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1928 malte Ernst Ludwig Kirchner seine "Spielenden Badenden" in sattgrüner Natur
© Artvera's

Die Wurzeln der Avantgarde: Nackte Natur

Die Ausstellung "Monte Verità" in der Genfer Galerie Artvera’s knüpft Verbindungen zwischen Reformbewegung und Moderne

Bekannt wurde Sofia Komarova 2013 in wenigen Minuten. Als sich die junge Genfer Galeristin in einer Dokumentation über Wolfgang Beltracchi zu Wort meldete und über die Gier auf dem Kunstmarkt sprach, die blind mache. Dass der Kunstfälscher zwei Jahre zuvor aufgeflogen war, verdankt sich nicht zuletzt ihrer Beharrlichkeit: Komarova bestand damals im Fall des „Roten Bildes mit Pferden“ von Heinrich Campendonk auf einer Farbanalyse. Als Mittlerin und Beraterin beim Verkauf des Gemäldes wollte sie absolut sichergehen und nicht allein auf kunsthistorische Expertisen vertrauen. Zu Recht, wie sich herausstellte.

Die Galerie widmet sich auch vergessenen Talenten

Wer Sofia Komarova in Genf besucht, der ahnt bald, weshalb sie die kritische Distanz vorzieht. Die gebürtige Russin ist in einer kunstaffinen Familie aufgewachsen. Schon ihre Mutter handelte in der Sowjetunion, die Tante arbeitete am Puschkin-Museum. Komarova weiß einiges über die russische Avantgarde und ihre ähnlich lange Fälschungsgeschichte. Weshalb man sich wünscht, diese ernsthafte Frau würde häufiger detektivisch tätig werden. Das tut sie, aber lieber mit Blick auf vergessene Talente, die sie in Künstlern wie Friedrich Karl Gotsch (1900–1984) entdeckt. Dem expressionistischen Maler hat sie zuletzt einen Katalog gewidmet.

Die Zeit des Expressionismus ist auch Thema ihrer jüngsten Ausstellung „Monte Verità“. In der Genfer Galerie Artvera’s hängen Landschaften von Ernst Ludwig Kirchner und Erich Heckel neben einem Bergbild von Marianne Werefkin. André Derain kommt mit einer bacchantischen Szene im Grünen vor, Erich Heckel mit einem stillen Fluss vor schneebedeckten Hügeln. Nicht alle Gemälde sind verkäuflich, die übrigen kratzen schnell an der Millionengrenze. Und die Räume in der Altstadt lassen staunen: Auf 5000 Quadratmetern verteilen sich Bücher und Bilder, die Atmosphäre eines White Cube ist der Architektur völlig fremd: Im puren, aber doch historischen Ambiente rekapituliert „Monte Verità“, die Geschichte der Avantgarde – immer mit Bezug auf den gleichnamigen Hügel im Kanton Tessin, der ab 1900 zum Treffpunkt von Lebensreformern, Pazifisten und Künstlern wurde.

Abstraktion und alternative Lebensentwürfe

Was es bedeutete, sich zurück zur Natur zu wenden, an alternative Lebensentwürfe zu glauben und utopische Modelle zu entwickeln, liest Sofia Komarova den idyllischen Sujets der Maler ab. Tatsächlich waren Alexej Jawlensky und Paul Klee – die beide ebenfalls mit Werken in der Ausstellung vertreten sind – genau wie Marianne Werefkin oder Arthur Segal oft zu Gast auf dem „Berg der Wahrheit“. Den anderen Künstlern schreibt die Direktorin von Artvera’s eine gedankliche Nähe zu.

Im Oktober folgt eine Fortsetzung auf demselben hohen Niveau. Wieder ist sie dem „Monte Verità“ gewidmet, und erneut wird sie danach fragen, wie die Ikonografie der europäischen Künstler von jener kurzen, gewaltigen Bewegung geprägt worden ist. Dass Sofia Komarova sich ein derart aufwendiges Projekt leisten kann, liegt an der Struktur von Artvera’s: Die Galerie gehört russischen Unternehmern, die ihr Engagement mäzenatisch begreifen. Die ab und zu aber auch gern verkaufen.

Artvera’s, 1 rue Étienne-Dumont, Genf; bis 30.7., www.artveras.ch

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