Komik-Showreihe in den Sophiensälen: Irgendwas mit Wurstsalat
Vanessa Stern erkundet mit anderen Performerinnen in der Showreihe „La Dernière Crise“ in den Sophiensälen witzige Wege der Krisenbewältigung.
Vanessa Stern hat einen porzellanfarbenen Teint und langes, rötlich-blondes Wellenhaar. Zerbrechlich wirkt diese Frau auf der Bühne, auch sinnlich und – okay, stopp, stimmt alles nicht. Aber es gab tatsächlich mal eine Zeit, in der Stern solche Beschreibungen über sich gern gelesen hätte. Weil sie nun mal der Standard sind in Kritiken und Porträts über junge Schauspielerinnen, die sich marktkonform durch den klassischen Kanon mühen. Die hart daran arbeiten, den Männererwartungen am Regiepult zu entsprechen und ein empfängnisbereites Gefäß für Geistesblitze zu sein.
Vanessa Stern, geboren in Graz, wo sie in der Kindheit der katholischen Sozialisation gemäß Barbiepuppen kreuzigte, wollte immer schon Schauspielerin werden. „Ich bin sehr stur, deswegen hab ich das auch durchgesetzt“, sagt sie. Durchaus erfolgreich. Engagement in Köln, Preise, Anerkennung, Hauptrollen. Aber nach und nach ging ihr auf, „dass mir eine bestimmte Naivität für den Beruf fehlt“. Dass ihre eigene Vorliebe für kluges Theater nicht unbedingt mehrheitsfähig ist. Im Jargon des Betriebs heißt das dann: Mädchen, du musst aufpassen, dass du nicht zu verkopft wirst! Das Problem: „Wenn man sich erst mal bewusst macht, dass die Rollen, die man spielt, scheiße sind, bleiben nicht mehr viele Türen offen.“
Wenn Vanessa Stern heute gefragt wird, was sie eigentlich macht, gerät sie in mittelschwere Erklärungsmühe. Sie müsste dann eigentlich weiter ausholen, weil die Antwort „ich mach was mit Frauen und Komik“ doch eine gewisse Ratlosigkeit produziert. Und was das dazugehörige „Krisenzentrum“ ist, erschließt sich auch nicht so leicht.
Ein schönes und anschauliches Praxis-Beispiel für ihr Tun ist die Show-Reihe „La Dernière Crise“, die seit 2011 regelmäßig in den Sophiensälen läuft. Stern ist darin Gastgeberin für Frauen aus unterschiedlichen Zusammenhängen, die auf der Bühne ihre Krisen mittels Komik bewältigen. Die anstehende Vorweihnachts-Folge trägt den Untertitel „Raus damit!“. Auftreten wird unter anderem die fast 80-jährige Operndiva Renate Frank- Reinecke, die vom jahrzehntelangen Niedersinken vor Wotan und Co. heute kaputte Knie hat. Eine andere Performerin macht einen Beatboxsong aus der Ansage ihrer Ex-Freundin („Stop googling me, bitch!“). Eine weitere „irgendwas mit Wurstsalat“, so Stern. Willkommen ist biografisches Krisenmaterial aller Art.
Vanessa Stern schloss sich vor der Finanzkrise einer globalisierungskritischen NGO an
Zum wiederholten Mal tritt auch die Attac-Aktivistin Lony Ackermann auf, die mit über 70 noch unbeirrt auf Stöckelschuhen demonstrieren geht. Auch in Vanessa Sterns Leben gab es mal eine forcierte Attac-Phase. Das war, nachdem sie bei dem Stück „Empathy now!“ der Gruppe Lubricat in den Sophiensälen ihre Politisierung erlebt hatte, wie sie erzählt. Teil des Projekts war der Austausch mit Experten der globalisierungskritischen NGO, Stern schloss sich deren Finanzmarkt AG an – 2007, noch vor der Bankenkrise. Was bei ihrer österreichischen Familie ankam wie „die Vanessa geht jetzt in eine Sekte“. Tatsächlich versuchte sie nur, performativ die Welt zu verändern. Lief im Heuschrecken-Kostüm mit Champagnerflasche durch die Münchner Fußgängerzone. Trug ein „Börsell“, ein mobiles Klohäuschen, vor die Berliner Börse und blies Kondome auf. Platzen der Finanzblase, Sie verstehen?
Nur die Männer durften Faxen machen - davon hatte Stern die Nase voll
Leider blieb die allgemeine Bewusstseinsveränderung aus. Und das Aushecken eingängiger Aktionen habe auch etwas marketingmäßiges, findet Stern. Als „Widerstandsverkäuferin“ fühlte sie jedenfalls eine gewisse Hilflosigkeit.
Die Währung für Schauspielerinnen ist dagegen Leidensfähigkeit. Aus dieser Erkenntnis hat Stern 2012 ihr furioses Stück „Das Kapital der Tränen“ gemacht. Sie erzählt darin auch von der eigenen Karriere. Wie sie sich erst freute, die Titelrolle der „Emilia Galotti“ zu bekommen. Um dann zu realisieren, dass sie „einen Spielball“ zu verkörpern hat. Alles dürfen Frauen im Stadttheater sein: Vergewaltigungsopfer, unglücklich Verliebte, herzzerreißend Weinende. Nur eben nicht: komisch.
Stern hat das realisiert, als sie die Marianne in „Geschichten aus dem Wienerwald“ in Köln spielte. Um sie herum durften die Kollegen tanzen und Faxen machen. Sie nicht. Für ihre Rolle fiel dem Regisseur zwölf Tage vor der Premiere ein, die Marianne könne doch blind sein. Brav traf sich Stern zur Recherche mit einer Blinden, besorgte sich Kontaktlinsen mit hohen Minus-Dioptrien und tappte sehbehindert über die Bühne. Ernüchternd.
Glücklicherweise ging Stern im Zuge all ihrer Entfremdungserfahrungen auf, dass sie keine klassischen Vorlagen braucht, um Theater zu machen. Dass ihr eigenes Material genug taugt. Ausgerüstet mit einem Stipendium der Graduiertenschule der UdK gründete Stern 2010 ihr „Krisenzentrum für weibliche Komik“. Am Beginn stand eine Humor-Feldforschungsreise nach New York. Dann entwickelte sie „Das Kapital der Tränen“ und das performative Labor „La Dernière Crise“. Sterns Zentrum stand dabei von Beginn an für Frauen aus allen möglichen Kontexten offen, die sich in Komikfragen – ob mit oder ohne Krise – coachen lassen wollen. Wozu schon mal ein Workshop über Steueroasen und Finanzmärkte gehören konnte, „einfach weil Komik ohne Intelligenz mich nicht interessiert“, so Stern. Da lande man schnell bei der Mario-Barth-mäßigen Reproduktion von Geschlechterklischees. Deutsch-Frau, höhö.
Eine der Frauen, die sie momentan coacht, ist seit 40 Jahren beim Arbeitsamt beschäftigt. Und will über ihre Erlebnisse einen Rap mit Stepptanz machen.
Einmal, erzählt Stern, war sie in Begleitung einer Schauspielerin nach einer „Dernière Crise“-Probe unterwegs und traf den damaligen HAU-Chef Matthias Lilienthal. „Das ist die Vanessa, bei der mache ich Comedy“, habe die Kollegin sie strahlend vorgestellt. „Das ist keine Comedy, das sind geschlechterspezifische Forschungen über Zugänge zu Komik“, versuchte Stern ihren Ruf zu retten. „Oh, dann habe ich wohl die ganze Zeit das Thema verfehlt“, dämmerte es der Schauspielerin. Komisch war sie trotzdem.
Sophiensäle, 19.12., 20 Uhr
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