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Sir Roger Norrington.
© Manfred Esser

Deutsches Symphonie-Orchester: Norrington dirigiert, Hartog spielt - als Aushilfe

Sir Roger Norrington hat am Sonntag im DSO Joseph Haydns 83. Symphonie geleitet. Bernhard Hartog - eigentlich im Ruhestand - spielte die erste Geige.

Wiedersehen macht Freude: 33 Jahre war Bernhard Hartog Konzertmeister des Deutschen Symphonie-Orchesters, vor einem Jahr wurde er in den Ruhestand verabschiedet. Weil sich bei den Probespielen bislang noch kein geeigneter Nachfolger für ihn gefunden hat, kann man den Musiker am Donnerstag mal wieder auf seinem früheren Stammplatz am 1. Geigenpult erleben, als hochwillkommene Aushilfe.

Zutiefst vertraut ist Bernhard Hartog mit der musikalischen Ästhetik des anderen Gastes: Sir Roger Norrington dirigiert seit zwei Jahrzehnten regelmäßig das DSO, er ist 81 und nicht mehr so sicher auf den Beinen. Doch sobald er sich auf seinen Stuhl gesetzt hat, wird der Brite zum Energietransmitter, zum Inspirator intelligenter Interpretationen.

Großartig müssen die Proben gelaufen sein, denn in Joseph Haydns 83. Sinfonie braucht Norrington nur eine minimalinvasive Gestik, um genau jene Rhetorik der Lebendigkeit entstehen zu lassen, die ihm vorschwebt. Ein verschmitztes Lächeln liegt über dieser Musik, das allegro spirituoso entwickelt sich wirklich höchst geistreich, humorvoll wird das Menuett als täppischer Bauerntanz entlarvt, hinreißend gelingen die Spielereien mit den unerwarteten Fortissimi-Attacken im andante und den ebenso überraschenden Tempo-Bremsmanövern im Finalsatz. Für Mozarts Klavierkonzert KV 453 lässt Roger Norrington seine Sitzgelegenheit ganz weit in den Orchesterhalbkreis hinein stellen – und nimmt dann falsch herum Platz, mit dem Blick auf den Pianisten Martin Helmchen und das Publikum in den Philharmonie-Blöcken A bis D.

Roger Norrington will nichts von Programmmusik wissen

Äußerst entspannt entspinnt sich auch das Werk selber, wobei sich Martin Helmchen so bereitwillig ins Ensemble einfügt, so aufmerksam und auf Augenhöhe mit den Instrumentengruppen dialogisiert, dass eine ganz besondere, berührende Atmosphäre des freundschaftlichen Miteinanders entsteht – und das Solistische seines Spiels weit in den Hintergrund tritt.

Nach der Pause geht das Langzeitprojekt des Briten mit dem DSO weiter: die Aufführung sämtlicher neun Sinfonien seines Landmanns Ralph Vaughan Williams. Die Nummer sechs ist dran, ein 1944 begonnener, vier Jahre später uraufgeführter 35-Minüter, in dem viele Exegeten Klänge des Krieges entdecken wollten.

Norrington sieht das anders, will von Tonmalerei oder Programmmusik nichts wissen. Sein Zugriff ist struktureller, organischer: Alle vier Sätze spannt unter einen einzigen, großen Bogen. Ein 24-Stunden-Zyklus ist da zu erleben. Als würde man direkt in die gleißende Morgensonnen schauen, wirkt das expressionistisch- grelle erste Thema des Eröffnungssatzes. Das jazzige zweite Thema ist dann bereits ein Vorbote des großen Saxofon-Solos, mit dem der sinfonische Tag im dritten Satz seinen Höhepunkt erreichen wird, als virtuos von den DSO-Musikern dargebotenen Grotesktanz. Dann sinkt die Nacht herab, doch nur das Licht schwindet. Kraftvoll wird diese aufregende Musik bleiben, vorwärts drängend, bis zum letzten Takt.

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