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Befreit. Marof Yaghoubi spielt jetzt in "Der Besuch der alten Dame" seine zweite Rolle am Deutschen Theater.
© Doris Spiekermann-Klaas

Einst Flüchtling nun am Deutschen Theater: Navid heißt Hoffnung

Auf seiner Flucht aus Afghanistan hat Marof Yaghoubi die Schauspielerei für sich entdeckt. Jetzt spielt er am Deutschen Theater.

Das Schlauchboot auf der Bühne sieht wenig lebensbedrohlich aus. Eher nach Freizeitspaß. Ein Kinderplanschkahn mit Paddeln eben. Das Gefährt, mit dem Marof Yaghoubi und fünf andere Flüchtlinge eines Nachts von der türkischen Küste nach Griechenland übersetzten, bei schwerer See, war wohl nicht wesentlich größer. Oder robuster. „Sehr gefährlich“, sagt Yaghoubi in der Rückschau nur über diese 2000-Dollar-Fahrt mit einem Schlepper, die nicht alle überleben sollten. Es war stockdunkel, als er zum ersten Mal in seinem Leben das Meer sah. „In Afghanistan haben wir kein Meer“, erklärt der junge Mann und schaut sehr ernst.

Die Geschichte, die Yaghoubi auf dem sonnigen Vorplatz des Deutschen Theaters erzählt, hat auch Eingang in die Inszenierung „Tee im Harem des Archimedes“ von Nuran David Calis gefunden. Der Regisseur wollte diesen 80er-Jahre-Roman über zwei kleinkriminelle Jungs aus der Betontristesse der Pariser Banlieue in die Berliner Gegenwart holen. Und besetzte die Rollen der Randständigen mit Ibrahim Baldé aus Guinea und Marof Yaghoubi aus Afghanistan. Mit zwei Asylsuchenden ohne unbefristete Aufenthaltsgenehmigung und Perspektive in Deutschland, deren Biografien in den Text gewoben wurden.

Gewöhnlich – und so zynisch funktioniert der Kunstbetrieb nun mal – hätten sie damit ihre Schuldigkeit getan. Noch gut in Erinnerung ist der Fall des bosnischen Schauspielers Nazif Mujic, der 2013 für den Film „Aus dem Leben eines Schrottsammlers“ den Silbernen Bären auf der Berlinale gewann und dem ein Jahr später mit seiner Familie die Abschiebung aus einem Flüchtlingsheim in Gatow drohte. Einem Film oder Theaterstück die begehrte Authentizität der beglaubigten Leidensgeschichte verliehen zu haben, schützt nicht davor, gleich wieder in Vergessenheit zu geraten.

Für Marof Yaghoubi aber geht es weiter am DT. Wenn auch auf bescheidenem Niveau. Die „Tee im Harem“-Premiere sah Regisseur Bastian Kraft, der ihn für seine am Donnerstag anstehende Dürrenmatt-Bearbeitung „Der Besuch der alten Dame“ engagierte. Yaghoubi wird den Bodyguard der Claire Zachanassian spielen, die als milliardenschwere Rachelady in die Stadt zurückkehrt, in der sie einst gedemütigt wurde. Ein cooler Part, er freut sich darauf. Auch wenn er diesmal nicht im Rampenlicht steht.

Er ist 16, als er seine Heimat Hals über Kopf verlassen muss

Der Mittzwanziger aus Ghourian in der Provinz Herat, nahe der iranischen Grenze, hat nur sieben Jahre die Schule besucht; Theater, Kino oder Musik gab es in seiner Kindheit unter den Taliban nicht. Er war 16, als er seine Heimat Hals über Kopf verlassen musste. Eine lange und verschlungene Geschichte, die verkürzt so klingt:

Vor den ersten Präsidentschaftswahlen 2004 unterstützt Yaghoubi den Hamid-Karsai-Konkurrenten Junus Ghanuni, einen Tadschiken. Macht Werbung auf dem Dorfplatz, verteilt Flugblätter. Auf einmal braust ein Motorrad vorbei, er wird von zwei Anhängern des gegnerischen Lagers angegriffen und verletzt, „ich habe noch die Narbe auf der Stirn, sehen Sie?“. Nur wenig später, im Krankenhaus, kommt ein aufgeregter Freund zu ihm. Es hat inzwischen eine Vergeltungsaktion gegeben, drei Tote unter den Karsai-Leuten, „die denken, du hast damit zu tun, willst du sterben, Marof?“, sagt der Freund. Noch blutend steigt er zu ihm aufs Mofa und flieht nach Herat. Von dort nach Teheran. Über die Türkei nach Griechenland und schließlich nach Deutschland. Eine insgesamt neunjährige Odyssee.

Yaghoubi hat sich damals nicht von seinen Eltern verabschieden können, er hat keine Ahnung, was aus ihnen geworden ist. „Ich habe gehört, in unserer Wohnung ist jetzt ein Kindergarten“, sagt er, es fällt ihm schwer, darüber zu sprechen. Ein Bruder von ihm (insgesamt hat er acht Geschwister) sitzt in Teheran im Gefängnis, zu lebenslänglich verurteilt, weil er Haschisch geschmuggelt haben soll, aber auch darüber weiß er nichts Genaues. Gewiss ist für ihn nur: „Wenn ich geblieben wäre, wäre ich jetzt tot.“

Die Geschichte seiner Flucht ist eine stete Abfolge von Nackenschlägen und Überlebenstrotz.

Das Erste, was Marof Yaghoubi auf europäischem Boden vernimmt, in der Hafenstadt Mytilini, ist der auf Griechisch gebellte Befehl „Zurück!“. Das erste Interview zum Asylantrag dauert fünf Minuten, seine Muttersprache Dari versteht niemand. Er bekommt eine befristete Duldung, schlägt sich als Basarverkäufer, Bauarbeiter und Dolmetscher durch, wird in Griechenland mehrfach von Faschisten verprügelt und von einem Schlepper um 4000 Euro geprellt. Schließlich gelangt er, in mehrtägiger Fahrt, ohne warme Kleidung im kalten Laderaum eines Lastwagens nach Deutschland. Das alles ist jetzt zwei Jahre her.

In Griechenland spielt er eine kleine Filmrolle

Irgendwo unterwegs hat Marof Yaghoubi die Kunst für sich entdeckt. In Griechenland spielte er 2011 eine kleine Rolle in dem Film „Man at Sea“, auch in zwei Dokumentationen trat er auf. Vermittelt über Journalisten, für die er gedolmetscht hatte. In Berlin gründete er mit Schicksalsgefährten die Theatergruppe „Navid Motard“. Navid ist das persische Wort für Hoffnung, in der Motardstraße liegt die Asyl-Erstaufnahmestelle, in der Yaghoubi nach seiner Ankunft untergebracht war. Mit dem Stück „Mutter Sprache“, einer Komödie über einen Deutschkurs für Ausländer, waren sie bei „48 Stunden Neukölln“ zu Gast. Bald knüpfte Yaghoubi auch einen ersten Kontakt zum Deutschen Theater. Für das Rechercheprojekt „Fluchtpunkt Berlin“ wurden Asylsuchende in Berlin interviewt, er gab seine Geschichte zu Protokoll, bloß die Premiere hat er nie gesehen. „Ich hatte die Einladung verloren und wusste nicht mehr, wo das Stück läuft“, sagt er und lächelt. Zum Glück erinnerte man sich an ihn, als Darsteller für „Tee im Harem des Archimedes“ gesucht wurden. Ein Glück, auf das er weiter hofft.

Yaghoubi hat vor kurzem geheiratet. Seine Frau, eine Afghanin, lebt in Fürstenwalde. Beider Asylantrag ist nach wie vor nicht bewilligt. „Ich bin legal in Berlin, aber nicht frei“, sagt er. Und im gleichen Atemzug, dass er Selbstmord begehen wird, wenn sie ihn nach Afghanistan zurückschicken. „Ich habe meine Religion, meine Kultur und meine Sprache hinter mir gelassen, ich lebe seit fast zehn Jahren in Europa!“ Er spricht heute Dari, Persisch, Griechisch, Englisch und Deutsch. Manchmal, sagt Marof Yaghoubi, stelle er sich selbst die Frage: „Wer bin ich eigentlich?“

Premiere am 17.4.,19.30 Uhr

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