sir leider absagen: Für den Mittwoch hatte er sich bereits den zentralen Stehplatz in der Philharmonie gesichert. Das Eröffnungsstück wirkt dann aber doch wie eine Reverenz an seine Königin: Rattle dirigiert einen Haydn für Honoratioren, in Gestus wie Dynamik durchaus geeignet als Tafelmusik zum Staatsempfang.

Festlich wirkt die Sinfonie Nr. 80 in dieser Ausführung durch die klein besetzten Berliner Philharmoniker, wohltemperiert und ja, auch ein wenig behäbig. Um wie viel mitreißender, spritzig-skurriler gelang da die Interpretation von Haydns 83., die Roger Norrington und das Deutsche Symphonie-Orchester am selben Ort präsentiert hatten!

Sehr aus der Vogelperspektive betrachtet Krystian Zimerman das 1. Brahms- Klavierkonzert. Einiges an Theaterdonner veranstaltet der Pianist da im Kopfsatz. Doch der wirkt inszeniert, die Dramatik des Geschehens nicht wirklich erspürt. Emotional neutral verhält er sich auch im Adagio, allerdings mit beeindruckender klanglicher Präsenz in den Schattierungen des Leisen. Erst auf den letzten Metern des Mammutwerks weicht die Härte des analytischen Interpretenblicks einer inneren Beteiligung, beginnen Zimermans Melodien zu singen, schwingt er sich ein auf die emotionale Temperatur des von Anbeginn vollendet begleitenden Orchesters – und wird dafür vom Publikum dankbar gefeiert.

Klanggewirk und virtuose Koloratur

Die alles überstrahlende Diva des Abends aber ist Barbara Hannigan. Aus der Tiefe des philharmonischen Raums dringt ihr gleißender Sopran am Beginn von Unsuk Chins „Le Silence des Sirènes“, das sie 2014 gemeinsam mit Rattle beim Lucerne Festival uraufgeführt hat. Homers Original sowie James Joyces „Ulysses“ hat die koreanische Komponistin darin verarbeitet, aber eben auch Kafkas Brechung des Sirenenmythos, bei dem die weiblichen Wunderwesen absichtsvoll schweigen.

Im Aufgang zu Block A hat sich Barbara Hannigan versteckt, sendet von dort lockende, gutturale Melismen in den Saal. Als sie dann auftaucht, in ihrer Loreley-Lockenpracht, denkt sie gar nicht ans Verstummen, sondern strebt der Bühne zu, wo das Orchester sie mit flirrendem Klanggewirk umgibt. Aus der virtuosen Koloraturperformance fallen zwei Worte, „sweetheart, goodbye“, sonst bleibt alles purer Klang: eine herrlich sinnliche, zirzensische Angelegenheit, für die man getrost die Wachspropfen aus den Ohren nehmen kann.

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