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Spielfläche für eine Sopranistin. Julia Bullock als Hauptdarstellerin.
© Ruth Walz

Berliner Philharmoniker: "La Passion de Simone": Der Gott der Geizigen

Knietief im Sakro-Kitsch: Peter Sellars inszeniert mit den Philharmonikern „La Passion de Simone“ von Kaija Saariaho.

Anregend in seinen Idealen, die sich aus vielen Quellen speisten, erschütternd in seinem Ende und seiner Wirkungslosigkeit – das war das Leben von Simone Weil (1909 bis 1943), der französischen Philosophin, Klassenkämpferin und Sozialrevolutionärin. Im Spanischen Bürgerkrieg hat sie die Republik unterstützt, bei Renault die Lage der Arbeiter erkundet, später, als Jüdin, christliche Erweckungserlebnisse in Assisi durchgemacht – und sich schließlich in England aus Solidarität mit den Opfern von Hitlers Diktatur zu Tode gehungert.

Religiöse Mystik und handfeste Politik fließen im publizistischen Werk der französischen Denkerin ineinander. Die finnische Komponistin Kaija Saariaho hat sich von dieser schillernden Persönlichkeit zu einer Passion mit 15 Stationen inspirieren lassen. Genau daran erinnert Weils Schicksal. 2006 wurde „La Passion de Simone“ in Wien uraufgeführt, damals bereits mit tatkräftiger Unterstützung von Regisseur Peter Sellars, der inzwischen als „Artist in Residence“ der Berliner Philharmoniker in Berlin weilt. Nun hat er das Stück mit der Orchester-Akademie in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin neu inszeniert.

Minimalistischer, unpolitischer könnte eine Inszenierung kaum sein

„Während mich an Simone Weil vor allem das Streben nach abstrakten mathematischen und geistig-intellektuellen Zielen faszinierte“, schreibt Saariaho über die Uraufführung, „war Peter mehr an ihrer sozialen Kompetenz und ihren politischen Aktivitäten interessiert.“ Das hat sich offenbar geändert. Ein Podest, ein mit Leinwand bespanntes Rechteck, von einer Neonröhre in wechselnde Farben getaucht, davor die Spielfläche für Sopranistin Julia Bullock – minimalistischer, abstrakter, unpolitischer könnte eine Inszenierung kaum sein.

Das ist insofern ein Problem, als Sellars damit keinen dramaturgischen Widerpart bietet, sondern ein Einfallstor öffnet für den Text, den der französisch-libanesische Schriftsteller Amin Maalouf auf Basis von Zitaten Simone Weils geschrieben hat. In ihm macht sich Maalouf der Verstorbenen auf ziemlich unerträgliche Weise anheischig. Er konstruiert eine fiktive Schwester, die in ihren Gesängen Simone Weil zur Heiligen, zur Welterlöserin überhöht – ohne dass die sich dagegen wehren könnte. Das hat etwas Übergriffiges an sich. Nachdenkenswerte Sätze wie „Nichts von dem, was existiert, ist ganz der Liebe würdig, man muss deshalb das lieben, was nicht existiert“ oder „Gott entzieht sich, um nicht geliebt zu werden, wie ein Schatz von einem Geizhals“ werden durch Julia Bullocks prätentiösen Zeitlupen-Sprech unnötig bedeutungshubernd angereichert.

Sehr viel überzeugender ist die Musik, die Kaija Saariaho dazu komponiert hat. Atmosphärische Klangflächen, Schlaglichter, durchzogen von Leuchtspuren der Solisten (besonders die Oboe schätzt sie sehr), schockhafte Explosionen des von der Akustik der Tischlerei profitierenden Schlagwerks, ein Spiel mit der Dynamik, mit Anschwellen und Diminuendo, eine impressionistische Partitur, dramatisch angeschärft. Die jungen Musiker der Orchester-Akademie, das Nachwuchspool der Berliner Philharmoniker, lassen sie unter der Führung von Duncan Ward ungemein lebendig, aufwühlend, verzweifelt klingen. Und über allem liegen die lyrischen Gesangslinien der Sopranistin, die den Text der Schwester singt. Julia Bullock allerdings - unterstützt von einem Vokalquartett des Rundfunkchors Berlin - besitzt weder stimmlich noch körpersprachlich die nötige Präsenz, um Weils Leidensgeschichte zu beglaubigen. Ihre Stimme bleibt verschattet, unfrei, klein, ihr gestisches Repertoire beschränkt. Die Sängerin findet schnell in einen Modus der Dauererregung, der Hysterie und rastet darin ein. Ohne Kontraste ermüdet das auf Dauer.

Nach langen 75 Minuten schließlich das Finale: die endgültige Verklärung der Simone Weil, ihre Stilisierung zum Menschheitsopfer mit Parallelen zu Alexander dem Großen und Christus, die beide im gleichen Alter verstarben. Nicht die Musik, aber der Text watet knietief im Sakro-Kitsch. Das haben Passionen so an sich, aber selbst bei Bach erfahren wir mehr von der menschliche Natur Christi als hier über den Charakter einer Person der Zeitgeschichte. Was man von einer „modernen“ Passion im 21. Jahrhundert doch erwarten könnte.

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