zum Hauptinhalt
Die Sängerin Magdalena Kožená.
© Harald Hoffmann / DG

Die Berliner Philharmoniker mit "Pelléas et Mélisande": Nachtschattengewächse unter Neonröhren

Im dunklen Universum: Peter Sellars, Simon Rattle und die Philharmoniker deuten Debussys Oper „Pelléas et Mélisande“ - mit Magdalena Kožená.

Während alle Welt mit dem Heranschleppen von Geschenken beschäftigt ist, können Simon Rattle und seine Philharmoniker schon auspacken: An vier Abenden dürfen sie Debussys einzig vollendete Oper „Pelléas et Mélisande“ mit einer wahren Wunschbesetzung aufführen, angeführt von Magdalena Kožená und Christian Gerhaher in den Titelrollen. Filmkameras blinken, sie fangen ein, was alsbald eine Gabe für Klassikfans werden soll, in der Digital Concert Hall oder als DVD: einen Berliner „Pelléas“.

Manch einer im Publikum muss erst den Schrecken verdauen, die nächsten 200 Minuten festzusitzen im dunklen Universum von Schloss Allemonde. Hier lässt Maurice Maeterlinck sein symbolistisches Drama um die unbekannte Mélisande spielen, die die hinsterbenden Schlossbewohner in ihren Bann zieht – bis Liebe und Eifersucht aufflackern, die nur der Tod löschen kann. Für Debussy war es der Stoff, mit dem er sich endlich vom übermächtigen Einfluss Wagners lösen konnte.

„Pelléas“ spielt wie Wagners Musikdramen im Mittelalter, doch die musikalische Dramaturgie ist eine ganz andere – nicht geschmiedeter, sondern schwebender Natur. Die Welt nicht erklärend, sondern sie höchstens erhellend, für einen kurzen Augenblick. Dieser Musik gehört die Leidenschaft Rattles, der Debussys Oper 2006 in Salzburg und in der Philharmonie dirigierte, sie auch auswählte für sein Debüt an der Staatsoper 2008. Nun kehrt er zu „Pelléas et Mélisande“ zurück, in Szene gesetzt vom Regisseur Peter Sellars. Neben den im Raum verteilten bunten Neonröhren benötigt Sellars dafür ein schwarzes Podest, das sich ins Orchester schiebt. Es ist alles in einem: tiefer Brunnen, hoher Turm und Mélisandes Sterbebett.

Die Philharmonie wird von den Sängern umfassend durchwandert, ihre Treppen wirken labyrinthischer als je geahnt, nur das freie Schwingen ihrer Terrassen will sich nicht einfügen in die schicksalsergebene Welt von Allemonde. Rattle nähert sich ihr mit tätiger Liebe, begnügt sich nicht damit, Klänge nur immer noch subtiler zu mischen, sondern ergreift Partei, formt ein Drama, lässt auch mal Muskeln spielen. So sehr man diese ebenso emphatische wie durchdrungene Haltung schätzen muss – ein wenig unbestimmter Zauber geht mit ihr auch verloren.

An Magdalena Kožená liegt das nicht, die auch als gereifte Darstellerin eine rätselhaft-ergreifende Mélisande bleibt. An ihrer Seite erlaubt sich Christian Gerhaher als Pelléas selten gehörten Übermut, ein Aufflackern in der Nacht. Gerald Finleys Golaud ist stimmlich alles andere als ein Totschläger und dafür umso glaubwürdiger in seiner bodenlosen, ihm selbst fremden Eifersucht. Bernarda Fink (Geneviève) und Frank-Josef Selig (Arkel) sind edle Säulen dieses Star-Ensembles.

Und Sellars? Macht Debussy vor allem handfest: Golaud tritt der schwangeren Mélisande in den Bauch, ansonsten geistern drei schwarze junge Frauen durch die Philharmonie: mal als Schafe, mal als Hungernde oder Dienerinnen. Vieles bleibt auch optisch im Dunkeln, man darf gespannt sein, welche Bildreize die Kameras daraus destillieren.

Die weiteren Aufführungen sind ausverkauft. Am 20. Dezember überträgt RBB- Kulturradio die Oper ab 20 Uhr.

Zur Startseite