zum Hauptinhalt
Auf den Dächern Pekings. (2012)
© Ren Hang, Courtesy Estate of Ren Hang and Stieglitz 19

Retrospektive „Love“ C/O Berlin: Nackte Menschen als Verbrechen

Ren Hangs Fotografien gelten in China als Pornographie. Das C/O Berlin zeigt das Werk des früh verstorbenen, chinesischen Fotografen.

Eine der interessantesten Ecken in Ren Hangs Retrospektive ist eher unscheinbar. Im ersten Saal des Fotohauses C/O Berlin findet sich eine kleine Vitrine mit Dokumentaraufnahmen, die den chinesischen Künstler dabei zeigen, wie er in einem Herbstwald fotografiert. Nackte junge Männer klemmen zwischen schmalen Bäumchen oder hocken auf einem Stumpf.

Sie zeigen, wie der chinesische Fotograf die Kletternden stützt, aber auch, wie er breitbeinig über einem im Laub liegenden Modell steht und auf den Auslöser seiner kleinen Kompaktkamera drückt. Fürsorge und Freundlichkeit vereinen sich mit der Autorität eines Künstlers, dessen strapaziösen Anweisungen sich die Modelle unterwerfen.

Die Spannung zwischen Freundschaft und Gefolgschaft zieht sich durch die gesamte von Felix Hoffmann kuratierte Ausstellung „Love“ – egal ob der Autodidakt Ren Hang Männer fotografierte oder Frauen. Wichtiger als das Geschlecht ist das Vertrauen zwischen dem homosexuellen Fotografen und seinem Gegenüber, denn seine Aufnahmen brechen ein Tabu: Die Bilder des Fotografen, der auch in Europa ausstellte, gelten in China als Pornografie, auf die Gefängnis steht.

Freitod mit 29 Jahren

Westliche Augen sehen etwas anderes: melancholische, in sich gekehrte junge Menschen, solo mit einem Pfau im Arm oder einem Leguan auf der Schulter. In Gruppen formen sie mit ihren Armen, Beinen, Rümpfen Figuren und Ornamente.

Bei C/O Berlin gibt es drei Kapitel: Einzelakte, weibliche Gruppenakte, Porträts mit Tieren und Masken. Ergänzt werden sie durch Gedichte Ren Hangs, der auch ein Stück über seine Depression auf die Bühne brachte. Anfang 2017, im Alter von 29 Jahren, wählte er in Peking den Freitod.

Zwei Dokumentarfilme ordnen sein Werk in einen größeren Zusammenhang ein. Ein kurzes Fernsehfeature aus Japan zeugt von Ren Hangs Status als Idol junger Internetnutzer. Das rund 45-minütige Filmporträt von Ximing Zhang verdeutlicht, dass der mehrfach inhaftierte Künstler sich nicht als Dissident verstand, sondern ein persönliches Ideal verfolgte: Er wünschte sich und anderen die Freiheit, mit Körpern und Nacktheit unbefangen umgehen zu können.

[Das Beste aus der Berliner Kunstszene - gibt es alle 14 Tage in unserem Newsletter BERLINER - Kunst. Jetzt anmelden unter: www.tagesspiegel.de/berliner-kunst]

Nordkorea als Maßstab für Freiheit

Auf die Abwesenheit einer solchen Freiheit stieß er ständig, etwa wenn er eine Druckerei suchte, die bereit war, seine Fotos zu vergrößern. Wenn seine Internetkanäle geschlossen wurden. Wenn Bürger ein Shooting der Polizei meldeten, weil er einmal nicht in Privaträumen oder im Wald, sondern auf dem Dach eines Hochhauses fotografierte und so sich und seine Freunde dem Risiko der Verhaftung aussetzte.

In einer Schlüsselszene erklärt ihm ein Anwalt die offizielle Sicht: Die Freiheit des Einzelnen, so sagt dieser sinngemäß, ende dort, wo sie den moralischen Konsens verletze. Maßstab für Freiheit sei nicht allein der Westen, sondern am anderen Ende der Skala liege das Nachbarland Nordkorea.

Erst dieser Film macht dem westlichen Publikum die ganze Tragweite von Ren Hangs fotografischer Opposition verständlich.

C/O Berlin, Hardenbergstr. 22–24, bis 29. 2., Mo–So 11–20 Uhr

Zur Startseite