"Lulu/Nana" an den Sophiensälen: Nicht zu fassen
Zwei Prostituierte, und doch viel mehr: Alban Bergs Lulu trifft auf Jean-Luc Godards Nana in den Sophiensälen.
Oper lebt seit jeher von großen, tragischen Frauengestalten. In der anbrechenden Moderne verändert sich das erstaunlicherweise kaum, auch Alban Berg vertont mit „Lulu“ den Untergang einer Frau. Der Regisseurin und „Hanns Eisler“-Absolventin Franziska Kronfoth fiel auf, wie viele Parallelen Bergs Oper mit einem anderen Werk aufweist, Godards Film „Vivre sa vie“ (Die Geschichte der Nana S.) von 1962 – und spannt beide in den Sophiensälen als „Lulu/Nana“ zusammen. Lulu und Nana, das sind nicht nur zwei Prostituierte, die ermordet werden. Das sind auch Kindsfrauen ohne richtigen Namen, die fast ausschließlich in den Projektionen von Männern existieren. Gibt es unter diesem Wust von Zuschreibungen einen Kern, eine Persönlichkeit, die nicht zersplittert?
Konsequent geht der Abend ebenfalls den Weg in die Zersplitterung. Es ist eine Suche, ein wildes Treiben. Lulu und Nana, verteilt auf mehrere Darstellerinnen, als erlegtes Tier, als Märtyrerin am Kreuz, dazu Bachs „Aus Liebe will mein Heiland sterben“. Schauspielerin Gina- Lisa Maiwald, die heiser pornografische Erzählungen aus George Batailles „Das obszöne Werk“ rezitiert – Texte, in denen Erotik eine schreckliche, tödliche Färbung annimmt. Verliebt in die Nacht ist auch Wagners Tristan, der ebenso als Gefährte Lulus und Nanas aufgerufen wird wie – ausgerechnet – Don Giovanni mit der Champagnerarie und der Serenade aus dem zweiten Akt von Mozarts Oper. Dazu immer wieder Schlüsselszenen aus Bergs Oper: Lulu mit dem Maler, Lulu kurz vor der Ermordung von Dr. Schön. Alles mit Kamera aufgezeichnet und an die Wand projiziert, mit Zwischentiteln wie bei Godard. Immer höher wächst dabei der Berg aus Requisiten im Zentrum der Bühne, der auch ein Berg aus Anrissen ist, aus Versuchen, die beiden Frauenfiguren zu fassen zu kriegen. Die aber entschlüpfen immer aufs Neue, kichernd. „Je n’existe pas“ singen alle zum Schluss.