Berliner Klassikszene: Neue Konzertsäle und Klaviermusik am Kudamm
Die hauptstädtische Klassikszene wächst und wächst: András Schiff präsentiert eine neue Reihe mit jungen Pianisten im Maison de France – und im Berliner Südwesten eröffnen gleich zwei neue Konzertsäle. Ein Entdeckungsrundgang.
Kreditinstitute zu Konzertsälen! Ein kleiner Sieg der Musen über den Mammon ist dem Geiger Dylan Blackmore da in Berlin-Schmargendorf gelungen: Er hat eine ehemalige Filiale der Deutschen Bank gekauft und in einen Musikort umgewandelt. Im Keller gibt es noch den Tresorraum samt Schließfachwand, doch wo einst Geldscheine ausgezahlt wurden, stehen jetzt Stühle. Bis zu 200 Zuhörer finden Platz, trotz der recht niedrigen Decke ist die Akustik gut. Noch wirkt die Bar eher provisorisch, demnächst sollen an den Fenstern des Eckbaus künstlerisch gestaltete Spruchbänder die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich ziehen.
Von einem „soft opening“ spricht Wilfried Strehle, der in „Blackmore’s Musikfabrik“ als künstlerischer Leiter fungiert. Seit 1971 hat er bei den Berliner Philharmonikern gespielt, ab 1984 als Solobratscher. Und weil der Musiker sowohl Workaholic ist als auch Kommunikator, hat er nach seiner Pensionierung nicht nur eine Stelle beim Rundfunk-Sinfonieorchester übernommen, sondern sich auch ins Impresario-Abenteuer gestürzt. Sein Netzwerk kommt ihm zugute: Es gibt Kooperationen mit der KronbergAkademie und der Anne-Sophie-MutterStiftung, mit dem philharmonischen Soloklarinettisten Wenzel Fuchs wird Strehle am 1. November selber musizieren, für eine Konzertmeister-Serie hat er bereits Daishin Kashimoto und Guy Braunstein gewonnen. Fünf bis acht Veranstaltungen im Monat sind geplant, am 18. Oktober kommt die international gefragte Geigerin Viviane Hagner, am 25. Oktober ist der nicht minder renommierte Cellist Claudio Bohorquez zu erleben. Aber es gibt auch Jazz und Musik-Comedy, literarische Soireen sind in Planung.
Im Primussal sitzt man auf Sofas, Getränke werden serviert
„Natürlich machen wir das nicht zum Geldverdienen“, sagt Strehle. 20 Euro Eintritt nehmen sie für die einstündigen Konzerte mit freier Platzwahl und anschließender Gelegenheit zum Gespräch mit den Künstlern. Derzeit bilden vor allem Interessierte aus der Nachbarschaft das Publikum, doch die Lage am Hohenzollerndamm Ecke Warmbrunner Straße ist strategisch günstig. Nicht nur wegen des nahen Ringbahn-Halts und der Autobahnausfahrt, sondern, weil rundum jede Menge Klassik-Klientel wohnt, in Wilmersdorf, Dahlem und Grunewald.
Auf den Komm-wir-gehen-zu-Fuß- ins-Konzert-Effekt setzt auch Barbara Krieger: Ihr neuer Konzertort liegt in Zehlendorfs Mitte, gleich neben Woolworth, in einem prächtigen Jahrhundertwende-Bau. Die junge Kundschaft, die dort vom Café Tomasa im Erdgeschoss angezogen wird, will die Sopranistin künftig an jedem zweiten Donnerstag auch in den Primussaal locken. Mit hochromantischen Werken (am 23. Oktober) oder „Rossini im Orient“ (6. November) – und einem besonderen Ambiente. Kriegers Ehemann, dem zufällig Möbel Höffner gehört, hat 150 Sessel und Sofas spendiert, fürs Catering vor und nach der Musik sorgt das Tomasa-Team.
Ihre eigene Begeisterung für die intime Form der Kammermusik will die Sängerin hier weitertragen, den Beweis antreten, dass dieses Genre zu Unrecht als steif und verkopft gilt. Nur was den Namen der neuen Reihe angeht, muss sie wahrscheinlich nachbessern: Den Begriff „Casual Concerts“ hat bereits das Deutsche Symphonie-Orchester für sich gepachtet.
Unumwunden intellektuell ist der Anspruch von András Schiff. Mit seinen sensiblen, tiefgründigen Interpretationen hat sich der Pianist in Berlin eine große Fangemeinde erspielt. Diese will er nun aktivieren, um jungen Klaviervirtuosen ein Podium zu verschaffen. Drei Interpreten hat er ausgewählt und intensiv mit ihnen an den Programmen gefeilt, die sie im Rahmen der Reihe „Building Bridges“ in Berlin, New York und Zürich präsentieren. „Die Leute sollen sich wohlfühlen, aber ich will es mir und ihnen nicht zu leicht machen“, so Schiff.
Die Berliner Auftritte finden im Maison de France statt. Das Kulturhaus am Ku’damm beherbergt ja nicht nur das Cinéma Paris, sondern hat auch einen Veranstaltungssaal im 4. Stock mit Weitblick über die City West. Den Anfang macht am heutigen Mittwoch der 1989 in Macau geborene und in Philadelphia ausgebildete Kuok-Wai Lio mit Leos Janaceks „Im Nebel“, Schuberts Impromptus D. 935 und Schumanns Davidsbündlertänzen.
www.blackmore-musikfabrik.de und www.casual-concerts.de, Infos zu „Building Bridges“ unter www.kd211.de
Frederik Hanssen