Mozart-Bestseller „Così fan tutte“ in der Deutschen Oper: Nachholende Lackgeilheit
Kein Regiehandwerk, nirgends: Der junge Sprechtheater-Spezialist Robert Borgmann inszeniert „Così fan tutte“ in der Deutschen Oper Berlin.
An etwas dran zu bleiben zu können und Ausdauer zu zeigen, ist eine besondere Qualität, wie beim Marathon, so bei Mozart. Seinen Opern sagt man gerne nach, dass sie wie keine anderen in der Lage sind, ein Ensemble zu bilden und Bindungen zu vertiefen – nach innen wie nach außen. Ja, die Auseinandersetzung mit Mozart steht im Ruf, ein ganzes Opernhaus hellhöriger und sein Publikum offenherziger machen zu können. Und umgekehrt. Da erscheint es nur logisch, wenn die Deutsche Oper sich zum Ende der vergangenen und zum Auftakt der aktuellen Saison gleich zwei Neuinszenierungen von Mozart-Bestsellern verordnet, erst die „Entführung aus dem Serail“, nun „Così fan tutte“.
Auch der Rahmen für die beiden Produktionen klingt zunächst nicht verkehrt: Eine junge Generation von Schauspielregisseuren entdeckt Mozart, herausgefordert von der großen Bühne der Deutschen Oper, Modedesigner steuern ihre Sicht auf ein längst nicht mehr plüschiges Musiktheater bei, während junge Sänger, am liebsten aus dem Hausensemble, ins rechte Licht gerückt werden. Ja, auch das ist die Pflicht und Zier eines funktionierenden Opernhauses, Neues zu entdecken und nicht nur die gleichen Namen des internationalen Opernkarussells durchzubuchen. Dazu noch ein guter Schuss Erfahrung, den Generalmusikdirektor Donald Runnicles mit seinem Orchester als verlässliche Basis garantiert. Und dann könnte es eigentlich losgehen. Könnte. Sollte. Müsste.
Experiment am offenen Komponistenherzen
Doch jene Makel, die sich schon in der „Entführung“ als folgenschwer erwiesen, würgen die bedeutend zerbrechlichere „Così“ vollends ab. Rodrigo Garcia musste man bei seinem von Designer-Drogen aufgeputschten Monstertrucktrip in den Sportmarkenserail wenigstens eine überbordende Fantasie zugestehen. Wobei nie ein Zweifel darüber aufkam, wie dämlich der argentinische Regisseur das Singspiel eigentlich findet. Auch Robert Borgmann, der nun mit der „Così“ sein Operndebüt abliefert, kann man keine Leidenschaft für Mozarts Experiment am offenen Herzen nachsagen. Schlimmer noch, es lässt sich überhaupt nicht ausmachen, für was dieser immerhin zweimal zum Theatertreffen eingeladene Regisseur eigentlich steht.
Allerhand Inszenierungsmüll wird da lustlos verschoben, die Rokoko-Zuschauer auf ihren Stühlchen, das Ansingen des Publikums bei Saallicht, eine schwarze Lackgeilheit, wie sie einst in der Komischen Oper den Mauerfall vorangetrieben hat. Ausgestellte Lichtbrücken, ständig rotierende Teile eines nie zusammengesetzten Bühnenraums – schon verstanden, das ist alles Theater hier. Aber von der Sorte, die einem für immer die Lust an dieser Ausgeburt von Trostlosigkeit nimmt.
Ernüchterung lässt sich bei der einmal in Gang gesetzten Liebesmechanik der „Così“ nicht vermeiden. Aber erzählen soll sie uns schon etwas, von den kindlichen Träumen romantischer Verklärung, von dem jähen Erwachen daraus und dem schmerzhaften Weg hin zu einer erwachsen werdenden Leidenschaft.
Tölpeliade ohne metaphysischen Witz
Borgmann aber beschädigt unbekümmert alle seine Darsteller, lässt sie die Finten aufs Affigste hinschmieren, als Tölpeliade ohne jeden metaphysischen Witz. Dazu verhakeln sich die bemitleidenswerten Sänger in den sinnfreien Kostümen des Designers Michael Sontag. Man mag gar nicht mehr hinsehen. Doch eine „Così“ muss zu Herzen gehen und jeder Lacher spätestens nach der Pause bitter schmecken. Da keinerlei Regiehandwerk die Sänger und ihre Entwicklung schützt, rücken sie noch erbarmungsloser in den Mittelpunkt. Wenn es einen solchen Ort wenigstens akustisch geben würde, hätten sie noch eine Chance, selbstbestimmt nach vorne zu gehen.
Doch hier setzt sich fort, was schon die „Entführung“ ausbremste: Eine leer geräumte Bühne, immer wieder durch Seiten- und Hinterbühne willkürlich vergrößert, bildet keinen Raum für Gesang – und für Wolfgang Amadeus Mozart schon gar nicht. Warum die Deutsche Oper, die doch ihre jungen Sänger bestmöglich präsentieren sollte, sie wiederholt einer akustischen Falle preisgibt, bleibt unerklärlich.
So kommen sie in der Wahrnehmung über ein „ordentlich“ nicht hinaus, obwohl vor allem Nicole Car als Fiordiligi, Paolo Fanale als Ferrando und Alexandra Hutton als Despina charakterstarke, einfühlsame Rollengestalter sein können, ganz, wie sie eine „Così“ braucht. Wo war da das Ohr von Donald Runnicles? Dessen Berliner Mozart-Stil meidet zwar Süßliches verlässlich, zeigt bei Schärfe und Bitternis aber noch zu wenig klares Profil, was letztlich auch zulasten der Sänger geht.
Bislang konnte man den Eindruck gewinnen, Dietmar Schwarz und sein Team wissen genau, an welchem Haus sie Oper machen, wie sie dessen arg ausgedünntes Repertoire erneuern und beim Publikum verankern. Daran muss man nach dieser „Così“ nun ernsthaft zweifeln.
Weitere Aufführungen am 28. September sowie am 1., 8., 11. und 14. Oktober.